Wünsche, Wunder und Angst auf der Palliativstation

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Der Professor, der mit Worten und Händen berührt: Johannes Kraft, Chefarzt der Geriatrie und der Palliativstation am Klinikum Coburg. Foto: Christiane Lehmann
Der Professor, der mit Worten und Händen berührt: Johannes Kraft, Chefarzt der Geriatrie und der Palliativstation am Klinikum Coburg.  Foto: Christiane Lehmann
Pflegedienstleiterin Martina Scholz und Krankenpfleger Paul Brockdorff
Pflegedienstleiterin Martina Scholz und Krankenpfleger Paul Brockdorff
 

Auf der Palliativstation am Klinikum Coburg gibt es nur sechs Betten. Warum das zu wenig ist, erklärt Chefarzt Johannes Kraft. Er spricht über Verantwortung, Ehrlichkeit und darüber, was todkranken Patienten hilft.

Manche Menschen seien geldgierig. "Ich bin lebensgierig!" sagt Hanna F*. Sie liegt in einem der sechs Betten auf der Palliativstation im Klinikum Coburg. 77 schöne Jahre habe sie gehabt. Und vielleicht kommen noch ein paar dazu. Die Frau, die mit einer schweren Krebsdiagnose eingeliefert wurde, bleibt zuversichtlich. Ihr Mann Georg* ist fest entschlossen: "Ich lasse sie auch nicht los!"

Bis vor Kurzem hätten sie sich nicht vorstellen können, dass Hanna F*. sich freiwillig auf die Palliativstation legt. "Wenn's nur ums Sterben geht und nichts mehr gemacht wird, hätte ich meine Frau mit nach Hause genommen", betont der 84-jährige Ehemann mehrmals.

Lebensqualität verbessern

Aber die Empfehlung von Christof Lamberti, Professor der Onkologie in Coburg, und die schlechte Verfassung seiner Frau, hätten dann schließlich doch direkt zu Johannes Kraft geführt.
Der Chefarzt der Palliativstation ist für seine Herzlichkeit, seine Ausstrahlung, vor allem aber für sein außergewöhnliches medizinisches Know How bekannt.

Die Palliativmedizin liegt dem Professor ganz besonders am Herzen: "Wir wollen den Menschen Ängste nehmen und ihre Lebensqualität verbessern, Schmerzen lindern." Der Ansatz des Palliativmediziners ist ein ganzheitlicher: Ob religiöse Fragen, körperliche Beschwerden oder psychologische Probleme, das Team um Johannes Kraft will den Patienten helfen und Antworten geben. Jeder Mensch ist anders und geht anders mit seiner Krankheit um. Deshalb seien die Gespräche und Therapien auch sehr individuell.

Kraft kennt als Leiter der Geriatrie sowohl die Möglichkeiten der Akutmedizin, der Rehabilitation sowie die Chancen der Palliativmedizin. "Ich bin gegen Schachteln, deshalb ist bei uns das alles unter einem Dach", sagt er nicht ohne Stolz. Seelsorger, Musik-, Kunst-, Ergotherapeuten und Logopäden arbeiten Hand in Hand mit dem Pflegepersonal und den Ärzten. Doch am Anfang steht meistens das Gespräch mit Johannes Kraft oder seinen Oberärztinnen Barbara Gareus und Roshanak Kiany. Er kennt die Phasen, die die Patienten durchmachen, wenn sie eine hoffnungslose Diagnose gestellt bekommen: Wut, Schuld, Depression, Hadern und Angst kommen da hoch. Damit könne er gut umgehen.

Offen und ehrlich reden

Ganz ruhig frage er die Patienten dann, was sie sich am meisten wünschen. Und vor was sie Angst hätten. "Die Menschen sind sehr froh, darüber sprechen zu können", weiß der Professor. Ganz ehrlich sagt er den Patienten auch, dass er keine Wunder vollbringen könne, dass er sich aber mit ihnen über Wunder, die es manchmal gäbe, gemeinsam besonders freuen würde.

Die Angst, dass den Sterbenskranken auf der Palliativstation die Hoffnungen genommen werden, versteht er sehr schnell zu nehmen. Kraft redet sehr offen mit seinen Patienten über die Angst vor dem Tod, die oft gar nicht so groß ist - eher die vor dem Sterben. Und da gibt es Antworten, die die Patienten erleichtern. Es muss niemand mehr ersticken oder große Schmerzen leiden, sagt Kraft. " Auf Grund moderner medizinischer Methoden kann es heute auch mit einem metastasierten Brustkrebs möglich sein, Jahre mit guter Lebensqualität und Freude zu haben", macht er Hoffnung. Wer nicht über die Ängste und das Sterben spricht, wer nur verdrängt, verbraucht viel zu viel Energie. Deshalb ist es ein Anliegen der Palliativmedizin , die Krankheit auch innerhalb und mit der Familie zu besprechen. Kraft: "Der Tanz um das goldene Kalb, die Lüge, bringt nichts."

Das kann auch die Pflegedienstleiterin Martina Scholz bestätigen. Sie ist seit 35 Jahren Krankenschwester mit der Zusatzausbildung Palliativ-Care. Auch ihr gehen die Schicksale der Menschen nahe und ab und zu kann sie es auch nicht abschütteln, wenn sie zu Hause ist. Aber der offene Umgang mit den Patienten, die Zuneigung, die sie zurück bekommt, sei ein wunderbares Gefühl. Sie habe Weihnachten mit Sterbenskranken verbracht und tolle Gespräche geführt.

"Wenn die Menschen bereit sind und sich der Diagnose stellen, wird so vieles einfacher", weiß sie aus Erfahrung. Ihr Beruf mache ihr großen Spaß. Paul Brockdorff (24) ist seit 1. Dezember Krankenpfleger auf der Palliativstation. Seine Ausbildung hat er in Kempten gemacht, er will später Medizin studieren. Es berührt ihn sehr, wenn er sieht, wie manche Menschen leiden müssen, aber den Tod findet er nicht schlimm. Er denkt, dass Palliativpatienten gut darauf vorbereitet sind. "Wenn sie gestorben sind, haben sie oft einen ganz friedlichen Ausdruck im Gesicht", sagt er.

Glücklich und dankbar

Weil das Thema so wichtig ist und immer mehr Menschen im älter werden, bleibt Johannes Kraft ein unermüdlicher Schöpfergeist für ein möglichst langes Leben bei bestmöglicher Lebensqualität. Die Art des Sterbens gehört für ihn da auch dazu. Und deshalb macht er sich jetzt dafür stark, dass Coburg eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) bekommt. Das bedeutet, die Menschen können künftig zu Hause intensivmedizinisch versorgt werden.

Hanna F*. ist erst einmal "glücklich und dankbar" in den Händen von Johannes Kraft gelandet zu sein. "Der hört einem so gut zu. So einen Doktor gibt es nicht noch einmal auf der Welt", sagt sie mit fester Stimme.

* Namen von der Redaktion geändert



Was heißt eigentlich "Palliativ" und wo stehen wir in Coburg?

Palliativ Als palliative Therapie bezeichnet man eine medizinische Behandlung, die nicht auf eine Heilung einer bestehenden Grunderkrankung abzielt, sondern auf die Reduzierung der Folgen (Palliation). Der Begriff leitet sich von lateinisch pallium (- Mantel) ab; übersetzt heißt Palliativtherapie daher so viel wie "ummantelnde Behandlung", also eine Behandlung, die darauf abzielt, die Symptome einer bestehenden Erkrankung zu lindern. Oft gelten diese Maßnahmen fortschreitenden unheilbaren Erkrankungen, um deren Verlauf zu verlangsamen oder die Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schmerz oder Depressionen zu reduzieren.
Palliativstation Coburg Sechs Betten stehen in Coburg auf der Palliiativstation zur Verfügung. Die sind stets ausgebucht. Der Bedarf ist wesentlich größer. Chefarzt ist Johannes Kraft. Der Professor leitet im gleichen Haus auch die Geriatrie, die bundesweit als Vorzeigeeinrichtung gilt.

SAPV Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) dient - in Ergänzung zur allgemeinen ambulanten Palliativversorgung - dem Ziel, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung von Palliativpatienten so weit wie möglich zu erhalten, zu fördern und zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in ihrer gewohnten Umgebung, in stationären Pflegeeinrichtungen bzw. stationären Hospizen zu ermöglichen. Nur ein Teil aller Sterbenden benötigt diese besondere Versorgungsform. Coburg bemüht sich derzeit um einen SAPV-Stützpunkt für die Region. Ausgebildete Palliativmediziner stehen bereits in den Startlöchern.

Kontakt
Ansprechpartner ist Johannes Kraft am Klinikum Coburg
Ketschendorfer Straße 33
Coburg, Telefon 09561/ 22-0