Wie der Krieg auch viele Hoffnungen zerstört

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Unser Bild zeigt, wie Menschen in Kiew Benzinbomben, sogenannte Molotowcocktails, bauen.
Unser Bild zeigt, wie Menschen in Kiew Benzinbomben, sogenannte Molotowcocktails, bauen.
Ukrinform/dpa
CSU-Politiker Hans Michelbach war bis 2021 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Coburg/Kronach.
CSU-Politiker Hans Michelbach war bis 2021 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Coburg/Kronach.
 
Unser Archivfoto zeigt die ukrainische Nationaluniversität in Kiew. Sie hat erst ein einziges Mal einen Ehrendoktortitel an einen Ausländer verliehen: 2006 an den Coburger Bundestagsabgeordneten Hans Michelbach.
Unser Archivfoto zeigt die ukrainische Nationaluniversität in Kiew. Sie  hat erst ein einziges Mal  einen Ehrendoktortitel an einen Ausländer verliehen: 2006 an den Coburger Bundestagsabgeordneten Hans Michelbach.
Mikhail Markovskiy/adobestock.com

Hans Michelbach hat viele Kontakte in die Ukraine. Er schwärmt vor allem von den jungen Leuten, die er "auf einem guten Weg" gesehen hat - doch an der Uni steht jetzt plötzlich etwas anderes auf der Tagesordnung

Hans Michelbach hat sich in den vergangenen mehr als 20 Jahren schon mit vielen wichtigen Menschen aus der Ukraine getroffen und ausgetauscht. Zum Beispiel mit Vitali Klitschko, dem Bürgermeister von Kiew, oder mit Andrij Melnyk, dem ukrainischen Botschafter in Deutschland. Doch wenn man in diesen Tagen mit dem ehemaligen Coburger Bundestagsabgeordneten spricht, erzählt er als Erstes von den Gesprächen und Begegnungen, die er zuletzt auch immer wieder mit jungen Menschen aus dem osteuropäischen Land hatte - und die für ihn mit großen Hoffnungen verbunden waren. "Die jungen Leute sind sehr motiviert und bildungshungrig", erzählt Hans Michelbach. Fast alle würden die englische Sprache lernen, und in den vergangenen Jahren seien speziell im IT-Bereich etliche Start-ups gegründet worden. Michelbach bringt es auf den Punkt: "Man konnte es regelrecht spüren: Sie waren auf einem guten Weg!"

Helmut Kohl hatte eine Bitte

Aber jetzt? Herrscht Krieg. "Mir blutet das Herz", sagt Hans Michelbach im Gespräch mit dem Tageblatt ganz offen. Er berichtet von einem Telefonat mit dem Präsidenten der Universität von Kiew: "Er hat mir erzählt, dass etliche seiner Studenten zum Militär eingezogen wurden. Und die, die noch an der Uni sind, bauen jetzt Molotowcocktails..."

Zur Universität in der ukrainischen Hauptstadt pflegt Hans Michelbach bis heute sehr enge Kontakte. Wohl auch deshalb, weil mit der Uni zwei sehr wichtige Ereignisse in Michelbachs Abgeordnetenlaufbahn verbunden sind: Am 8. Mai 2005 hielt er dort eine Rede zum 60. Jahrestag des Ende des 2. Weltkriegs. 2006 bekam Michelbach von der Universität Kiew die Ehrendoktorwürde verliehen - eine solche Auszeichnung hat bis heute kein anderer Nicht-Ukrainer mehr bekommen.

Ehrendoktorwürde

Doch Hans Michelbach will jetzt gar nicht groß über diesen Titel sprechen, der korrekt ausgeschrieben "Dr. h. c. (Univ Kyiv)" lautet. Stattdessen ist es ihm ein Bedürfnis, davon zu erzählen, welch schwierige Zeit die Ukraine bereits hinter sich hat, und warum es ihn jetzt so schmerzt, dass Putin alles zerstören will.

1991 war es, als sich die Ukraine von der UdSSR lossagte und ihre Unabhängigkeit erklärte. In den Folgejahren wurde - wie für fast jedes andere Land auch - eine Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag gebildet. "Auf Bitten des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl bin ich Mitglied dieser deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe geworden", erinnert sich Hans Michelbach. Von 1998 bis 2005 war er sogar deren Vorsitzender. Durch diesen Posten erlebte er auch die "orangene Revolution" Ende 2004 hautnah mit. Doch die Freude über den vermeintlichen Erfolg der Revolution war auch bei Michelbach nur von kurzer Dauer: "Selbst, als Wiktor Juschtschenko dann doch zum Präsidenten erklärt wurde, hatten noch immer die Oligarchen das Sagen im Land. Das war sehr frustrierend."

Deutsch-Ukrainische Gesellschaft für Wirtschaft und Wissenschaft gegründet

Wenig später zog sich Hans Michelbach vom Vorsitz der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe zurück. Gleichzeitig gründete er zusammen mit einigen Mitstreitern die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft für Wirtschaft und Wissenschaft (DUGWW). Im Mittelpunkt deren Arbeit steht bis heute unter anderem eine enge Partnerschaft und ein regelmäßiger Austausch zwischen den Universitäten von Mainz und Kiew.

2014, als Janukowytsch wieder an der Macht und somit auch die Erfolge der orangenen Revolution längst dahin waren, kam es mit dem Euromaidan zum nächsten Aufstand. Im selben Jahr wurde auch Vitali Klitschko zum Bürgermeister von Kiew gewählt. Ein ehemaliger Profi-Boxer als Politiker? "Ja, er ist ein sehr intelligenter Mann", sagt Michelbach. 2018 konnte er ihn als Redner für den Neujahrsempfang der Mittelstandsvereinigung in Berlin gewinnen. "Das war eine eindrucksvolle Begegnung!"

"Wir müssen es sehr ernst nehmen"

Doch so sehr sich Hans Michelbach in den vergangenen Jahren darüber freute, dass das "Streben nach Europa" und der "Kampf für Demokratie" in der Ukraine immer stärker wurden: Korruption gebe es leider immer noch, und auch die Oligarchen hätten noch immer zu viel Einfluss. Doch an genau dieser Stelle verweist Hans Michelbach wieder auf die vielen jungen Menschen, mit denen nicht nur er so große Hoffnungen verbindet.

Dass Putin gegen ein solches Volk nun Krieg führe, hat nach Einschätzung von Hans Michelbach nur einen einzigen Grund: "Putin hat Angst vor der Demokratie, die sich in der Ukraine so gut entwickelt hat." Zugleich müsse sich jeder bewusst sein, dass Putins Krieg keineswegs nur die Ukraine treffe, sondern letztlich alle westlichen Demokratien. "Putin will die Geschichte zurückdrehen, und deshalb müssen wir das alles sehr ernst nehmen."

Russen distanzieren sich von Putin

Wichtig ist dem ehemaligen Abgeordneten in diesem Zusammenhang aber auch die Unterscheidung zwischen Putin einerseits und "den Russen" andererseits. "Ich habe viele russische Freunde, die sich längst von Putin distanziert haben. Sie finden es schlimm, wie unmenschlich er sich verhält."

Gut findet Michelbach, dass es in der aktuellen Ausnahmesituation einen breiten Schulterschluss gibt - sowohl in der gesamten westlichen Welt als auch in Deutschland. "Es ist richtig, dass die Ampel-Regierung und die CDU/CSU als größte Oppositionsfraktion jetzt zusammenhalten!"

Doch selbst der breiteste Schulterschluss kann nichts daran ändern, dass Hans Michelbach die schrecklichen Bilder, die es täglich aus der Ukraine zu sehen gibt, umtreiben. "Ich kenne außer Kiew auch Charkiv und Mariupol sehr gut." In der Hafenstadt Mariupol waren die Kämpfe zu Beginn dieser Woche gleich wieder besonders heftig. Und vielleicht denkt Hans Michelbach an ein genau solches Kriegsgeschehen, als er noch diesen überraschend ehrlichen Einblick in seine Gefühlswelt gibt: "Ohne Schlaftabletten würde ich nachts manchmal gar keine Ruhe finden."