"Weißes Rössl" in Coburg: Flotte Ironie vertreibt den Kitsch

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Kaiser Franz Joseph im Taucheranzug (Thomas Straus) bekommt Post von Briefträgerin Kathi (Sofia Kallio). Fotos: Henning Rosenbusch
Kaiser Franz Joseph im Taucheranzug (Thomas Straus) bekommt Post von Briefträgerin Kathi (Sofia Kallio). Fotos: Henning Rosenbusch
 
 
Zahlkellner Leopold (David Zimmer) schwärmt für seine Chefin, die Wirtin Josepha (Ulrike Barz). Doch bis zum Happyend warten allerlei turbulente Verwicklungen in Ralph Benatzkys Singspiel "Im weißen Rössl". Fotos: Henning Rosenbusch
Zahlkellner Leopold (David Zimmer) schwärmt für seine Chefin, die Wirtin Josepha (Ulrike Barz). Doch bis zum Happyend warten allerlei turbulente Verwicklungen in Ralph Benatzkys Singspiel "Im weißen Rössl". Fotos: Henning Rosenbusch
 
 
Effektvolle Akzente setzt der Chor des Landestheaters.
Effektvolle Akzente setzt der Chor des Landestheaters.
 
 
 
 
 
 
 
 
Sandrina Nitschke als Klärchen und Stephan Ignaz als Sigismund Sülzheimer.
Sandrina Nitschke als Klärchen und Stephan Ignaz als Sigismund Sülzheimer.
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Wie verpasst man einem betagten Singspiel eine künstlerische Frischzellenkur? Gastregisseur Tobias Materna trifft mit seiner Inszenierung von Ralph Benatzkys "Im weißen Rössl" den Nerv des Coburger Publikums.

Am Wolfgangsee weht ein frischer Wind. Die Frisuren der Gäste im Hotel "Zum weißen Rössl" sehen aus wie gegen den Strich gebürstet, die Regenschirme fliegen fast davon und von verstaubter Idylle im reichlich in die Jahre gekommenen ersten Haus am Platz ist nichts mehr zu spüren. Ralph Benatzkys betagtes Singspiel "Im weißen Rössl" feiert am Landesthe ater Coburg fröhlich-ironische Premiere nach einer offenkundig erfolgreichen Frischzellenkur. Verantwortlich für diese Verjüngung: Gastregisseur Tobias Materna mit seinem Ausstattungsduo Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert.


Manche Bühnenwerke werden Opfer ihrer eigenen Rezeptionsgeschichte. Das 1930 in Berlin uraufgeführte "Weiße Rössl" hat lange gelitten unter den Verfilmungen in den 1950er und 1960er Jahren.
Von Heimatfilm-Betulichkeit freilich ist in dieser Inszenierung nichts mehr zu spüren.

"Zurück zu den Wurzeln" ist unverkennbar die Maxime in Tobias Maternas Regiekonzept. Die musikalische Basis dazu liefert jene radikal verschlankte Fassung, die 1994 in der Berliner "Bar jeder Vernunft" Premiere feierte. Der schnoddrige Witz des Originals und die freche Direktheit des Textes haben Materna bei seiner Interpretation inspiriert - angereichert durch allerlei Anspielungen mit Coburger Lokalkolorit. Die szenischen Gags, die Materna reichlich eingestreut hat, zünden beim Publikum sofort.

Kaiser im Taucheranzug

Stilistisch ist die Richtung klar: Materna setzt auf groteske Überzeichnung, manchmal gar auf Slapstick-Akzente, wenn beispielsweise Kaiser Franz Joseph mit Taucheranzug und Taucherbrille dem Wolfgangsee entsteigt. Wirkungsvoll unterstützt wird Maternas Deutung durch die parodistischen Akzente, die Tara Yipps Choreografie setzt. Zu diesem Regiekonzept haben Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert die passende Ausstattung entworfen - die Kostüme amüsieren mit treffsicherer Übertreibung.

Die Fassade des Bühnenbilds: schäbig anmutende Nüchternheit im Bauhausstil statt der üblichen alpenländischen Folklore. Dahinter freilich, wenn sich die Fensterläden öffnen, wird genüsslich in Szene gesetzter Kitsch sichtbar.

Musikalischer Cocktail

Der Orchestergraben ist verkleinert und in ein weiß gekacheltes Schwimmbecken verwandelt. Statt Wasser findet dort das Orchester Platz - als Septett mit Streichquintett samt Schlagzeuger und Pianist. Am Flügel: Lorenzo Da Rio, der Chordirektor des Landestheaters. Er hat nicht nur seinen Chor musikalisch bestens vorbereitet, sondern führt auch seine "Rössl"-Combo jederzeit umsichtig und stilsicher. In dieser Besetzung entfaltet die Partitur nicht nur ihre bekannten Hit-Qualitäten, sondern auch lange verschütteten Witz und ironisches Potenzial.


Schon das Original ist ein flott gemixter Cocktail mit Zutaten nicht nur von Ralph Benatzky, sondern von einigen weiteren Komponisten. In dieser neuen Fassung kommen noch geschickt eingefügte filmmusikalische Anspielungen hinzu - von James Bond bis Wolfgang Petersens "Das Boot" mit der Musik von Klaus Doldinger.
Kreuz und quer laufen die Liebesgeschichten in diesem Singspiel. In einer Komödie wird der, der es tatsächlich ernst meint, oft allzu leicht zum belächelten Verlierer. In diesem Fall aber ist Zahlkellner Leopold schließlich doch der selige Gewinner.


Von Anfang an ist er unrettbar verliebt in Wirtin Josepha (resolut und darstellerisch präzis: Ulrike Barz). Josepha träumt aber, sehr zu Leopolds Kummer, viel zu lange davon, den umschwärmten Rechtsanwalt Dr. Siedler für sich zu gewinnen (Dirk Mestmacher, im vergangenen Sommer als Fred Graham in "Kiss Me, Kate" auf der Waldbühne Heldritt zu erleben). Erst ganz am Schluss gesteht sie Leopold dann doch ihre Liebe. Warum?
Weil Leopold sie gar so ausdauernd und unerschütterlich umworben hat? Oder weil David Zimmer beweist, dass er nicht nur darstellerisch präzise und stets präsent ist und sein tragfähiger Tenor nicht nur bereits klar erkennbares dramatisches Potenzial, sondern auch lyrischen Schmelz besitzt?

Dreifaches Happyend

Das Happyend am unsichtbar bleibenden Wolfgangsee ist jedenfalls auch in dieser Inszenierung nicht aufzuhalten, sondern tritt gleich dreifach ein. Der schöne Sigismund (mit genüsslicher Selbstironie: Stephan Ignaz) gewinnt das Herz von Klärchen (Sandrina Nitschke), der Tochter des armen Privatgelehrten Dr. Hinzelmann (Stephan Mertl). Und Rechtsanwalt Siedler entscheidet sich am Ende eben nicht für die "Rössl"-Wirtin, sondern für Ottilie (mit beweglichem Sopran und riesig aufgetürmter Frisur: Anna Gütter), die Tochter des Berliner Trikotagenfabrikanten Wilhelm Gieseke (Helmut Jakobi).

Reichlich Beifall

Schon lange vor dem Finale, der reichliche Szenenbeifall beweist es, hat das Premierenpublikum sein positives Urteil über diese Neuinszenierung gefällt.



Nach knapp zweieinhalb kurzweiligen Stunden gibt es dann verdientermaßen ausdauernden Schlussapplaus. Mit diesem flotten "Rössl" dürfte sich das Landestheater einen veritablen Kassenschlager ins Programm geholt haben.