Waldemar Hartmann war zu Gast in Coburg

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Plauderte über zwei Stunden aus dem Nähkästchen: Waldemar Hartmann (65). Der Kult-Moderator begeisterte dabei sein Publikum im Saal von Sankt Augustin in Coburg. Foto: Timo Geldner
Plauderte über zwei Stunden aus dem Nähkästchen: Waldemar Hartmann (65). Der Kult-Moderator begeisterte dabei sein Publikum im Saal von Sankt Augustin in Coburg. Foto: Timo Geldner

Waldemar Hartmann plauderte in Sankt Augustin über zwei Stunden aus dem Nähkästchen. Er lobt Typen wie Mehmet Scholl, Klaus Augenthaler oder Mario Basler, kritisiert aber auch die flache Hierarchie des Nationaltrainers.

Wo nimmt dieser Nicht-mehr-Schnauzbartträger bloß seine Kaltschnäuzigkeit her? Schlachtet Waldemar Hartmann wirklich jede noch so blöde Situation zu seinen Gunsten aus? Hat er seine haarsträubende Wissenslücke als Telefonjoker von Sami Khediras Freundin Lena Gercke bei Günther Jauchs "Wer wird Millionär?-Promispecial" tatsächlich nur vorgetäuscht, um Werbung für sein aktuelles Buch zu machen?
Sollte das seine Rechnung gewesen sein, dann ist sie jedenfalls nicht aufgegangen. Seine "Dritte Halbzeit" ist nämlich alles andere als ein Verkaufsschlager und bewegt sich seit Wochen abwärts in den Ranglisten.
Vielleicht macht der Ex-Fußball-Kommentator und Moderator ja auch deshalb kräftig Werbung für seine Bilanz. Am Mittwoch an allen Ecken und Enden in der Vestestadt. Zuerst bei Radio Eins, dann während einer Autogrammstunde in den Räumlichkeiten der Sparkasse und schließlich am Abend im Saal von Sankt Augustin.
Von acht bis kurz nach halb elf widmete er sich ganz entspannt den Geschichten aus seinem Reporter-Leben und war dabei in Hochform. Das Publikum feixte. "Waldi" plauderte locker aus dem Nähkästchen. Mal geplant, dann wieder völlig spontan. Ein Schenkelklopfer jagte den anderen - die Besucher waren überrascht, die meisten von Waldi sogar begeistert.
Sich zum Volldeppen der Nation zu machen, nur wegen ein paar verkaufter Bücher mehr oder weniger, hat er sicher nicht nötig. Denn spätestens seit dem legendären Septemberabend 2003 in Reykjavik muss sich Waldi keine allzu großen Sorgen mehr um seine Pension machen.
Die unvergessene Wutrede von Rudi Völler verhalf dem Bayer, der jetzt sein Domizil in der Schweiz hat, zur Berühmtheit. "Tante Käthe" gipfelte mit den Worten: "Du sitzt hier locker auf deinem Stuhl, hast drei Weizenbier getrunken." Dabei hatten den Bundestrainer damals nicht Waldis Fragen, sondern die Analyse von Gerhard Delling und Günter Netzer, die das Spiel der Nationalmannschaft gegen Island (0:0) als "neuen Tiefpunkt" bezeichneten, verärgert.

Bauernschlau Kapital geschlagen

Und bauernschlau, wie Waldemar Hartmann nun einmal ist, schlug er aus dem Weißbier-Spruch Kapital, fädelte einen Zehn-Jahres-Vertrag mit einer Brauerei selbst ein. Wenn man so will: Der rasende Rudolf sicherte ihm die Altersvorsorge: "Ich bekomm keine Riester-Rente. Ich hab' die Rudi-Rente sicher."
Bei "Waldis" Solo auf der Tribüne in Sankt Augustin ging es aber um mehr als um Völlers Käse, Scheißdreck und deutsche Kicker-Tiefpunkte. Denn hinter dem bayerischen "Dampfplauderer" verbirgt sich, bei aller gespielten oder gelebten Kumpanei, auch ein aufmerksamer und professioneller Journalist, der locker bis weit nach Mitternacht hätte erzählen können.
Geschickt präsentierte der selbsternannte "Tor des Jahres" seine Pointen und ernten dafür immer wieder Szenenapplaus. So wie man den Waldi aus dem Fernsehen kennt und deshalb liebt oder hasst, zelebriert er den verbalen Flachpass. Erfrischend dabei, dass selbst die auffällig vielen Trink- und Tresengeschichten des ehemaligen Wirts und DJs mit Stammtischparolen nur am Rande zu tun haben.
Der am 10. März diesen Jahres 66 Jahre alt werdende Freund von Uli Hoeneß, der exakt an diesem Tag vor Gericht stehen wird, ließ sich bei Meisterfeiern des FC Bayern gerne mit den Spielern auf dem Rathausbalkon feiern. "Uli hat die Balkonrechte an das DSF verkauft, obwohl es gar keine gab - Hauptsache die haben bezahlt."

Ein Doppelbett für den Papst

"Der Uli würde dem Papst auch ein Doppelbett andrehen." Sollte der Bayern-Präsident, der einst dem Waldi leichtsinnig seine Lederhose lieh, ohne zu wissen, dass dieser sie kurz darauf an Bremens-Manager Willi Lemke verzockte, tatsächlich hinter Gittern müssen, könnten alle davon ausgehen, dass der FC Stadelheim in drei Jahren in der 2. Liga spielt und das Merchandising explodiere.
Hartmann plaudert auf dem Podium in Sankt Augustin wie ein Wasserfall und seine Gäste krümmten sich auch noch nach zwei Stunden vor Lachen. Der Bart der "Duz-Maschine" - so sein genialer Spitzname - ist aber ab: Vom Schnauzer, der zum Gesicht gehört wie die Weißwurst zu Bayern, trennte er sich nach einem Rasur-Unfall. "Ich gehe 14 Jahre oben ohne."
Keine einzige Zeile liest Waldi an diesem Abend aus seinem Buch, trägt das Herz aber wie immer auf der Zunge. Hartmann erzählt Heldengeschichten von einst. Er prahlt damit, wie er im Radio Wahrheiten verbog und aus Regentagen Wintermärchen machte.
Ali und Franz seien die Größten. Er schimpft über Jogis "flache Hierarchie" und lobt dafür Typen wie Basler, Augenthaler oder Sir Alex Ferguson. Er nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, verwendet ein Vokabular, das an dieser Stelle nicht wiederholt werden kann.

Kein Wort, aber die Goldene Kamera

Bei elf Fußball-Weltmeisterschaften, zig Olympiaden und Ski-WMs war er dabei. "Ich habe mir den Mund fusselig geredet, aber dafür nie einen Preis erhalten. Dann bekommst Du die Goldene Kamera für einen kurzen Werbespot mit dem Titan. Ich habe dabei nichts gesagt, nur auf einer Bank gesessen und für Oli und mich zwei Hefe bestellt - "das ist doch alles nicht mehr normal".
Waldis Servus in Sankt Augustin verzögerte sich wegen einer langen Zugabe und danach signierte er noch das eine oder andere Buch. Es war erstaunlich, wie viel Schönes aus Käse und Scheißdreck entstehen kann.