Am ersten Tag der "Grenzerfahrung" kamen die Wanderer von Coburger Tageblatt und Radio Eins an so manchen Ort, an dem die deutsche Teilung für viele Menschen schreckliche Folgen hatte. Die Gesprächsthemen reichten vom B 1000 bis zur A 73.
Morgens um sechs in Probstzella: Es ist dunkel, kalt und noch menschenleer. Aber was heißt hier "noch"? Wenn gleich die Sonne aufgeht, setzt trotzdem kein Rummel ein. "Viele Häuser stehen bei uns seit Jahren leer und verfallen so langsam", erzählt Martin Buschner. Der 35-Jährige arbeitet in einer Konditorei und kann durchaus als optimistischer Mensch bezeichnet werden. Aber selbst er glaubt nicht so recht daran, dass sich die Lage in dem thüringischen Ort, direkt an der Grenze zu Franken, noch einmal merklich bessern wird.
Angesprochen auf den Mauerfall vor 25 Jahren fangen Martin Buschners Augen das Leuchten an. "Wir hier auf dem Land haben ja lange Zeit von den Demonstrationen in Leipzig und Dresden gar nichts mitbekommen." Aber dann ging alles ganz schnell. "Wir waren zu Hause fünf Kinder, deshalb hatten meine Eltern ein paar Privilegien", berichtet der Konditor, während er schwungvoll den nächsten Teig anrührt. "Wir durften uns zum Beispiel als Auto einen kleinen Bus bestellen, einen Wartburg Barkas B 1000!" Ausgeliefert wurde das gute Stück am 7. November 1989. Klar, dass die ersten großen Fahrten dann schon bald Richtung Westen gingen. "Wir sind bis Kulmbach gefahren!" Der Auto-Laie will wissen, wie schnell so ein B 1000 sein kann. Da lächelt der flinke Konditor: "Also mit Heimweh und Rückenwind - 130!"
Nicht ganz so schnell verlassen wir Probstzella. Denn Richtung Lauenstein geht's bergauf. Steil bergauf. Aber der Weg, genauer gesagt der Fischbachmühlenweg, ist nicht nur anstrengend, sondern auch wunderschön. Ja, in Lauenstein sind nicht nur die Pralinen ein Genuss.
"Mahnmal der Freiheit"
An der Thüringer Warte kommt zum Naturgenuss der erste bittere Beigeschmack des Tages: In dem Aussichtsturm, der 1963 als "Mahnmal der Freiheit" errichtet wurde, befindet sich eine sehr anschauliche Dokumentation zur deutschen Teilung und ihren Folgen speziell für die Region.
Noch bitterer und berührender ist es dann im Schatten der Frankenwaldhütte oberhalb von Tettau. Hier, unmittelbar am Rennsteig, verlief früher die innerdeutsche Grenze. Und: Zwölf Menschen starben hier bei ihren Fluchtversuchen. Auf einem Gedenkstein, den es seit 2009 gibt, sind die Namen und das jeweilige Todesjahr zu lesen.
Peter Ebertsch, seit exakt einem Jahr Bürgermeister von Tettau, kann von noch mehr Schrecklichem berichten. Er war von 1978 bis 1991 als Zollbeamter an der deutsch-deutschen Grenze tätig. "Kollegen haben mir vom Fluchtversuch eines Pärchens 1973 erzählt: Der Mann wurde erschossen - die Frau überlebte, verlor aber ihren Unterschenkel." Erst später wurden an manchen Stellen die Minen ausgetauscht gegen Signalzaun und Stolperdraht.
Die Stimmung bei den Wanderern ist durch diese hautnahe Begegnungen mit den Schrecken der deutschen Teilung gedrückt. Doch allen voran Peter Ebertsch versprüht auch Zuversicht: "Natürlich ist noch nicht alles eitel Sonnenschein - aber bei uns in der Rennsteigregion wird die Einheit schon ganz gut gelebt!" Einen Schub für die Region verspricht er sich von der neuen Straße, die nun endlich von Tettau über Jagdshof nach Sonneberg gebaut wird - "dadurch wird man nur noch 30 Minuten bis zur Autobahn 73 brauchen!" Ganz ohne Rückenwind.
Peter Ebertsch kann mit Stolz von "seinem" Tettau erzählen: Es hat rund 2200 Einwohner, begrüßt aber täglich etwa 1400 Einpendler; die meisten arbeiten bei Heinz Glas. Seit 2013 ist das "Tropen-Haus" die Attraktion.
Traum vom "Tropen-Hotel"
Wenn jetzt vielleicht noch ein "Tropen-Hotel" errichtet werden kann, wäre das ein weiterer Schub für die ganze Region, bis weit nach Thüringen hinein.
Und dann noch eine Anekdote: Einem DDR-Offizier war die Flucht über die Grenze gelungen. Der Zollbeamte Ebertsch begrüßte ihn und schenkte ihm ein Bier ein - leider war es eine Marke, die im Kronacher Raum nicht sehr beliebt war. "Aber der Offizier meinte, dass es ,vorzüglich‘ schmecke", erinnert sich Ebertsch - "da wusste ich, dass es den Menschen in der DDR schlecht gehen muss."