Ausgerechnet die Herrngasse in Coburg wird von auffallend vielen Frauen geprägt. Wir haben sie besucht - in den Gesprächen ging es um große Träume, frische Luft und unvergesslichen Schaschlik.
Vor acht Jahren kamen Tanja Stadlmeyer und ihr Mann Jakob "runter vom Berg": Zuvor hatten sie den Festungshof bewirtet, nun also die ebenfalls traditionsreiche Loreley. "Wir fühlen uns sehr wohl hier", sagt Tanja Stadlmeyer, auch wenn sie wegen Corona zurzeit nur sonntags geöffnet haben und Essen zum Abholen anbieten. "Die Lage direkt zum Schlossplatz hin ist toll und das Ambiente der Gasträume sowieso!" Ebenso schwärmt sie über den Mix aus Stammgästen, Touristen oder an Pfingsten den CC-Mitgliedern. Für Jakob Stadlmeyer ist die Loreley sowieso etwas Besonderes: Hier war er bereits in den 1970er Jahren als Chefkoch tätig.
"Hier ist die geballte Frauenpower", sagt Steffi Cestone und lacht. Sie fühlt sich in der Herrngasse pudelwohl: "Sie ist eine der schönsten Gassen überhaupt in Coburg!" Den besonderen Reiz macht für sie aus, dass es sich um eine sehr geschichtsträchtige Gasse handele, in der es zugleich sehr viel kreativen Einfluss durch inhabergeführte Geschäfte und Restaurants gibt. "Wir verwöhnen die Menschen mit Kulinarik, Kultur - und Klamotten!" Eigentlich wollte Steffi Cestone heuer das zehnjährige Bestehen ihres Modegeschäfts "Emozione" groß feiern - aber dann kam Corona. Sie trägt es mit Fassung. Und kämpft - mit Frauenpower.
Für Marie Ebert ist die Herrngasse gleich aus mehreren Gründen die ideale Adresse. "Zum einen ist sie die Verbindung von zwei Herzstücken Coburgs - dem Markt und dem Schlossplatz." Zum anderen verfügt sie im geschichtsträchtigen Haus Nummer 10 über Räume (mit Fachwerk und Mauerbogen!), die perfekt zum Konzept ihres Ladens, der ebenfalls auf möglichst lange zu nutzende Objekte setzt und den sie Mitte November eröffnet hat: Marie Ebert verkauft nachhaltige Mode und Accessoires. Egal, ob etwas in Deutschland oder Nepal hergestellt wurde, muss es unter fairen Arbeitsbedingungen produziert worden sein.
Erst vor kurzem ist die Frauenquote in der Herrngasse noch einmal kräftig angestiegen: In den Räumen von "Brinarina" (jetzt Ketschengasse) gibt es nun regionale Handwerkskunst. Hinter "Wir von hier" verbergen sich Monika Stößel (Halskettenmanufaktur), Gila Dressel (Fensterbilder in Tiffany-Technik), Kerstin Schmidt (Porzellan und Keramik) und Sigrid Kraus (Produkte aus Filz). Zuvor waren die vier Frauen mit ihrem Ladenlokal am Kirchhof zu finden. In der Herrngasse hoffen sie auf mehr Laufkundschaft - und freuen sich über eine Besonderheit, die es in der Innenstadt nicht so oft gibt: "Wir haben Vesteblick!"
Herrngasse? Da gerät Antoinetta Bafas ins Schwärmen: "Hier ist für mich der Traum meines Lebens in Erfüllung gegangen!" Auf der Bühne im Haus Nummer 2 könne sie ihr ganzes Herz und ihre große Liebe für Jazz und für Weltmusik zum Ausdruck bringen. Aktuell ist es - wegen Corona - aber wirklich komplett leise im "Leise am Markt". "Diesen Stillstand im kulturellen Bereich kann ich nicht mehr ertragen", sagt Antoinetta Bafas - und tut etwas dagegen: Für Sonntag, 6. Dezember, konnte sie "Quadro Nuevo" gewinnen. Das Konzert beginnt um 18 Uhr. Zuschauer sind nicht erlaubt, aber es gibt einen Live-Stream im Internet.
Vor sieben Jahren ist Judith Bräunig mit ihrem Friseursalon von der Hindenburgstraße in die Herrngasse umgezogen - auf gewisse Weise war das auch eine Reise in die eigene Vergangenheit. "Ich verbinde mit der Herrngasse viele Jugenderinnerungen!" Nach der Schule habe sie sich zum Beispiel immer die Nase am Schaufenster der Parfümerie Wiegk (heute Lange Immobilien) platt gedrückt. "Und nach dem Kino haben wir in der Herrngasse immer ein Schaschlik gegessen!" Judith Bräunig, deren Salon sich im Hinterhof des Hauses Nummer 10 befindet, mag die Herrngasse, in der es aktuell übrigens keinen einzigen Leerstand gibt.
Bereits seit 1987 arbeitet Brigitte Maisch in der Herrngasse - in der Stadtbücherei, deren Leitung sie Anfang der 1990er Jahre auch übernommen hat. "In der Herrngasse komme ich oft gar nicht vorwärts", klagt sie mit einem Augenzwinkern: "Weil ich ständig Leute treffe!" Ihr gefällt an der Herrngasse die Mischung aus Kultur, schönen Geschäften sowie großer Geschichte. "Hier weht im Sommer immer ein frisches Lüftchen", hat sie festgestellt, "das haben die Städtebauer im Mittelalter gut hinbekommen!" Einziges kleines Manko der Moderne: "Manchmal nerven die Autos, die im Nicht-Fußgängerzonen-Bereich der Herrngasse herumkurven."
Wir fühlen uns sehr wohl hier", sagt Paola Simiele, die mit ihrem Mann Raffaele das "Pizzaiolo" betreibt. Das Restaurant im Haus Nummer 9 ist seit fünf Jahren das zweite geschäftliche Standbein der beiden Italiener, die im Steinweg auch noch die Pizzeria "Mamma Mia" haben.
Ob Mann oder Frau - wir müssen jetzt alle zusammenhalten", sagt Petra Reuther und meint damit die schwierigen Corona-Zeiten an. Sie selbst ist mit ihrem Modegeschäft 2012 vom Steinweg in die Herrngasse umgezogen. "Ich mag diesen Standort", sagt sie und schwärmt vor allem vom direkten Blick, den sie aus ihrem Laden auf den Marktplatz und zum Rathaus hat.
Übrigens: Wer einen Bummel durch die Herrngasse unternimmt, wird natürlich auch auf Geschäfte, Lokale und Institutionen treffen, die von Männern geführt werden. Aber: Die Frauenquote ist dennoch höher als in allen anderen Gassen. Im Haus der Tourist-Info hat übrigens das Coburger Citymanagement seinen Sitz - unter der Leitung von Andrea Kerby-Schindler.