Tankred Dorst Figuren schaffen Raum in Coburg

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Tankred Dorst und Ursula Ehler zu Gast im Landestheater Coburg. Fotos: Carolin Herrmann
Tankred Dorst und Ursula Ehler zu Gast im Landestheater Coburg. Fotos: Carolin Herrmann
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Der 90-jährige Dichter und seine Frau Ursula Ehler standen im Mittelpunkt eines Podiumgesprächs im Landestheater Coburg. Dort wurde eine Ausstellung mit Bühnenbild- Entwürfen der Hochschule zum Stück "Die Villa" eröffnet.

Er wird die Geschichte wohl jedes Mal erzählen müssen, wenn er hier ist, die vom neun- oder zehnjährigen Tankred, wie er nach Coburg kam, hier seine erste Theatererleuchtung erlebte. Aber der 90-jährige Tankred Dorst ist liebenswert, und die Geschichte verbindet ihn mit dem Raum, dem er entstammt. Was für diesen Autor wichtiger sein dürfte als für andere. Der Bezug zum Südthüringischen und Oberfränkischen ist in einer Reihe seiner über 40 Stücke gegeben.

"Die Villa", 1980 uraufgeführt, spielt 1948 in "Grünitz", womit Sonneberg gemeint ist. Im Ortsteil Oberlind kam Dorst 1925 zur Welt. In der Villa des Fabrikanten Kurt Bergk treffen Familie und Flüchtlinge zusammen, nicht vergangene Vergangenheit und Orientierungslosigkeit. Die Bezüge zu Dorsts eigener Herkunft sind zu erkennen, doch in dem Podiumsgespräch im Foyer des Landestheaters unter Moderation des Berliner Tagesspiegel-Redakteurs Peter von Becker, der Dorst seit 40 Jahren begleitet, erläutert der Jubilar, wie es ihm tatsächlich ergeht.

Er startet in der "Realität", doch am Ende agieren "Fantasiefiguren, die sich eingefunden haben", in seinen Stücken. Es sind die inneren Welten, die Tankred Dorst mit seinen Stücken durchschreitet. Von denen werden viele als sehr "realistische Deutschland-Stücke" empfunden, doch es ist der innere Raum, der die äußeren Ereignisse zum intensiven Ab-, und Nach- und Analysebild werden lässt.


Der innere Raum

Und eben das war die keineswegs leichte Aufgabe für die Innenarchitektur-Studenten der Hochschule in der "Bühnenbild-Klasse" von Michael Heinrich. Ihre Entwürfe zu Dorsts Stück "Die Villa" sind jetzt im Gang des Landestheaters zu studieren.

Gut gestaltete Räume sind aus den inneren Räumen der Menschen abgeleitet, aus der Psyche, den sozialen Gegebenheiten von Nähe und Distanz, aus dem Inhalt einer Geschichte, was im heutigen Bauwesen nicht immer beachtet werde, erklärt Michael Heinrich, der mit Letzerem leider gar zu Recht hat. Seine Studenten jedenfalls schickt Heinrich zuerst in die Geschichten. "Anfangs muss viel gelabert, gedacht werden", formuliert er flapsig, und eine Studentin schildert, wie irritierend dieses Vorgehen zunächst war, wo sie doch einfach hingehen und entwerfen wollten. Aber (Bühnen-)Räume jenseits ästhetischer Beliebigkeit entstehen nur auf diesem unbequemen Weg.

Der Leiter der Bayerischen Theaterakademie, Hans Jürgen Drescher, der 20 Jahre lang bei Suhrkamp Dorsts Theaterverleger war, umriss den historischen Raum, aus dem "Die Villa" entstand. Dorsts unterschiedliche Figuren kommen an einem Ort der Grenzüberschreitung zusammen, einem "Ort des Weggehens", als sich die beiden deutschen Staaten, zwei verschiedene Systeme, herauszubilden begannen. Bleiben oder gehen, diese Frage wird 1989 erneut spezifisch deutsch relevant.

Und heute in Zeiten weltweiter Flüchtlingsströme? Intendant Bodo Busse überlegt, "Die Villa" mit Hilfe der nun vorliegenden Entwürfe tatsächlich im Landestheater zur Aufführung zu bringen.

"Tankred Dorsts Figuren haben Spiel- und Verfügungsräume in sich", charakterisiert Drescher das Werk Dorsts. "Sie lassen sich nicht vereinnahmen, sind auf der Höhe der Zeit, aber eigensinnig." Das macht sie für die Bühne so attraktiv.


Die Frau in seinen Stücken

Und diese freundliche Frau an seiner Seite? Die beiden bedenken einander mit leisen zärtlichen Gesten, sind achtsam umeinander in ihrem speziellen Raum. Ursula Ehler-Dorst stammt aus Bamberg und war von Anfang an nicht nur Muse für Tankred Dorst, sondern "Co-Autorin".

Die 75-Jährige, die seit Anfang der 70er Jahre bei Dorst ist, mag es nicht "hochgestochen". Lapidar schildert sie diese ungewöhnliche künstlerische Beziehung. "Es war ein unvermutetes Geschenk. Er hat mir von seinen Plänen erzählt, und ich hab halt was dazu gesagt." Dass sich in 45 Jahren dabei ein ungemein produktiver Dialog, ein dialogischer Prozess des Schreibens etablierte, der Dorsts Stücken diese Wahrhaftigkeit der Beziehungen verleiht, gibt Ursula Ehlers Vergnüglichkeit sicher nur rudimentär wider.

Da knurrt Tankred Dorst dazwischen: "Ich brauchte einen Partner." Was wohl nicht weniger bedeutet, als dass er den in Ursula Ehler bekommen hat. Wieder schmunzelt sie: "Ich war ungefährlich. Ich wollte ja nicht selbst schreiben, rede aber wahnsinnig gerne über Geschichten. Außerdem habe ich Angst vor Verantwortung. Wenn ich dann sage, das könnte so oder so sein, dann ist das vielleicht ganz nützlich. Und was er dann tatsächlich schreibt, dafür trägt er die Verantwortung." - Jaja.

Dann kommt ein wichtiger Hinweis. Ursula Ehler hat Bildhauerei studiert. Sie denkt zuerst an konkrete Körper im Raum, was diese "körperliche Energie" hervorrufen könnte, die man in Dorsts Figuren spürt, sagt Moderator Peter von Becker. Wenn Ursula Ehler keine (räumliche) Vorstellung von dem gewinnen kann, was Tankred Dorst ihr beim Frühstück erzählt, "wenn ich hm sage und nichts damit anfangen kann, dann denkt er weiter." Wieder dieses vergnügte, Lächeln.

Und immer die Frage nach der konkreten Person des Autors in den erdichteten Figuren. "Wenn eine Figur zu sehr ich selber bin, dann fühle ich mich nicht gut", erklärt der alte Dichter mit seiner leise gewordenen Stimme. Er hatte ja schon vorher gesagt, dass sich die Figuren von sich aus einstellen bei ihm, der dafür aber selbstverständlich große, in 70 Jahren geübte Bereitschaft, Sensibilität braucht, und dann die entsprechende Sprachkunst dazu. "Ich weiß schon, viele meiner Kollegen wollen das. Aber ich will mich nicht so intensiv einbringen. Ich bin doch ohnehin drin in der Geschichte." - Da berührt Tankred Dorst in einfachen Worten das Mysterium großer Literatur, großer Gedanken, des Geistes. Woher kommt er?

Gelockt wurde Tankred Dorst jedenfalls damals, als er mit dem Fahrrad nach Coburg gefahren war. "Es war Krieg, alles verdunkelt. Aber im obersten Stockwerk des Landestheaters blitzte Licht durch einen nicht ganz geschlossenen Vorhang", erzählt Dorst gerne noch einmal. "Da dachte ich mir, hinter diesem Vorhang will ich sitzen und Dramaturg sein. Was ein Dramaturg macht, wusste ich nicht."

Als er dann nach der Aufführung in der Loreley mit seiner Mutter Kloß aß, da kam Torquato Tasso, einer seiner mythischen kindlichen Lieblingsfiguren, höchstselbst herein. Der wollte auch Kloß essen. Da war's um Dorst geschehen.

Filme
Weiter geht es in der Tankred Dorst-Woche, die das Landestheater zu Ehren des 90-jährigen Autors gibt, im Kino Utopolis. Dort werden die Dorst-Filme "Mosch" heute und "Klaras Mutter" am Mittwoch, 27. Januar, gezeigt, Beginn jeweils um 20.15 Uhr. Im Anschluss an die Filme moderiert Peter von Becker Autorengespräche mit Tankred Dorst und Ursula Ehler-Dorst.

Lesestunde
Schauspieler erwecken Dorsts Märchenwelt aus "Ameley, der Biber und der König auf dem Dach" zum Leben bei der heutigen Lesestunde für Kinder um 11 Uhr in der Reithalle.

Lesemarathon
Mit Ausschnitten aus "Ich, Feuerbach", "Nach Jerusalem", "Die Kurve", "Der schöne Ort" und "Merlin" präsentieren Ensemblemitglieder einen Querschnitt durch Dorsts Schaffen. Freitag, 29. Januar, 19 Uhr, Reithalle.