Während die Coburger Anhänger ihre Mannschaft in den Sommer verabschiedeten, schlägt Jan Gorr bei seiner Saisonanalyse auch selbstkritische Töne an.
Nach dem Spiel stand am Samstagnachmittag in der HUK-Arena alles im Zeichen des Abschiedes: Aus dem Erstligateam wurden neben Akteuren aus der Drittligamannschaft und Funktionären Adnan Harmandic, Steffen Coßbau und Nico Büdel verabschiedet. In Einspielern auf der Leinwand sagten auch bisherige Weggefährten dem Trio auf Wiedersehen. Den meisten Beifall gab es für den jetzt für den ThSV Eisenach spielenden Matthias Gerlich, der zum Ruhestand von Steffen Coßbau sagte: "Was sind schon 29 Jahre - ich kann den HSC nicht verstehen, dass sie so ein Juwel gehen lassen."
Mainstream-Handball zum Start?
Nach den Abschieden lag dann aber mit der Präsentation des neuen Vereinslogos wieder ein Gefühl von Aufbruchstimmung in der Luft. Und die Fans gaben frei nach "Paulchen Panther" das Motto für die neue Saison auf den Weg: "Heute ist nicht alle Tage, 1. Liga, wir kommen wieder, keine Frage!"
Warum es letztendlich nicht zum Klassenerhalt in der ersten Saison in der Handball-Bundesliga gereicht hat, analysiert HSC-Trainer Jan Gorr offen im Tageblatt-Interview.
Herr Gorr, wo sehen Sie den Hauptgrund für den sofortigen Wiederabstieg?Jan Gorr: Da gibt es viele Gründe. Anfangs haben wir, das Melsungen-Spiel ausgenommen, handballerisch qualitativ nicht auf dem Level agiert, um in der 1. Liga Punkte einzufahren. Ein Punkt, der mich als Trainer bei meiner kritischen Reflexion der Runde beschäftigt, ist die Frage, ob wir zu Beginn vielleicht zu viel Mainstream-Handball gespielt haben. Gerade Details und Raffinesse im Vergleich zu gestandenen Teams haben uns zunächst gefehlt. Das haben wir erst im Laufe der Saison erarbeiten können. Ein weiterer Aspekt waren unsere fast bizarren Personalsorgen. Ohne personell nachbessern zu können, hat uns dann phasenweise einfach auch die Substanz gefehlt, um in der Bundesliga mitzuhalten.
Sie haben vor Saisonbeginn den Teamgedanken über alles gestellt. Eine richtige Entscheidung?Ja, in unserer Situation der alternativlose Weg. Auch wenn ich feststellen musste, dass wir in dem Bereich nicht weit genug waren. Am Anfang haben wir als Mannschaft noch nicht optimal funktioniert. Das haben wir vor allem in den Spielen gegen Lemgo, Stuttgart und Wetzlar gesehen. Über die Runde konnten wir das dann aber deutlich verbessern.
Es gab oft viel Lob vom Gegner. Wie geht man damit um?Punkte ersetzt das nicht. Aber das ist natürlich eine tolle Wertschätzung und bestätigt die Entwicklung, die wir genommen haben. Das Team hat mehr als einmal unter Beweis gestellt, dass es sich extrem verbessert hat. Gerade in der Rückrunde, mit dem Mehr an personellen Möglichkeiten haben wir ein deutlich anderes Niveau erreicht als in der Hinrunde. Neben den notwendigen Punkten hat uns vor allem eine Portion Cleverness und Kaltschnäuzigkeit in der "Crunchtime" gefehlt. Hier haben wir uns gerade in der Hinrunde das ein oder andere Mal abkochen lassen, obwohl wir über das Spiel hinweg nahezu ebenbürtig waren. Ganz besonders denke ich dabei an unsere knappe Niederlage in Hannover oder auch das Spiel zu Hause gegen Stuttgart.
War die 1. Liga wie von Ihnen erwartet?Überwiegend ja. Wir wussten, was auf uns wartet. Gerade die herausragende Physis und Athletik, das Spieltempo und die Präzision in jeder Aktion sind Hauptunterschiede zur 2. Liga. All das konnten wir bei uns im Saisonverlauf verbessern. Es hat aber seine Zeit in Anspruch genommen. Im Abstiegskampf dachte ich, dass 18 Punkte reichen würden. Aber die Leistungsdichte ist noch einmal deutlich größer geworden und wir haben ein unglaublich spannendes Finish erlebt. Mittelfristig möchten wir den HSC auf diesem Liga-Niveau etablieren, dies allerdings nicht um jeden Preis. Wir haben dabei auch die Gesamtentwicklung unseres Vereins, vor allem im Nachwuchsbereich, im Auge. Mit der A-Jugend spielen wir jetzt zum ersten Mal Bundesliga und haben mit der B-Jugend im Viertelfinale um die Deutsche Meisterschaft gestanden. Zusätzlich ist unsere 2. Mannschaft jetzt in der zweiten Saison in der 3. Liga am Start. Das sind aus meiner Sicht bemerkenswerte Entwicklungen in den letzten drei Jahren, die wir fortsetzen wollen.
Wie fällt Ihre Bewertung der Saison aus?Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Wir hatten mit unseren Anhängern zusammen tolle Erlebnisse in dieser 1. Liga. Und am schönsten wäre es natürlich gewesen, auch kommende Saison dort zu spielen. Wir haben für die Zukunft extrem wichtige Erfahrungswerte sammeln können und gerade die letzten Wochen zeigen, was möglich gewesen wäre. Wir müssen aber auch selbstkritisch anerkennen, dass wir noch nicht gut genug waren. Deswegen schauen wir schon jetzt auf die nächste Saison und die Gelegenheit, die gewonnen Eindrücke aus unserem Erstligajahr direkt mit einzubringen. Wenn uns perspektivisch die Rückkehr in die 1. Liga gelingen sollte, wollen wir auf jeden Fall besser vorbereitet sein. Obwohl wir viele Spiele in der Saison nicht gewinnen konnten, ist die Qualität im kämpferischen Bereich in nahezu jedem Spiel sichtbar gewesen. Das spricht für eine große Charakterstärke unserer Mannschaft. Bis zum letzten Spieltag haben wir uns so präsentiert und mit erhobenem Haupt aus der 1. Liga verabschiedet - zumindest vorübergehend.
Die Fragen stellte Ralph Bilek.