Warum sollte man heute noch ein Werk wie Ralph Benatzkys "Im weißen Rößl" auf die Bühne bringen? Gastregisseur Tobias Materna verrät, warum er dieses Singspiel auch mehr als acht Jahrzehnte nach der Uraufführung keinesfalls für verstaubt hält.
Wer von Benatzkys Singspiel "Im weißen Rößl" spricht, denkt vielleicht an eine Postkarten-Idylle längst vergangener Zeiten. To bias Materna aber, der das Werk am Landestheater inszeniert, sieht das völlig anders. Das Werk feiert am Samstag Premiere am Landestheater Coburg.
Ralph Benatzkys Singspiel ist Ihre erste Regiearbeit im Musikthe ater. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Tobias Materna: Ich habe zwar in der Vergangenheit immer wieder auch mit Schauspielmusik, mit Revuen und Ähnlichem zu tun gehabt. Insofern ist mir das nicht völlig fremd. Aber es ist tatsächlich meine erste Arbeit mit Profisängern. Und natürlich merkt man, das Schauspiel und Musiktheater wirklich verschiedene Kunstformen sind. Man spürt den Respekt der Sänger vor den zum Teil sehr langen Sprechstrecken, die sie in diesem Stück bewältigen müssen.
Und umgekehrt merkt man den Respekt der Schauspieler, wenn die Sänger eine musikalische Nummer aus dem Ärmel schütteln. Wichtig ist, dass alle einem Strang ziehen. Man kann bei einer solchen Produktion, die spartenübergreifend ist, viel voneinander lernen.
Das "Weiße Rössl" ist fraglos in die Jahre gekommen. Muss man dieses Stück "retten"?
Aus meiner Sicht muss das "Weiße Rössl" gar nicht abgestaubt werden, weil es überhaupt nicht verstaubt ist. Richtig ist, dass die Verfilmung mit Peter Alexander, die noch immer bei vielen Zuschauern bekannt ist, Akzente in eine bestimmte Richtung gesetzt hat. Aber wenn ich den ursprünglichen Text nehme und die Noten durchblättere, dann wundere ich mich, wie frech die damals waren. Man muss das Stück zeigen, wie es wirklich ist - dann "rettet" es sich von selbst.
Es ist für mich noch immer überraschend frisch und auch mutig.
In Coburg ist das Werk in der Fassung der "Bar jeder Vernunft" zu erleben. Wie beschreiben Sie diese Fassung?
Sie ist sehr reduziert - solistische Streicher, Drumset und Klavier und in einer Nummer wird unser musikalischer Leiter Lorenzo Da Rio auch Akkordeon spielen. Ich bin sehr glücklich über die Entscheidung, diese Fassung zu nehmen. Sie hat etwas Raues im positiven Sinn, eine gewisse Unverfrorenheit. Die solistischen Streicher haben eine Leichtigkeit, eine Chuzpe, die ich sehr schätze.
Nach den Probenerfahrungen bei Ihrer ersten Musiktheater-Regie: Wollen Sie in dieser Richtung weiter arbeiten?
Ich bin Feuer und Flamme, habe Blut geleckt, würde die Arbeit in diesem Bereich gerne fortsetzen. "Die Fledermaus" will ich unbedingt einmal machen.
Dazu habe ich, wie ich glaube, schon ein paar schöne Ideen.
Worauf muss man besonders achten, wenn man das "Rößl" inszeniert, damit es nicht in die falsche Richtung rutscht?
Das ist ein großartiges Stück mit großartigen Melodien. Man muss den Kitsch, der natürlich auch drin steckt, als etwas Schönes annehmen. Man sollte sich davor hüten, dass man die Liebesgeschichte oder die Nöte der Figuren nicht ernst nimmt. Das wäre wirklich fatal. Denn diese Figuren haben wirklich Nöte und Ängste. Das "Rößl" ist gar nicht so leicht. Die Komödien sind ja auch im Schauspiel nicht immer die leichteren Sachen. Das "Weiße Rößl" mit dem Etikett Singspiel klingt nur so leicht, aber wenn man nicht aufpasst, läuft man schnell Gefahr, dass es einfach nur nett ist.
Was ist aus Ihrer Sicht das zentrale Thema dieses Singspiels?
Die große Liebe.
Im Grunde ist das eine Romeo und Julia-Geschichte, auch wenn die in der "West Side Story" anders ausgeht als "Im weißen Rößl".
Wo siedeln Sie das Stück zeitlich an?
Im Grunde in der Entstehungszeit, auch wenn wir nicht den Landhaus-Stil zeigen werden, sondern den Bauhaus-Stil. Dazu gibt es einige Brücken ins Heute, für die wir aber beispielsweise kein Handy auf der Bühne brauchen.
Das ist jetzt bereits Ihre vierte Inszenierung am Landestheater Coburg. Wie gut kennen Sie die Stadt bereits?
Zwischen Bahnhof und Veste kenne ich Coburg inzwischen schon ganz gut, es gibt auch Menschen außerhalb des Theaters, die man wiedererkennt. Im Grunde ist Coburg schon ein bisschen Heimat geworden. Es ist auf jeden Fall angenehm, an ein Haus zu kommen, an dem man schon einige Schauspieler kennt, an dem man die Techniker kennt.
Man kommt so sicher schneller auf einen gemeinsamen Nenner bei der Arbeit.
Das Werk und seine Interpreten Premieren-Tipp "Im weißen Rößl", Singspiel von Ralph Be natzky in der Fassung der "Bar jeder Vernunft", Samstag, 29. März (Beginn: 19.30 Uhr), Landestheater Coburg
Produktionsteam Musikalische Leitung: Lorenzo Da Rio;
Inszenierung: Tobias Materna;
Bühnenbild Jan-Hendrik Neidert; Kostüme Lorena Diaz;
Choreografie Tara Yipp; Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio; Dramaturgie Georg Mellert
Tobias Materna wurde 1971 in Tübingen geboren. Von 2003 bis 2008 war er Leiter der Spielstätte Wartburg am Hessischen Staatstheater Wiesbaden.
In Coburg hat er gemeinsam mit Till Kuhnert "Sein oder Nichtsein", Friedrich Schillers "Maria Stuart" im Großen Haus und Jaan Tättes Schauspiel "Elchtest" im Theater in der Reithalle auf die Bühne gebracht.
Entstehung Benatzkys Singspiel wurde am 8. November 1930 im Großen Schauspielhaus Berlin uraufgeführt. Musikalische Einlagen stammen von Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert und Robert Stolz.