Premiere Christoph Nußbaumeders bayerische Familiensaga "Eisenstein" lastet in der Inszenierung von Tilman Gersch am Landestheater schwer auf den Generationen und den Zuschauern.
von unserem Redaktionsmitglied
Carolin Herrmann
Coburg — Die Holzpaletten krachen auf die Bühne des Landestheaters. Wieder und wieder, immerzu. Sie stehen für die große Mühe, die endlose Arbeit, genauso aber für die inneren Mühen, die Seelenqualen über Generationen hinweg. Alle schleppen Holzpaletten vor der übermächtigen Holzwand mit den riesigen Toren (Bühne Henrike Engel), vom Knecht über die schwangere Flüchtlingsfrau bis zur kranken Bäuerin.
Wir befinden uns am Ende des 2. Weltkrieges in dem Grenzort Eisenstein, auf dem Hof, im Sägewerk der Hufnagels, die immer schon wussten, wie man mit den Herren verhandelt. Hier nimmt das aus der Lüge geborene, Genera tionen übergreifende Familiendesaster seinen Ursprung.
Wir verfolgen es in dem 2010 uraufgeführten Stück von Christoph Nußbaumeder bis in die Gegenwart, sollen nachdenken und spüren, wie die Prägungen der Vergangenheit bis zu den Kindeskindern wirken.
Und das ist entschieden zu viel in der Inszenierung von Gastregisseur Tilman Gersch. Nicht weil es zum Ende der Saison gegenwärtig zu heiß ist für so schwere Theaterkost. Das Landestheater hatte sich bei der Premiere am Samstag die Kühle bewahrt wie nicht viele andere Gebäude in Coburg. Gersch aber hat angesichts der Überfülle an Dramen im Stück keinen kühlen Kopf bewahrt.
Im Bilderbogen will der Autor mit der Geschichte von Erna, die den Hofherrscher Josef Hufnagel glauben lässt, ihr Sohn Georg sei sein Sohn, die Nazizeit und das Leid von Krieg und Vertreibung, die komplizierte ländliche Lebenswelt, das Flüchtlingselend, das Ausgeliefertsein der Frauen, die Nachkriegsgeschichte, Eheleid, die
heutige, alles verschlingende Produktivitäts- und Geldgier und noch viel mehr zeigen und über allem auch noch eine große Liebesgeschichte.
Doch die "Familiensaga" bleibt trotz des engagierten Einsatzes des Coburger Schauspielensembles und emotional gepusht mit großen Songs aus den jeweiligen Jahrzehnten ein recht grober Holzschnitt, schablonen- und klischeehaft in vielem. Was aber eben auch daran liegt, dass Regisseur Gersch vor allem im ersten Teil die Menschen dieser bäuerlichen Gesellschaft, stilisiert, dann aber auch wieder nicht genug, meist als eher tumb vorführen lässt:
Alles umsonst Weniger den Gutsbesitzer Josef durch Stephan Mertl, doch bösartig fratzenhaft den SS-ler Vinzenz Hufnagel durch Nils Liebscher, die verhärmte Bäuerin Jutta durch Kerstin Hänel, nah am Komödienstadel die Magd Corin durch Friederike Pasch und lange Zeit sogar den
unehelichen Sohn Georg Schatzschneider durch Frederik Leberle und Flüchtling Erna durch Anne Rieckhof als die Hauptpersonen. In verschiedenen weiteren Rollen agiert Niklaus Scheibli.
Die zweite Hälfte des Stückes, in der Georg eine fulminante Wirtschaftskarriere hinlegen darf, wirkt zwar differenzierter und authentischer, auch dank Kerstin Hänel als von Ernas Notlüge ebenfalls tief getroffener Hoftochter Gerlinde. Sie muss he roisch aber überflüssiger Weise auf ihren Geliebten Georg verzichten, der vermeintlich ihr Bruder ist, dann aber eben doch nicht. Doch Stück und Inszenierung stürzen und stolpern eher nervig immer weiter über die Holzpaletten. - Mensch, was muss der Leberle in dieser Produktion doch herum schuften.
Als dann auch noch der aus vermeintlicher Blutschande entstandene, doch nicht abgetriebene Sohn Albert mit seinem Leiden des Kindes, das seinen Ursprung nicht kennt, auftaucht, ist das Maß des Erfassbaren und auch emotional Nachvollziehbaren endgültig überschritten.
Am Ende steht man mit den Verbliebenen quasi am Grab von Gerlinde - mit eher geringer Betroffenheit angesichts des großen und spannenden Themas. Künstlich und falsch wirkte da gar zu viel.
Die Produktion Christoph Nußbaumeder "Eisenstein. Eine bayerische Familiensaga".
Inszenierung Tilman Gersch,
Ausstattung Henrike Engel, Dramaturgie Dirk Olaf Hanke. Darsteller: Stephan Mertl, Friederike Pasch, Anne Rieckhof, Frederik Leberle, Benjamin Hübner, Nils Liebscher, Kerstin Hänel, Niklaus Scheibli.
Weitere Termine 8., 9., 14.
Juli, 19.30 Uhr, im Großen Haus des Landestheaters.
Der Autor Christoph Nußbaumeder, wurde 1978 in Eggenfelden geboren. Er studierte Rechtswissenschaften, Neuere Deutsche Literatur und Geschichte in Berlin. Nebenher assistierte er bei verschiedenen Theater- und Filmproduktionen. Seit 2004 freiberuflicher Autor. Er hat bereits eine Reihe von Theaterstücken geschrieben.