Recht auf einen würdevollen letzten Lebensabschnitt

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Claus Fussek formuliert als Fazit seiner Erfahrungen sieben Mindestanforderungen für eine menschenwürdige Grundversorgung. Eine davon: Jeder pflegebedürftige Mensch muss die Sicherheit haben, dass ihm in der Todesstunde jemand die Hand hält. Foto: dpa
Claus Fussek formuliert als Fazit seiner Erfahrungen sieben Mindestanforderungen für eine menschenwürdige Grundversorgung. Eine davon: Jeder pflegebedürftige Mensch muss die Sicherheit haben, dass ihm in der Todesstunde jemand die Hand hält. Foto: dpa
Claus Fussek
Claus Fussek
 

Claus Fussek, Anwalt der Alten und Systemkritiker mit Bundesverdienstkreuz, prangert in Coburg bundesweite Missstände an. Was für Tiere und Kunstwerke geht, sollte auch bei alten Menschen möglich sein.

Er sagt, was sich viele nicht trauen zu sagen. Und er sagt es laut und öffentlich. Dafür, dass er gesagt hat: alte Menschen haben ein Recht auf Essen, Trinken, auf einen rechtzeitigen Toilettengang und auf eine warme Hand in der Todesstunde, bekam Claus Fussek das Bundesverdienstkreuz. "So weit sind wird schon", prangert der Sozialexperte die Pflegesituation in Deutschland an.

Zu Gast ist der Pflegekritiker am Mittwoch im Awo-Mehrgenerationenhaus und spricht vor Heimleitern, Pflegekräften, pflegenden Angehörigen, Mitarbeitern des MDK, der Sozialverbände, Ehrenamtlichen und interessierten Senioren. Bürgermeister Norbert Tessmer (SPD) vermisst die Stadträte. Lediglich Monika Stolba (SPD) ist gekommen. "Wenn wir über die Tiefgarage am Schlossplatz diskutieren würden, wäre wahrscheinlich das Kongresshaus voll - und hier?" Tessmer ist offensichtlich sauer, denn dieses Desinteresse spiegele genau die Problematik wider.


Großes Tabuthema Gewalt

Claus Fussek nimmt den Ball auf: "Ich verstehe das alles überhaupt nicht mehr. Die Pflege ist ein großes gesellschaftliches Thema, das eigentlich keine Gegner hat. "Wer ist schon gegen eine gute Pflege?" Alle müssten sich doch damit solidarisieren. Doch nichts passiert!" Fussek redet sich in Rage und nimmt sein Publikum mit. Alle wissen, was da in Deutschland, in den Alten- und Pflegeheimen, bei der Pflege zu Hause passiert. "Da geht es um Menschenrechtsverletzungen, um Gewalt, um Einsamkeit, um einen würdelosen und respektlosen Umgang miteinander. Warum lassen sich die alten Menschen das bieten?", fragt Fussek. Und die Antwort lautet immer wieder: "Aus Angst." Fussek ist empört, dass sich niemand darüber empört.

Die Menschen, die Deutschland aufgebaut haben, fühlen sich ausgeliefert und wehrlos. "Das darf nicht sein", schimpft Sozialpädagoge Fussek. Dabei greift er nicht die Pflegekräfte an, die im Minutentakt ihre Arbeit verrichten müssen, auch nicht die Angehörigen, die "einfach nur noch fertig sind und schier durchdrehen, weil sie das alles nicht mehr schaffen". Er fordert Systemveränderungen und vor allem Mut. Mut, ehrlich zu sagen, was tatsächlich im Pflegealltag passiert. Mut, auch mal ein Gesetz zu überschreiten. Mut, über die Verbandsgrenzen hinweg, Solidarität zu zeigen. Mut, die Dokumentationen in den Heimen nicht mehr länger zu optimieren.

Es gibt keine optimale Pflege

"30 Jahre kollabiert die Pflege, aber jetzt wird zertifiziert und optimiert - da stimmt doch was nicht!" Und er meint damit, dass sich immer öfter Pflegeheime mit Bestnoten von 1,0 schmücken. Fussek plädiert dafür, den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) abzuschaffen. "Die beste Heimaufsicht sind kritische Angehörige", sagt er. In einem Kindergarten oder einem Tierheim gebe es so was schließlich auch nicht.

Doch sein Hauptaugenmerk liegt auf der häuslichen Pflege. Wie überfordert und hilflos, auch allein, Angehörige in der Pflege sind, macht das Beispiel von Franziska Reil deutlich. Sie war eingeladen, ihre Geschichte zu erzählen. Seit neun Jahren kümmert sie sich fast rund um die Uhr um ihren an Alzheimer erkrankten Mann.
Auch Gabriele Hetz vom Pflegestützpunkt Coburg schilderte aus ihrem Alltag Schicksale bis hin zum Tod von pflegenden Angehörigen, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse gänzlich vergessen.

Die Lösung sieht Claus Fussek in einem Bündnis an der Basis. Pflege müsste auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Auch, wenn die Angehörigen immer verantwortlich bleiben, haben sie doch auch ein Recht auf Solidarität und Unterstützung. "Wir brauchen Paten und Kümmerer", fordert der Sozialexperte. Was für Kunstwerke geht und auf Gut Aiderbichl für ausrangierte Zirkuspferde möglich ist, sollte doch auch in Altenheimen machbar sein. Dort gibt es prominente Paten, die anteilig Kosten für die Tiere übernehmen. In den Heimen könnten so beispielsweise Sozialpädagogen, Dolmetscher und Seelsorger finanziert werden. Denn über allen geschilderten Probleme steht das größte Übel: "Pflege ist ein Riesen-Geschäft!"