"Radio Influenza" wandert in Coburg zwischen Welten

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Heike Stegner-Kleinknecht (Mitte) berichtete, wie die Neustadter Mittelschule Am Moos versucht, die Talente ihrer Schüler zu fördern. Ntergia Recepoglou mitihrem selbstkomponierten Lied und Alperen Arik waren stellvertretend für die Schüler auf der Bühne. Foto: Simone Bastian
Heike Stegner-Kleinknecht (Mitte) berichtete, wie die Neustadter Mittelschule Am Moos versucht, die Talente ihrer Schüler zu fördern. Ntergia Recepoglou mitihrem selbstkomponierten Lied und Alperen Arik waren stellvertretend für die Schüler auf der Bühne. Foto: Simone Bastian
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Wie türkisch oder deutsch sind wir? In der Reithalle spiegelt "Radio Influenza" einige Facetten eines komplizierten Verhältnisses wider.

Theater - der Ort, um Geschichten zu erzählen und Fragen zu stellen. Dass diese Fragen am Ende offen bleiben, wissen wir seit Bertolt Brecht. Mit "Radio Influenza" haben Ahmed Özer und Hannes Titze ein Format geschaffen, das Geschichten erzählt, Fragen stellt und Mut hat, die Antworten offen zu lassen. Zum zweiten Mal durfte "Radio Influenza" nun von der Reithalle aus virtuell auf Sendung gehen - eine Collage aus Musik, Tanz, Talk, bunt, ernst, fröhlich, kurz auch mal wütend. Das Thema: Heimat.

In erster Linie die Heimat der Türken, die seit Anfang der 60er Jahre nach Deutschland kamen. Arbeitskraft sei gefordert gewesen, sagt Brigitte Glos, Direktorin der Agentur für Arbeit in Coburg. "Es ging um Arbeitskraft, nicht um Profession."

Was ist Heimat?

Ahmet Özer selbst ist Sohn eines dieser Männer, die geholt worden waren, um die Fertigungshallen zu füllen. "Es war eine Anwerbung!", betont der Alt-Oberbürgermeister Norbert Kastner, der in einem Einspieler zu Wort kommt. "Ohne Gastarbeiter wären wir gar nicht zurechtgekommen", sagt Landrat Michael Busch (SPD) im gleichen Film keine Minute später.

Doch wo sehen diese Menschen und ihre Nachkommen ihre Heimat? Türkei oder Deutschland oder nirgends so richtig? All diese Antworten kommen, und nicht immer war der Grund fürs Kommen der Arbeitsplatz mit dem vergleichsweise hohen Einkommen: Der Liebe wegen, aufgrund der politisch unsicheren Verhältnisse in der Türkei in den 80er-Jahren sind die Gründe, die jüngere Interviewpartner nennen.

Schnipsel formen Gesamtbild

Özer und Titze lassen ihre Videos und ihre Talkrunden unverbunden miteinander stehen. Das Gesamtbild aus all den Filmschnipseln und Gesprächen formt sich in den Köpfen der Zuschauer. Da ist der 15-jährige Alperen Arik aus Neustadt, der sich souverän vorstellt, gern in Deutschland lebt, Nelson Mandela als sein Vorbild nennt und davon träumt, Ingenieur zu werden. Die Mittlere Reife wird er in der Volksschule Am Moos schaffen, die Fachoberschule hat er fest im Blick und das Studium auch. Er dürfte es leichter haben als Güliz Celik, die um ihren Platz an der Realschule kämpfen musste, nachdem ihre Lehrer die Einser-Schülerin für ungeeignet fürs Gymnasium erklärt hatten. Heute arbeitet die Architektin im Coburger Landratsamt.

"Meine Schüler waren intelligenter als ich", sagt dagegen Klaus Gramß, der jahrzehntelang als Lehrer in Istanbul arbeitete - freilich an einer Eliteschule, die ihre Schüler auswählen konnte. Das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen war schon entspannter. Daran erinnert Güliz Celik: Die Anschläge vom 11. September 2001 hätten die Wahrnehmung verändert, sagt sie. Muslime galten nun als potenzielle Terroristen. Gleichzeitig verspricht die globalisierte Wirtschaftswelt Menschen mit "Migrationshintergrund" bessere Chancen, weil sie sich in verschiedenen Kulturen zurechtfinden. "Aber nur, wenn sie die Sprache beherrschen", betont Brigitte Glos.
Derweil versuchen Lehrer wie Heike Stegner-Kleinknecht, Leiterin der Volksschule Am Moos, all ihren Schülern gute Chancen zu verschaffen, egal welcher Herkunft.

Theater ist international

Brigitte Maisch bietet in der Stadtbücherei seit Jahrzehnten fremdsprachige Literatur an und beobachtet, dass das Satellitenfernsehen da durchaus ein Konkurrent ist. Wer will noch Romane lesen, wenn er Spielfilme in seiner Muttersprache empfangen kann? Und dann gibt es noch die Orte, an denen Internationalität selbstverständlich ist, wie im Orchester des Landestheaters. Die vier Musiker, die zwei Quartette von Vivaldi spielen, stammen aus vier verschiedenen Ländern. Musiker seien es gewohnt, zu wandern, sagt Chorleiter Lorenzo da Rio.

Deutsche Rentner in Antalya

Was ist Heimat? Einer wie Ahmed Özer sieht zumindest seine politische Heimat nicht in einer von Erdogan regierten AK-Partei. Hier drohe Unterdrückung der freien Kultur, sagt Özer. "Ich will die Türkei nicht so sehr dissen..." Daneben stehen Johannes Titzes filmische Eindrücke von der Metropole Istanbul, mit Moschee, Basar und Nachtleben. Und die Deutschen, meist Rentner, die inzwischen nicht nur als Urlauber in Antalya leben, finden dort sogar eine deutsche Kirche. Stritt nicht Coburg erst vor drei Jahren, ob es eine Moschee mit Minarett geben darf?

Viele Eindrücke, viele Fragen, viel Neues und ein paar Klischees: Bauchtanz gehörte natürlich auch zur Show. Warum sollte es im Theater anders sein als in der Wirklichkeit?