Die Psychotherapeutin Ruth Orth-Franke ist nicht allein mit ihrer Forderung nach mehr Therapieplätzen für Coburg.
Mitte Mai berichteten wir darüber, dass viele Patienten ihre psychotherapeutische Behandlung lieber selbst bezahlen, bevor sie Wartezeiten von über einem halben Jahr in Kauf nehmen. Was aber ist mit den Menschen, die sich das nicht leisten können?
Patienten vertrösten
Die Coburger Psychotherapeutin Rita Orth-Franke muss - wie viele ihrer Kollegen auch - mehrere Menschen in Not "vertrösten" beziehungsweise an die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) verweisen. "Das fällt mir unglaublich schwer. Aber ich kann niemanden einfach so hineinschieben, weil ich einfach keine Kapazitäten mehr habe." Auch Lena Petra Rockelmann-Möckel, ebenfalls Psychotherapeutin in Coburg, hat mittlerweile eine Wartezeit von einem Jahr. "Das macht für viele Betroffene keinen Sinn. Es ist traurig und frustrierend für beide Seiten", sagt sie.
Schlechte Erfahrungen mit der Terminservicestelle
Die Terminservicestelle der KVB sei zwar sehr bemüht, doch Patienten machten auch immer wieder schlechte Erfahrungen. Der angebotene Therapeut sei oft zu weit weg. Außerdem werden nur Erstgespräche geführt. Therapieplätze gebe es nicht. "Wir haben einen Riesenbedarf!"
Auf dem Papier gibt es derartige Engpässe nicht. Denn der Bedarf an Psychotherapeuten ist laut der KVB mit über 108 Prozent gedeckt.
Dennoch hat die KVB im vergangenen Jahr darauf reagiert und fünf zusätzlichen Therapeuten eine Niederlassung gewährt. Drei davon nahmen die Herausforderung an, zwei zogen ihr Angebot Corona-bedingt zurück.
Zulassungsausschuss entscheidet
Die nächste Sitzung des Zulassungsausschusses für Oberfranken findet Ende Juni 2021 statt. In dieser Sitzung wird unter anderem darüber entschieden werden, welcher von sieben Bewerbern die derzeit freie hälftige Zulassungsmöglichkeit als Psychotherapeut im Planungsbereich Kreisregion Coburg erhalten wird.
Auf Nachfrage bei der Pressestelle der KVB erläuterte Martin Eulitz, wie kompliziert die Berechnung und das Verfahren ist, bis eine Neuzulassung gewährt werden kann: "Der - ebenfalls von der KVB unabhängige - Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat alle sechs Monate den Stand der Versorgung nach den Maßstäben der Bedarfsplanungs-Richtlinie zu überprüfen."
Mehr Plätze durch Corona?
"Ich hoffe ganz fest, dass sich da für Coburg noch mal etwas verbessert, denn die Not bei den psychisch kranken Menschen ist groß", sagt Rita Orth-Franke..
Ein Punkt, der für eine zusätzliche Stelle spricht, ist die Situation in Corona Zeiten. "Bisherige Studien deuten darauf hin, dass die Inanspruchnahme von Psychotherapeuten infolge der besonderen Belastungen durch die Corona-Pandemie deutlich zunimmt. Daher hat die KVB mit Psychotherapeuten, die sich freiwillig gemeldet haben, ein Unterstützungsangebot per Videosprechstunde ins Leben gerufen", erläutert Martin Eulitz.
Sofern die Nachfrage die vorhandenen Angebote stark übersteigt, kann der Zulassungsausschuss zusätzlichen Psychotherapeuten eine Ermächtigung erteilen. Sofern sich ein solcher Anstieg des Versorgungsbedarfs nicht nur als ein vorübergehender Effekt der Corona-Pandemie darstellt, ist auch denkbar, dass Sonderbedarfszulassungen ausgesprochen werden können.
KOMMENTAR
von Christiane Lehmann
Die Not ist groß
Schon an der Stimme am Telefon hört Lena Petra Rockelmann-Möckel, wie ernst die Situation für den Menschen ist, der dringend eine psychotherapeutische Behandlung möchte. Trotzdem muss sie drei bis fünf Anrufer pro Woche an die Terminservicestelle der KVB verweien.
Die Wartezeit in ihrer Praxis wäre einfach zu lang. Das ist keine Option für Betroffene. Gerade posttraumtische Belastungsstörungen oder Burnout sind Krankheitsbilder, die zeitnah behandelt werden müssen.
Wie kann es sein, dass für die Kassenärztliche Vereinigung auf dem Papier alles stimmt?
Der Länderausschuss für Ärzte und Krankenkassen hat errechnet, dass die Region Coburg aktuell zu 108 Prozentigeversorgt ist. Immerhin wird alle sechs Monate überprüft, ob das so noch stimmt.
Betroffene wollen jedoch nichts wissen von Zahlen, deren Rechnungsgrundlage für Laien nur schwer nachvollziehbar ist. Die Verantwortlichen müssen sich der Folgen bewusst sein.
Gerade psychisch kranke Menschen brauchen eine schnelle und gute Therapie, um sich selbst und auch andere zu schützen. Denn nicht nur der Patient leidet unter seiner Krankheit - auch die Familien und Angehörigen tragen oft eine große Last, die nicht selten mit Angst und einer gewissen Co-Abhängigkeit einher geht.
Umso dringend und lauter muss der Ruf nach ausreichend Therapieplätzen sein. Fakt ist nämlich auch, dass Krankheiten der Seele nicht mal eben mit einem Medikament oder ein zwei Gesprächen geheilt werden. Kurzzeitkontigente umfassen bis zu 24 Stunden Therapie (eine pro Woche), eine Langzeittherapie erfordert manchmal sogar 80 Stunden. Die Krankenkassen sind aufgefordert die Menschen hinter den Zahlen zu sehen. Eigentlich selbstverständlich.