Eine Orgel zu spielen, ist schon sehr schwer. Sie in tausende Teile zu zerlegen und wieder aufzubauen, ist noch schwerer. Genau das passiert jedoch derzeit in der Neustadter Kirche St. Georg.
Thomas Heinemann muss aufpassen wo er hintritt, wie er sich dreht und vor allem auf seinen Kopf. Denn an seinem Arbeitsplatz ist es dunkel und eng - eine falsche Bewegung und eins feines Stück Holz oder eine kleine Pfeife geht kaputt. Mit einer Lampe leuchtet er in das verwinkelte und verwirrende Innenleben der Orgel in der Neustadter Stadtkirche St. Georg - seinem Arbeitsplatz für die nächsten drei Tage.
"Der richtige Begriff ist wohl Instandsetzung. Drei Tage bauen wir ab, danach sind wir zwei Wochen in der Firma mit reinigen, reparieren und intonieren beschäftigt. Dann sind wir wieder rund drei Wochen in der Kirche", sagt Heinemann. Er ist Orgel- und Harmoniumbauer bei der Firma Werner Bosch Orgelbau. Der Firmensitz ist in Niestetal, in der Nähe von Kassel, aber für die Orgelbauer aus Hessen ist die Neustadter Orgel keine Unbekannte.
In den 70er an der gleichen Orgel 1978 haben sie schon mal an dem sakralen Instrument gearbeitet. "Damals haben wir die Orgel um ein drittes Klavier erweitert", sagt Heinemann. Mit seinen 30 Jahren war er damals selbst nicht dabei, aber an wie vielen Orgeln er schon mitgearbeitet, weiß er selbst nicht mehr genau.
"Zwei Mitarbeiter, die vor über 30 Jahren an dieser Orgel mitgearbeitet haben sind noch immer in der Firma", sagt Heinemann, nimmt einen Zollstock in die Hand, klettert auf eine Leiter und verschwindet im inneren des Instruments. Davor steht Kantor Markus Heunisch und beobachtet gespannt die Demontage. An einigen Stellen fehlen schon die großen Orgelpfeifen und eine der drei Klaviaturen liegt seitlich auf dem Boden. "So oft kommt das nicht vor, dass eine Orgel abgebaut wird. In den 70er und Ende der 80er hatten wir mal was ähnliches", sagt Heunisch.
Der Auftrag für die Orgel-Instandsetzung musste ausgeschrieben werden und die Firma aus dem Niestetal hat den Zuschlag bekommen. Betreut werden die Arbeiten von Thomas Rothert, er ist Orgel-Dozent an der Bayreuther Hochschule. "Auf rund 56.000 Euro beläuft sich der Kostenvoranschlag für die Arbeiten", sagt Heunisch. Die Orgel wurde 1848 vom Neustadter Orgelbauer Georg Christoph Hofmann erbaut.
Bis Juli bleibt das riesige Gehäuse der Orgel leer, denn solange sollen die Arbeiten dauern. Aber auf musikalische Umrahmung ihrer Gottesdienste muss die evangelische Gemeinde in Neustadt nicht verzichten, denn es gibt Ersatz. Kantor Heunisch, der sonst auf der großen Orgel mit 3000 Pfeifen und 42 Registern spielt, zeigt auf eine Truhe unter der Kanzel: "Wir nutzen in dieser Zeit die Truhenorgel." Die ist ungefähr zehnmal kleiner als die große Schwester, die gerade demontiert wird.
In
einem Labyrinth aus Pfeifen Thomas Heinemann ist immer noch im Inneren der Orgel verschwunden, nur über eine Leiter und einen schmalen Eingang gelangt man zu ihm. "Hier hat man eher noch viel Platz, da gibt es auch ganz andere", sagt der 30-jährige und lacht. Nachdem er mit seinen vier Kollegen die Pfeifen und einige andere Teile abgebaut und mit nach Niestetal genommen hat, folgt die Reinigung im Wasserbad und dann kommt der Intonator ins Spiel. Er bläst jede der 3000 Pfeifen mit dem Mund an und verändert sie, bis sie den richtigen Klang haben. Dieser Arbeitsschritt dauert mehrere Wochen.
Der Klang von 1848 "Ziel ist es, den Klang der neueren Pfeifen von 1978, näher an den der historischen Pfeifen von 1848 zu bringen", erklärt Heinemann und nimmt eine Bleistiftgroße metallene Pfeife in die Hand und pustet rein: "Piep", ein hoher leiser Pfeifton kommt heraus.
Jetzt nimmt er eine viel größere und pustet wieder rein - ein tiefes brummendes Geräusch ist zu hören.
"Jede Pfeife hat eine eigene Form und kann so einen bestimmten Ton hervorbringen. Die großen Pfeifen sind für die tiefen Basstöne und die kleinen für die hohen Töne. Es gibt Metallpfeifen aus einer Zinn-Blei-Legierung und welche aus Holz", erklärt Heinemann. Er kann die komplizierte Physik und Feinheiten der Orgel-Welt dem Laien anschaulich und geduldig erklären: "Die 42 Register sind die Klangfarben, wie Trompete oder Holzflöte, die vorn an den Knöpfen eingestellt werden." In zwei bis drei Wochen kommt Heinemann mit gesäuberten und gestimmten Orgelpfeifen wieder, dann ist er rund drei Wochen mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Danach können die Neustadter wieder ihrer alten Orgel lauschen.