Die Erst- und Zweitklässler gehen in Scheuerfeld in die sogenannte FleGs-Klasse. Mit den Lehrplänen ist Susanne Gerhard schon durch. Die Kinder lernen schneller und voneinander.
Es funktioniert. Besser als gedacht. 21 Schüler, 13 aus der ersten und acht aus der zweiten Klasse, lernen in Scheuerfeld gemeinsam. Zwei Klassenzimmer, eine Klassenlehrerin und zusätzlich eine Lehrkraft mit acht Stunden, ausgezeichnetes Lernmaterial und begeisterte Schüler könnten aus dem Modellversuch eine Erfolgsmodell machen. Die Scheuerfelder FleGs-Klasse ist die einzige in der Region, die das flexible Schulmodell ausprobiert.Rektor Axel Meyer von der Melchior-Franck-Schule ist stolz darauf und glücklich, "so eine tolle Lehrerin dafür gefunden zu haben".
Das sagt er auch den Kindern, als er sie in einer Unterrichtsstunde besucht. Und die Kinder sagen ihm, was ihnen besonders gefällt an ihrer besonderen Klasse: Ben findet es gut, dass er die Zweitklässler alles fragen kann und die ihm erklären, was er nicht so gut kann. "Und wir verstehen uns alle so gut", sagt Maxi.
Dem pflichten auch die sechsjährige Line und ihre Freundin Valentina bei.
Gemeinsam rechnen Für die Zweitklässler ist es schön, dass sie mit den Erstklässlern zusammen rechnen. Und Carolina, die schon lesen konnte, als sie in die Schule kam, langweilt sich nicht, sondern liest eben mit den Zweitklässlern. Auch die, die gut rechnen können und immer schon weiter sind als die anderen Erstklässler, haben in der FleGs-Klasse die Möglichkeit, zusammen mit den "Großen" schon im Zahlenraum bis 100 zu rechnen.
Die Kinder, die in der zweiten Klasse noch nicht so gut lesen können oder sich beim Rechnen schwer tun, bekommen den Stoff aus der ersten nochmal mit und können nachlegen. Und die, die am Ende der zweiten Klasse immer noch Nachholbedarf haben, dürfen noch ein weiteres Jahr bleiben. Das gilt nicht als sitzengeblieben.
Ein bisschen kommt einem das Modell ja bekannt vor. Wer kennt sie nicht, die Erzählungen unserer Eltern und Großeltern, die nach dem Krieg alle zusammen in einem Klassenzimmer unterrichtet wurden. Von der ersten bis zur sechsten Klasse. Auch Axel Meyer erinnert sich, wie er als Erstklässler immer schon bei den Zweitklässlern abgeguckt hat. "Aber die Voraussetzungen sind heute natürlich viel besser als damals", erklärt er den Kindern.
Chance nutzen Für Susanne Gerhard war die Übernahme der FleGs-Klasse natürlich auch neu. Doch die 48-jährige, erfahrene Grundschullehrerin sah darin eine Chance. Die Chance, alternative Schulmodelle auszuprobieren und mit den Kindern anders, individueller, spielerischer zu lernen.
Und sie zeigt, wie's geht.
Wer hätte es gedacht, aber da wünscht man sich fast, noch einmal zur Schule gehen zu dürfen:
Singend beginnt der Unterricht, springend wechseln die Kinder von einem Klassenzimmer ins andere. Von den ordentlich gereihten Zweierbänken hin zum runden Teppich. Um den versammeln sich die Sechs- und Siebenjährigen. In der Mitte liegen sechs nummerierte Kärtchen. Zu jeder Zahl gibt es eine Aufgabe. Bei der Eins wird in die Luft geboxt, bei der Drei auf den Fersen gelaufen, bei der Sechs werden die Arme ausgeschüttelt. Die Kinder lesen und bewegen sich, die Lehrerin lässt sie im Kopf die Zahlen zusammenrechnen, abziehen und halbieren. Kommt am Ende Eins raus, wird wieder in die Luft geboxt.
Schule wie im Bilderbuch Plötzlich liegt ein dicker roter Pappkäfer in der Mitte. Die Kinder kennen ihn.
"Das ist Spunk!", rufen sie und erzählen von Pippi Langstrumpf, die den Spunk erfunden hat. Erst gestern haben sie das Buch aus dem Lesekoffer gefischt und die Geschichte gelesen. S, N, K, U, P - fünf einzelne Buchstaben werden zusammengelegt und "Spunk" wird zum Tagesthema. Denn Susanne Gerhard hat noch ein anderes Buch im Lesekoffer entdeckt, in dem Spunk Buchstaben stiehlt - bei allen Wörtern fehlt das "sp".
Jetzt geht's an die Gruppenarbeit: Wörter vervollständigen, neue mit "Sp" suchen, sortieren, erst nach Namenwörtern, Wiewörtern und Tunwörtern. Und dann noch in alphabetischer Reihenfolge.
Es ist unglaublich, wie schnell die Kinder verstehen und mitziehen. Manchmal muss die Lehrerin den Gong schlagen und den ein oder anderen auch ermahnen. Aber das ist eben so.
Zurück im Klassenzimmer sitzen die 21 Kinder auf ihren Stühlen und arbeiten still in ihren Heften.
Die Erstklässler schreiben ihre Wörter mit "Sp" ab, die Zweitklässler suchen die Sp-Wörter aus der Wortschatzliste und tragen sie vorne in ihre Liste ein.
Besondere Situation Die Methode des gemeinsamen Lernens scheint zu gelingen. Jedenfalls ist Susanne Gerhard mit den Lehrplänen (1. und 2. Klasse) bereits durch. "Das ging alles viel schneller als sonst", sagt sie und ist selbst verblüfft, wie die Kinder sich gegenseitig dabei unterstützen. Susanne Gerhard weiß aber auch, dass der Erfolg nicht zuletzt an den Räumlichkeiten in Scheuerfeld, der Ausstattung und an den lernwilligen Schülern liegt. "Das ist nicht selbstverständlich und vor allem nicht die Regel."