Fentanyl-Pflaster wirken nicht nur gegen Schmerzen: Der Wirkstoff wird von drogenabhändigen Menschen missbraucht. Sie holen die Pflaster aus dem Müll, kochen sie aus und injizieren sich den Wirkstoff.
Erst hat es die Schmerzen eines Menschen gelindert. Dann brachte es einem anderen den Tod, weil der es aus dem Abfalleimer einer Klinik geholt, sich in einer Arztpraxis erschlichen hat. Weil er es ausgekocht und sich gespritzt oder weil er es ausgelutscht hat: Ein Pflaster mit dem hochwirksamen Schmerzmittel Fentanyl. Der Wirkstoff hat einen maßgeblichen Anteil an der im vergangenen Jahr gestiegenen Zahl der Drogentoten in Bayern: Von den 27 in Nürnberg (2012: 13) und 45 (39) in München hat jedes sechste Opfer Schmerzpflaster missbraucht.
Drei Tote in Coburg Dabei scheint eine recht laxe Verschreibungspraxis mit schuld an dem Phänomen zu sein, dass nicht nur in Großstädten wie Nürnberg kritische Ausmaße angenommen hat. "Das ist ein großes Problem in Coburg", bestätigte beispielsweise auch Gerhard Amend, Vorsitzender Richter am Landgericht Coburg, gegenüber dieser Zeitung. Immerhin habe es aufgrund von Fentanyl-Missbrauch schon drei Drogentote in Coburg gegeben.
In den USA wird Fentanyl als "Super-Heroin" angepriesen, weil es ähnliche - allerdings deutlich stärkere und schnellere - Wirkungen hat wie Heroin. Durch Modifikationen wurden Designerdrogen wie das zehnfach stärker als Fentanyl wirkende "China White" abgeleitet.
Überdosierung und Suchtgefahr "Wenn man Fentanyl einfach so benutzt, birgt es eine hohe Gefahr der Überdosierung und Abhängigkeit", sagt Claudia Schuller, Sprecherin des Landesamts für Gesundheit in Erlangen. Eine neue Drogenwelle sieht sie im Fentanyl zwar nicht, aber sie sagt: "Die steigenden Zahlen durch den Missbrauch sind besorgniserregend."
Dass es überhaupt zum Missbrauch kommen kann, hat mit der Einstufung des Wirkstoffs als rezeptpflichtiges Arzneimittel zu tun. Oft gelangen Drogenabhängige über Ärzte an Fentanyl, das unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Die Süchtigen wechselten häufig die Ärzte, damit der Missbrauch des Medikaments nicht so leicht auffällt - und "erschleichen" sich immer wieder neue Rezepte, erklärt Wolfgang Gründler, Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth.
Gebrauchte Pflaster aus dem Müll Doch selbst wenn es den Wirkstoff nicht (mehr) auf Rezept gibt, haben abhängige Menschen andere Mittel und Wege, um an Fentanyl zu kommen. Wie ein Sprecher des Rauschgiftdezernats im Landeskriminalamt München erklärt, werden gebrauchte Fentanylpflaster aus Krankenhaus- bzw. Altenpflegeheimmüll entwendet. Die Pflaster gelten als Hausmüll und müssen nicht gesondert entsorgt werden. Die Bayerische Akademie für Suchtfragen empfiehlt zwar, verwendete Pflaster mit den Klebeflächen aneinanderzukleben und sie somit unbrauchbar zu machen. Aber wer kann sich im Klinikalltag diese Mühe machen?
Manchmal wird es auch gelutscht Ob nun auf Rezept oder aus dem Müll: Drogenabhängige Menschen zerschneiden und kochen die Pflaster in Wasser aus, so dass sich das Fentanyl herauslöst. Anschließend wird die Mischung intravenös gespritzt. Manchmal wird der Wirkstoff auch herausgelutscht: In jüngster Zeit fand die bayerische Polizei häufiger Drogentote, die noch ein Pflaster im Mund hatten.
Kein Nachweis im Urin Zwei Aspekte machen die Pflaster so interessant für Konsumenten: Selbst in gebrauchten ist noch bis zu 70 Prozent der ursprünglichen Fentanyl-Dosis enthalten. Gleichzeitig kann der Wirkstoff in Drogen-Urintests nicht nachgewiesen werden. Doch die Gefahr der Überdosierung ist groß.
Lebensgefährlich ist eine Injektion selbst für langjährige Fixer, wenn sie nur einen "Krümel" zu viel erwischen und der heftigen Wirkung nicht gewachsen sind. Das "Ausgangsfentanyl" wirkt etwa 80 Mal stärker als die gleiche Menge Morphin. Wichtigste Nebenwirkung von Fentanyl ist die Lähmung des Atemzentrums, die zum Tod führen kann.