Leserthema: Und immer wieder grüßt die Säge

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Blick ins Grüne: Fehlanzeige. Seit rund 16 Jahren wird der Wildwuchs regelmäßig radikal gestutzt. Eine Bewohnerin hat davon genug. Foto: Rudel
Blick ins Grüne: Fehlanzeige. Seit rund 16 Jahren wird der Wildwuchs regelmäßig radikal gestutzt. Eine Bewohnerin hat davon genug.  Foto: Rudel

Artenschutz und Rückschnitte, passt das zusammen? In einer Coburger Wohnsiedlung sorgt das seit vielen Jahren immer wieder für Diskussion.

Rosemarie Kohles wohnt seit mehr als 40 Jahren mit ihrem Mann in einer Mietwohnung am "Schießstand". Die 75-Jährige erinnert sich: "Wir konnten im Frühjahr die Holunderblüten verarbeiten und im Herbst Saft und Marmeladen machen". In den Hecken gab es Beeren und Vogelnester. "Meine Kinder haben sogar mal Feldhasen entdeckt", erzählt sie. "Wenn ich jetzt aus meinen Küchenfester schaue, dann könnte ich heulen." Denn von der grünen Idylle ist wenig geblieben.

"Seit etwa 16 Jahren werden alle drei bis vier Jahre die Hecken komplett gekappt, durch die Verholzung wächst nichts mehr", sagt sie verärgert. Schon lange würde sie sich bei der Gemeinnützigen Baugenossenschaft für den Stadtkreis Coburg beschweren. Auch eine Anwohnerin des Nachbarhauses ist durch die ständigen radikalen Rückschnitte verärgert und hofft, dass in Zukunft mehr Zweige stehen bleiben.

Alles eine Kostensache?

"Unsere Außenanlagen sind ordentlich", sagt Thomas Zier von der Baugenossenschaft: "Natürlich ginge es auch schöner. Aber das ist alles ein Preis-Leistungs-Verhältnis." Die Mieter der beiden Häuser sind Mitglieder der Baugenossenschaft. "Wir sind natürlich verpflichtet, möglichst günstige Mieten zu haben. Und zur Miete gehören nun einmal die Nebenkosten wie die Gartenpflege dazu", sagt Zier. "Man erzählt den Mietern schon lange, dass es eine Kostenersparnis ist", sagt Kohles, möchte sich aber von diesen "Phrasen" nicht mehr vertrösten lassen.

Zier fügt hinzu, dass bereits in der Vergangenheit ein Kompromiss geschlossen wurde, nur ein Drittel der Fläche zu schneiden. "Diesen Beschluss haben wir getroffen, weil es wirklich nicht gut wäre, alles wegzumachen." Für Rosemarie Kohles ist das nicht genug. Auch die häufigen Mäharbeiten stören sie schon lange. Auf der Wiese würde dadurch nur Löwenzahn wachsen. "Der entsteht in dieser Dichte ja nur, wenn nichts anderes mehr wächst, das ihn verdrängt."

Blumenwiese als Alternative

Es könne ihrer Meinung nach nicht sein, dass die Menschen das Volksbegehren Artenvielfalt unterzeichnen, vor der eigenen Haustüre aber die Lebensräume der Insekten zerstören: "Wo soll ich hier noch eine Biene retten? Höchstens, weil sie zu schwach ist und nichts mehr findet." Früher habe sie ihren Kindern erklärt, wieso die Büsche so wichtig sind. "Und was soll ich jetzt meinen Enkelkindern erzählen, warum das alles vernichtet wird?" Ihr gehe es darum, was man den nachfolgenden Generationen vermittelt und was man ihnen hinterlässt. Und das beginne bei jedem selbst vor der eigenen Haustüre.

Im gesamten Jahr seien, so Zier, die Hausmeister bei 28 Mietparteien 100 bis 125 Stunden tätig. "Das sind nicht mal fünf Stunden pro Mietpartei im Jahr und in der Woche zwei Stunden", rechtfertigt er und macht deutlich: "Ich bin auch für den Artenschutz und für die Bienen." Deswegen habe er sich überlegt, alternativ die Anlegung einer Blumenwiese in der nächsten Vorstandssitzung vorzubringen. Seiner Erfahrung nach würden viele Mieter keine Verantwortung übernehmen, wenn ein Mietergarten angelegt wird. "Da ist eine Blumenwiese genau das richtige", sagt er.

Die Seniorin ist nicht begeistert: Eine Wiese am Hang anlegen, das würde gar nicht funktionieren. Und selbst wenn, dann müsse wieder viel gegossen werden. "Besonders nach dem trockenen Sommer 2018 müssen wir uns darauf einstellen, dass es noch mehr so heiße Sommer geben wird", erklärt sie. Auch Thomas Zier teilt die Bedenken, kann aber zunächst Entwarnung geben: "Falls eine Wiese kommt, dann kommt die sicher nicht an einen Hang." Doch wohin dann ? "Wenn, dann könnte man die Wiese vor dem Gebäude anlegen", überlegt er. Allerdings würde es dort aufgrund der Bäume eng werden. Falls doch ein Platz gefunden wird, dann gebe es noch immer das Problem mit dem Gießen. "Da weiß ich jetzt schon, dass sich einige Mieter beschweren werden, weil das natürlich auch Kosten verursacht." Die Mieter bräuchten das Geld - "da das richtige Mittelmaß zu finden ist ganz, ganz schwierig." Dann gebe es wieder andere Mieter, die sagen: ,Ich will noch durch das Gras durchlaufen und meine Wäsche aufhängen können.‘ Er macht seine Lage deutlich: "Ich kann jeden irgendwo verstehen, aber wir stecken in der Zwickmühle. Man wird nie eine Einigkeit finden."

"Ich würde mich gar nicht so sehr aufregen, wenn der Rückschnitt nicht alle drei bis vier Jahre wäre", sagt Kohles. Es sei alles eine Sache der Regeneration. Das bestätigt auch Bernhard Ledermann, Leiter des Grünflächenamts: "Das auf Stock schneiden sollte man nur in langen Zeiträumen, alle zehn bis fünfzehn Jahre machen." Denn bei einem kurzen Intervall könne nichts nachwachsen. Zier schlägt einen versöhnlichen Ton an: " Auch darüber werden wir in der nächsten Vorstandssitzung sprechen. Vielleicht lassen wir die Pflanzen künftig länger stehen." Spruchreif ist zwar noch nichts, aber es ist ein kleiner Schritt aufeinander zu.

Nachhaltige Bewirtschaftung

Wie Gartenpflege und Artenschutz zusammenpassen? Bernhard Ledermann, Leiter des Grünflächenamtes, weiß: "Die Artenvielfalt wird durch die Kultivierung gesichert. Die Frage ist nur, wie man bewirtschaftet." Der Pflegeaufwand sei aber eine Kostenfrage und die finanziellen Mittel ergeben sich letztlich durch die Politik. Durch das Volksbegehren Artenvielfalt, hofft er, könnte das Grünflächenamt vielleicht bald mehr Mittel zur nachhaltigen Bewirtschaftung erhalten.

"Ein Sportrasen bleibt aber ein Sportrasen, da wird auch das Volksbegehren nichts daran ändern", sagt Ledermann. Wo es aber möglich ist, da soll der Artenschutz stärker beachtet werden: "Biodiversität spielt die ganze Zeit eine große Rolle bei uns, bestimmt wird sich das bald verstärken." Eines von vielen Beispielen sind die "Kräuterinseln" im Hofgarten. Hier werden Kräuter stehen gelassen. Gemäht wird um sie herum. Das erschwere zwar die Arbeit, komme den Insekten aber zugute. "Das wollen wir in Zukunft konsequenter machen", versichert er.