Warum es sich lohnen kann, den Blick beim Gang durch die Stadt ganz bewusst nach oben schweifen zu lassen.
Wer mit offenen Augen durch Coburg geht, könnte viele interessante Dinge entdecken - zum Beispiel Architektur-Details an Häusern, die man eigentlich gut kennt. Warum aber werden diese Details trotzdem immer wieder übersehen, obwohl man sie mühelos entdecken könnte, wenn man den Blick nicht auf das nächste Schaufenster, sondern auf die oberen Stockwerke richten würde?
Warum aber schauen die meisten Menschen schauen nicht nach oben, vor allem dann, wenn sie in ihrer Heimatstadt unterwegs sind? "Wir haben unterschiedliche Aufmerksamkeitsnetzwerke in unserem Gehirn", erklärt Niko Kohls, Professor für Gesundheitswissenschaften und Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg.
Wahrnehmungstrichter
Eines dieser Netzwerke, das Attention-Netzwerk, ist für die Fokussierung zuständig, erklärt Kohls - ein Erbe unserer stammesgeschichtlichen Entwicklung. Dieses Netzwerk sorgt dafür, dass der Wahrnehmungstrichter enger wird, aber gleichzeitig mehr in die Tiefe geht - beispielsweise, wenn man für einen Einkauf gezielt ein bestimmtes Geschäft ansteuert und keinen Blick hat für architektonische Details des Hauses, in dem sich dieses Geschäft befindet.
Daneben aber gibt es auch das Awareness-Netzwerk.
"Das ist der Hintergrundradar des Bewusstseins", sagt Kohls. Es wirke wie eine Radarüberwachung der Fluglotsen und prüfe, ob vielleicht ein konkurrierender Reiz auftaucht: "Dann wird der Fokus auf dem Attention-Netzwerk überlagert."
Wahrscheinlich genetisch bedingt
Damit sich Menschen in einer bunten, vielgestaltigen, oft hektischen Welt gut zurechtfinden können, "müssen beide Netzwerke gut aufeinander abgestimmt sein." Wahrscheinlich gebe es genetische Ursachen, welches Netzwerk wie stark eingestellt sei. Manche Menschen seien leicht ablenkbar, schauen gerne umher. Andere dagegen seien total fokussiert - mit den sprichwörtlichen Scheuklappen.
Was besser sei, lasse sich nicht generell sagen, das hänge von der konkreten Situation ab, sagt Kohls. Die Geschichte von Hanns Guck-in-die-Luft im Struwwelpeter sei aus heutiger Sicht die Geschichte eines klassischen ADHS-Kindes. "Wir sind sehr stark rationalistisch unterwegs", sagt Kohls. Das Resultat ist bekannt: Der Blick geht beim Gang durch die Stadt zum nächsten Schaufenster, zum nächsten Einkaufsziel, zur nächsten Eis-Diele - und meistens nicht nach oben zu den Motiven auf dieser Seite...