Franz-Markus Barwasser lässt seinen Erwin schlimmer toben über die aktuellen Verhältnisse denn je. Das Publikum im übervollen Kongresshaus war fertig.
Erwin Pelzig tobt, wütet, schimpft, rauft sich nur deshalb nicht sämtliche Haare aus, weil da dieses gräßliche Cordhüdli sitzt. Drei Stunden lang, abzüglich 20-minütiger Versorgungspause im hoffnungslos überlasteten Coburger Kongresshaus. Es waren zusätzliche Stuhlreihen eingezogen worden; der Pelzig erwähnte irgendwann was von 900 Besuchern in seinem maschinengewehrartigen Dauerbeschuss aus Fakten, Lehren, aberwitzigen Pointen, hammerartig niederschlagenden Schlussfolgerungen und schmerzenden Lehren.
Sein Kabarettisten-Kollege Dieter Nuhr hatte erst kürzlich an gleicher Stelle behauptet, dass doch alles besser geworden sei. Nach dieser Marathonsitzung mit Franz-Markus Barwasser weiß man, dass wir in diesem Wahnsinn keine Chance haben. Wenigstens analysiert ihn Barwassers wie ein irrer Derwisch durchs Land fegende Bühnenfigur Erwin Pelzig umfassend und überzeugend.
Weg von hier? Von wegen
Warum sich das dermaßen viele Leute anhören und sich dann nicht reihenweise die Kugel geben? Weil der Würzburger Kabarettist seine Kunstfigur sich für uns aufarbeiten lässt an der Wirklichkeit. Sie tobt für uns bis zur Erschöpfung, nicht Pelzigs, sondern der Besucher, die nach 23 Uhr das Kongresshaus mehr oder weniger geläutert verlassen. "Weg von hier" heißt Barwassers achtes Soloprogramm, nachdem er vorher noch tapfer und trotzig auf "Pelzig stellt sich" beharrt hatte.
Mit seiner Sprach-, seiner Darstellungskunst - zeitweise dreigeteilt in die Stammtischbrüder Dr. Göbel, Hartmut und Pelzig - und vor allem seiner unausweichlichen Erfassung der Realität lässt Barwasser die Leute sich kaputtlachen, während er ihnen unablässig die Wirklichkeit reinhämmert. Dass Barwasser dabei nicht selbst einen Herzinfarkt erleidet - es ist der Wahnsinn.
Immer wütender wird Erwin Pelzig als Aufklärer, Kant spielt diesmal eine besonders große Rolle, bediene dich eigenständig deines Verstandes undsoweiter. Und, ja, wir brauchen den Kant mehr denn je.
Hat Pelzig irgendeinen Aspekt des herrschenden Zynismus' ausgelassen? Die weltweit immer zahlreicher werdenden, sogar per Wahlen gepflegten Autokraten und Tyrannen. Die Plünderer Europas. Big Dada und der zügellose Datenkapitalismus. Die geradezu grotesk umfassende Macht, die Facebook hat. Dass wir "zugekackt werden mit Informationsdreck", was uns am tatsächlichen Wissen und Verstehen hindert. Die "sozialen Medien", die aus Denkfaulheit, Rechtschreibschwäche und Internetzugang bestehen. Das Lügen als anerkannte Methode im postfaktischen Zeitalter.
Das Gesetz der Schwerkraft
Wenigstens heben im Saal alle den Arm, als er Pelzig fragt, wer an die Schwerkraft glaubt. In Dresden habe er da eine andere Erfahrung gemacht. Im Norden lösen sich Eisberge doppelt so groß wie das Saarland. Und doppelt so bedeutend. Aber an den Klimawandel "glauben" viele immer noch nicht.