Als Gastregisseurin bringt Jean Renshaw Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" auf die Bühne des Coburger Landestheaters. Was sie an dieser Oper besonders interessiert, verrät sie im Gespräch.
Wiedersehen mit Coburg: Die Inszenierung von Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" ist für Gastregisseurin Jean Renshaw bereits die vierte Arbeit am Landestheater. Gemeinsam mit Ausstatter Christof Cremer, mit dem sie in der vergangenen Spielzeit eine wunderbar lebendige Deutung von Donizettis "Liebestrank" erarbeitet hat, bringt sie die populäre Märchenoper auf die Bühne. Das Werk feiert am 6. Dezember Premiere.
Humperdincks "Hänsel und Gretel" wurde im Dezember 1893 in Weimar uraufgeführt. Was reizt Sie als Regisseurin heute an einer Märchenoper des späten 19. Jahrhunderts?Jean Renshaw: Ich bin ein ganz großer Märchen-Fan. Märchen sind ein ganz kostbares Erbe. Sie vermitteln den Kindern ungeheuer viel, ohne den pädagogischen Zeigefinger zu heben.
"Hänsel und Gretel" ist ein ganz kostbares Märchen, weil es den Kindern - in einem Satz gesagt - vermittelt: Wenn sie Mut haben, ihre Angst zu überwinden und sich dem Bösen stellen, wenn sie das Böse besiegen und die Verantwortung für ihr eigenes Tun übernehmen, gehen sie bereichert davon, werden erwachsen.
Wo sehen Sie den zentralen Konflikt in diesem Werk? Was kann diese Oper heute noch erzählen?Das Grimms Märchen beginnt mit Hunger. Die Mutter verstößt die Kinder am Anfang, weil sie selbst Angst hat zu verhungern. Sie schickt die Kinder in den Wald. Und in diesem dunklen, unbekannten Wald treffen die Kinder auf das Böse. Das Böse sieht eigentlich ganz wohltuend aus. Es bietet wahnsinnig viel zu essen an, es bietet all das, was die Kinder ansonsten nicht bekommen. In diesem Schein aber verbirgt sich eine große Gefahr.
Die Kinder begeben sich in Gefahr, aber während der Geschichte werden sie erwachsen. Am Beginn der Geschichte streiten sie sich als Kinder, aber im Lauf der Geschichte lernen sie, als Team zu arbeiten. Am Ende kehren sie bereichert zu ihren Eltern zurück. Im Märchen der Gebrüder Grimm erhalten sie am Ende noch Juwelen. Das versuche ich, in die Geschichte einzubauen. Wenn sie nach Hause zurückkehren, sind sie keine Last mehr für ihre Eltern, weil sie erwachsen geworden sind, weil sie Verantwortung übernommen haben.
Haben Sie schon andere Märchenstoffe inszeniert?Ja, einige. Ich habe zum Beispiel schon "Rumpelstilzchen" gemacht, "Die kleine Hexe", "Gespensterjäger auf eisiger Tour", "Der kleine Wassermann". Ich arbeite wahnsinnig gerne für Kinder, auch wenn diese Oper natürlich nicht nur für Kinder gedacht ist, sondern wirklich auch für Erwachsene.
Da stecken viele Momente der Identifikation auch für Erwachsene drin.
Jeder Opernfan glaubt, "Hänsel und Gretel" zu kennen, hat entsprechend klare Vorstellungen, was von dieser Oper zu erwarten ist. Wie gehen Sie mit solchen Erwartungshaltungen um, wie gehen Sie an dieses Werk heran?Ich gehe an solche Stücke mit sehr großem Verantwortungsgefühl heran. Mit meiner Inszenierung möchte ich kein Kind enttäuschen. Zusammen mit meinem Ausstatter Christof Cremer möchte ich die Geschichte so erzählen, dass niemandem etwas fehlt. Es gibt ein Hexenhaus, ja, wir haben eine Hexe, eine fliegende Hexe. Es gibt all' das, was man erwartet - es findet nur ohne den üblichen rustikalen Rahmen statt. Dafür hat Christof Cremer mit großem Geschmack gesorgt. Man wäre ganz falsch am Ort, wenn man versuchen würde, auf Teufel komm raus diese Geschichte neu zu erzählen.
Die Geschichte zu erzählen und eine Botschaft zu vermitteln, ist schon schwierig genug.
Wann haben Sie dieses Stück zum ersten Mal live auf der Bühne gesehen?In Dortmund, 1998 war das - in einer Inszenierung von Dominik Wilgenbus. Aber gelesen habe ich das Märchen natürlich schon als Kind in der Fassung der Gebrüder Grimm.
"Hänsel und Gretel" wird gern zur Weihnachtszeit aufgeführt, obwohl die Handlung keinen Bezug zu Weihnachten hat. Welche Rolle spielt das für Ihre Inszenierung?Im Grunde spielt das keine Rolle für mich. Nur weil es zu Weihnachten gezeigt wird, muss in diesem Stück kein Weihnachtsbaum auf die Bühne kommen. Die Handlung spielt ja zudem eigentlich im Sommer. Es gibt Vögel, es gibt einen Kuckuck, alles ist Sommer. Das spiegelt sich auch in der Musik, das kann man nicht überdecken.
Dafür gibt es in dieser Geschichte aber genügend Überraschungen.
Wie viel Vorbereitungszeit erfordert eine solche Inszenierung?Ich brauche immer ungefähr ein Jahr Vorlauf. Am Anfang informiert man sich, liest viel, dann überlegt man sich, wie das Stück stattfinden kann. Dann überlegt man mit dem Bühnenbildner: Wo könnte die Geschichte stattfinden, welche Räume braucht man. Das ist ein langer Prozess.
"Hänsel und Gretel" ist bereits Ihre vierte Inszenierung am Landestheater. Wie gut kennen Sie Coburg inzwischen? Bleibt Zeit, die Stadt zu entdecken?Eigentlich nicht. Die Veste habe ich besucht - das war's aber auch schon. Sorry.Wenn ich Rentnerin bin, komme ich zurück und gehe endlich mal in die Ehrenburg. Während der Probenzeit bin ich eisern, da arbeite ich nur - fast ein wenig verbissen.
Jede Szene wird stundenlang vorbereitet.
Was kommt nach einer Premiere? Erleichterung, Trauer, dass Sie das Stück aus der Hand geben müssen?Glück, dass man ein Stück aus der Hand geben darf - keine Trauer. Ich sitze immer in Premieren und genieße. Natürlich bedeutet eine Premiere immer auch einen Abschied. Aber gerade deswegen finde ich es wichtig, dass man versucht, jeden Moment zu genießen.
Sie bringen "Hänsel und Gretel" nach Coburg Premieren-Tipp "Hänsel und Gretel" - Märchenoper von Engelbert Humperdinck, Samstag, 6.
Dezember, 19.30 Uhr, Landestheater Coburg
Produktionsteam Musikalische Leitung: Anna-Sophie Brüning
Inszenierung: Jean Renshaw
Bühnenbild und Kostüme: Christof Cremer
Dramaturgie: Renate Liedke
Einstudierung Kinderchor: Daniela Pfaff-Lapins
Jean Renshaw Die Regisseurin Jean Renshaw wurde in England geboren und studierte in ihrem Heimatland Klassischen Tanz. Nach ihrem ersten Engagement am "London Ballet" tanzte sie in Darmstadt, Nürnberg und Wiesbaden. Ende der 80er debütierte sie als Choreografin. Seit einigen Spielzeiten arbeitet sie auch als Regisseurin. Am Landestheater stellte sie sich mit John Kanders "Curtains", dem Gershwin-Musical "Crazy for You" und Donizettis "Liebestrank" vor.
Christof Cremer absolvierte eine Ausbildung zum Herrenschneider und studierte Bühnen- und Filmgestaltung an der
Hochschule für Angewandte Kunst in Wien (1993 bis 1997). Cremer arbeitet in den Bereichen Oper, zeitgenössisches Musiktheater und Sprechtheater sowie Ballett und Tanz.