Abdul Basir müht sich um die richtige Schreibweise der eben gelernten Wörter. Foto: Helke Renner
Gregor Malinowski ist für die Jungen aus Afghanistan und Syrien einer der wichtigsten Ansprechpartner. Von ihm lernen sie nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch viel über Deutschland. Foto: Helke Renner
Die Seife - nicht nur die Bezeichnung, sondern auch der Artikel stehen auf den Schildern. Foto: Helke Renner
Der Wasserkocher hat natürlich auch ein Schild. Foto: Helke Renner
In der Klasse 7UEG erlernen 18 Jungen aus Afghanistan und Syrien die deutsche Sprache und bereiten sich auf das Leben in einem Land vor, das ihnen Zuflucht gegeben hat. Wie sie zusammen mit ihrem Lehrer arbeiten, haben sie in einem Video dokumentiert.
Es ist Dienstagmorgen, kurz vor Unterrichtsbeginn. Im Raum im zweiten Stock der Rückert-Mittelschule, an dem die seltsame Bezeichnung 7UEG für Übergangsklasse steht, wird geredet, gelacht, herumgelaufen. Nichts Besonderes oder doch? Hier gibt es kein Herumbrüllen, keine Kabbeleien und nur ein bisschen Imponiergehabe. Dabei sind die Jungs 14 bis 17 Jahre alt, also in der Pubertät, was als Synonym für komplizierte Reifezeit gesehen werden kann. Doch diese Schüler haben in ihrer Kindheit Dinge erlebt, die sie schon frühzeitig erwachsen werden ließen. Sie kommen vornehmlich aus Afghanistan, aber auch aus Syrien. Sie sind vor Krieg und Gewalt geflüchtet, um zu überleben. Nun sind sie in Deutschland - allein, ohne ihre Familien - und wünschen sich vor allem eins: die deutsche Sprache zu erlernen und einen Beruf zu ergreifen. "Wenn es hier mal laut wird, dann weil sie ungeduldig sind", sagt ihr Lehrer Gregor Malinowski. "Klar, sie sind auch mal faul, das ist normal in ihrem Alter. Aber im Großen und Ganzen benehmen sie sich astrein."
Smartphones in den Karton
Und dann geht es los mit dem Unterricht. Halt! Erst müssen die Smartphones noch abgegeben werden. Sie kommen in einen Karton. Nach der Begrüßung werden die Kerzen an einem Adventskranz angezündet und Juan spricht als erster das Gedicht "Advent, Advent, ein Lichtlein brennt". Der Reihe nach tun es alle. "Einer hat damit angefangen, das Gedicht auswendig zu lernen und aufzusagen, und die anderen haben mitgemacht. Das habe ich nicht von ihnen gefordert", erzählt Gregor Malinowski. Die Kerzen werden wieder ausgeblasen und es folgt das Stimmungsbarometer. Wie geht es Dir heute, gut, normal oder schlecht? Drei an die Tafel gemalte Gesichter verdeutlichen die Stimmung und jeder Schüler soll im Satz antworten, wie er sich fühlt und einen Strich unter das jeweilige Gesicht zeichnen. Den meisten geht es an diesem Morgen normal, einigen aber auch schlecht, anderen gut. Zwei fühlen sich gar sehr gut. "Wir machen das ein- bis zweimal in der Woche. Die Jungs sind es ja nicht gewohnt, ihre Gefühle zu artikulieren. Hier können sie das. Sie sollen sich ernstgenommen fühlen."
Bilder und Gesten
Weil nicht alle Schüler englisch sprechen und ihr Lehrer ihre Sprache nicht kennt, läuft in diesem Unterricht viel über Bilder, Gesten und spielerisches Vermitteln. Das funktioniert erstaunlich gut. Im Klassenzimmer zum Beispiel ist jeder Gegenstand und sogar der Fußboden mit einem Schildchen versehen. Da steht zum Beispiel: der Schalter, die Seife, der Wasserkocher, das Sofa und so weiter. Die deutsche Sprache ist allgegenwärtig. Solche Ideen setzt der Lehrer zusammen mit der Sozialpädagogin Elisabeth Niestroj um. Sie ist auch während des Unterrichts anwesend und unterstützt Gregor Malinowski. Da es sich bei der 7UEG um eine gebundene Ganztagsklasse - eine von zwei in Oberfranken - handelt, ist sie auch am Nachmittag für die Schüler da. "Sie bleiben jeden Tag bis 15.30 Uhr in der Schule und bekommen ihr Mittagessen hier", erläutert sie. Aber die Jungs kochen auch selbst mal. Sie sollen lernen, selbstständig zurechtzukommen. Zweimal in der Woche werden sie in der Fahrrad-AG von drei Experten im Umgang mit dem Zweirad geschult. Inzwischen ist Elisabeth Niestroj eine wichtige Ansprechpartnerin für die Schüler geworden. Sie mögen die Sozialpädagogin und haben Vertrauen zu ihr. Doch auch ihren Lehrer, der ihnen mit originellen Methoden, viel Temperament und Humor nicht nur die deutsche Sprache beibringt, sondern auch viel über die Kultur und die Lebensweise in Deutschland vermittelt, finden sie toll.
Mozarts "Kleine Nachtmusik"
Zum Beispiel Mozart. Die "Kleine Nachtmusik" hat er ihnen vorgespielt. Sie haben dazu geklatscht, geschnipst, geklopft, mit den Füßen gestampft. Und weil Mozart so ähnlich wie Montag klingt, hat einer der Jungs angefangen, die Wochentage aufzuzählen: "Mozart, Dienstag, Mittwoch...". Das ist auch der Titel eines sehenswerten Videos, das auf Youtube zu finden ist und die mitreißenden Unterrichtsmethoden von Gregor Malinowski dokumentiert.
Es ist eines von mehreren des Projektes "rUEckert international". Elisabeth Niestroj, die für einige Zeit beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet hat, konnte da ihr Wissen und Können einbringen. Einmal wöchentlich trifft sie sich außerdem mit den Klassenleitern der anderen zwei Übergangsklassen in der Rückert-Mittelschule, um Erfahrungen auszutauschen.
Doch zurück zum Unterricht am Dienstag. Nachdem die Jungs der Handwerkskammer einen Besuch abgestattet und sich bereits mit den Berufen Bäcker, Fleischer und Kfz-Mechatroniker vertraut gemacht haben, geht es jetzt um den Maurer, um die Baustelle, die Werkzeuge und die Sicherheitskleidung. Gregor Malinowkis erspart seinen Schülern dabei auch so schwierige Worte wie Fundament, Sicherheitsschuhe und Wasserwaage nicht. Die Jungs tragen es mit Humor, sprechen tapfer jedes Wort nach und schreiben es - selbstverständlich mit Artikel - auf. Sie wollen es.
Kaum Berührungsängste
Hin und wieder kommen Schüler aus anderen Klassen der Mittelschule zu Besuch. "Anfangs gab es ein paar Berührungsängste, aber es wird immer besser. Zum Teil haben sich auch schon Freundschaften gebildet", erzählt Gregor Malinowski. Ganz nebenbei kann den Jungen aus Afghanistan und Syrien auch vermittelt werden, dass Frauen und Mädchen in Deutschland als gleichberechtigt respektiert werden und auch gleichgeschlechtliche Paare zum Alltag gehören. Denn diese Erfahrung haben die meisten in ihrer Heimat nicht gemacht. "Manchmal lernen sie von den deutschen Schülern auch Sachen, die mir gar nicht gefallen", sagt ihr Lehrer schmunzelnd. "Wenn sie etwas nicht wissen, sagen sie neuerdings: keine Ahnung, statt: Ich weiß es nicht." Aber auch das gehört zum Kennenlernen eines neuen Landes, eines vermutlich zukünftigen Lebensmittelpunktes.