Die Suche nach dem richtigen Luther-Bild

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links: Martin Luther (1483-1546), Ölgemälde auf Holz von Lukas Cranach d.Ä., 1528; rechts: Martin Luther, Büste von Ernst Rietschel, Morizkirche Coburg, 1883
links: Martin Luther (1483-1546), Ölgemälde auf Holz von Lukas Cranach d.Ä., 1528; rechts: Martin Luther, Büste von Ernst Rietschel, Morizkirche Coburg, 1883
Luther-Büste im Refektorium des ehemaligen Klosters in Mönchröden.Foto: Jochen Berger
Luther-Büste im Refektorium des ehemaligen Klosters in Mönchröden.Foto: Jochen Berger
 
Luther-Büste von Ernst Rietschel in der Coburger Morizkirche.Foto: Jochen Berger
Luther-Büste von Ernst Rietschel in der Coburger Morizkirche.Foto: Jochen Berger
 
Lutherbüste vor dem Haupteingang der Luther-Schule in Coburg.Foto: Jochen Berger
Lutherbüste vor dem Haupteingang der Luther-Schule in Coburg.Foto: Jochen Berger
 
Luther-Gedenktafel auf der Veste Coburg.Foto: Jochen Berger
Luther-Gedenktafel auf der Veste Coburg.Foto: Jochen Berger
 

Mit seiner umfassenden Biografie gibt der Historiker Heinz Schilling interessante Impulse für eine Diskussion über den Reformator - auch in der Lutherstadt Coburg.

Welcher Luther darf es denn bitte sein? Schließlich hat sich noch jedes Jahrhundert, jede Generation das scheinbar passende Bild des Reformators gezeichnet - seit jenem 31. Oktober 1517, an dem die 95 berühmt gewordenen Thesen an die Tür der Wittenberger Kirche geschlagen wurden. Und dieser 31. Oktober 1517 liefert den Anlass für das immer näher rückende nächste Luther-Jubiläum des Jahres 2017.

Höchste Zeit also, sich ein aktuelles Luther-Bild zu suchen. Kämpferisch und weltoffen, heroisch und national - Luther hat schon manche Vereinnahmung erlebt und überstanden, hat schon manches Missverständnis aushalten müssen, manches Missverständnis freilich auch ausgelöst.

Welches Bild des streitbaren Reformators aber soll die Gegenwart liefern? Ein Bild des ganzen Luther - sagt der Historiker Heinz Schilling, dessen neue Biografie durchaus Schwung in die Luther-Szene gebracht hat und inzwischen
bereits die dritte Auflage erlebt. Wer sich heute mit dem 1483 in Eisleben geborenen Reformator beschäftigt, kommt jedenfalls nach Schillings Überzeugung einfach nicht vorbei an diesen Widersprüchen, an den Schroffheiten Luthers und an seinem heute erschreckenden Fundamentalismus.

Kenntnisreicher Mahner

Dabei ist Schilling kein Kirchenhistoriker, sondern emeritierter Professor für die Geschichte der frühen Neuzeit - ein Wissenschaftler, der den Kirchenmann mit kluger Distanz ins Visier nimmt. Kein Wunder also, dass Heinz Schilling ein gefragter Referent ist im Zeichen der Luther-Dekade, die immer energischer Anlauf nimmt auf das Jubiläumsjahr 2017 - auch in Coburg.

2017 ein Luther-Jubel-Jahr? Für Heinz Schilling wäre das gewiss keine tröstliche Vorstellung. Den Reformator nicht feiern, sondern würdigen - diese Formel gibt Schilling bei seinem Coburg-Besuch im Haus Contakt aus. Den Reformator befreien vom Ballast der Mythen und Anekdoten, der Verklärung wie der Verfälschung - in dieser Mission ist Schilling unterwegs.

Der Historiker ist ein kenntnisreicher Mahner - einer, der beim Thema Luther ganz genau weiß, wo die Missverständnisse lauern. Die Welt Luthers, "das ist eine Welt, die nicht mehr die unsere ist", warnt Schilling seine Zuhörer immer wieder und versucht dann dennoch eine kritische Annäherung.
Manches gerne gepflegte Luther-Klischee geht unweigerlich über Bord, wenn sich Schilling dem Leben und Wirken des Kirchenmannes nähert. Die Verweltlichung der Religion habe Luther "umgekehrt in eine Welthaltigkeit der Religion", sagt Schilling.

Die Entheroisierung des Reformators ist sein Anliegen - die Entlarvung der vielen Luther-Legenden. Dabei ist seiner Überzeugung nach der "rechte Umgang mit Luthers dunklen Seiten nicht im Sinne eines Luther-Bashing" zu verstehen, warnt Schilling: "Es geht nicht darum, Luther vorzuführen."
Nichts soll seiner Überzeugung nach verharmlost, nichts freilich auch dämonisiert werden. Die schlimmen Auslassungen Luthers über die angestrebte Vertreibung der Juden aus dem Mansfelder Land sind deshalb Schillings Überzeugung nach keineswegs als ideologischer Vorläufer des Antisemitismus der Nationalsozialisten zu verstehen.

Mitstreiter Melanchthon

Das Luther-Bild, das Schilling auf Einladung des "Evangelischen Bildungswerks" und der Buchhandlung Riemann in der Luther-Stadt Coburg entwirft, kennt viele Facetten. Dieses Bild erinnert an den fürsorglichen Familienmenschen Luther, ohne freilich dessen wüste Polemik gegen die eigenen Söhne zu unterschlagen. Es zeigt einen Menschen, der die Fähigkeit besaß, "dicke Bretter zu bohren", und der als Reformator dennoch höchstwahrscheinlich gescheitert wäre, hätte es nicht auch den eher auf Ausgleich bedachten Mitstreiter Philipp Melanchthon gegeben.


Wie unbekannt also ist Luther heute? Wer Heinz Schillings dickleibige Biografie liest, wird vermutlich von manchen lieb gewonnenen Luther-Vorstellungen Abschied nehmen müssen und doch mit vielen neuen Einsichten belohnt.




Aus dem Leben des Reformators