Die Coburger E-Autos blieben Einzelstücke

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1888 hatte Andreas Flocken in seiner Landmaschinenfabrik bereits ein Elektrofahrzeug in Arbeit. Das ist verbürgt. Wie das Fahrzeug aussah, ist unklar. Dieses Foto hier stammt vermutlich aus dem Jahr 1892.
1888 hatte Andreas Flocken in seiner Landmaschinenfabrik bereits ein Elektrofahrzeug in Arbeit. Das ist verbürgt. Wie das Fahrzeug aussah, ist unklar. Dieses Foto hier stammt vermutlich aus dem Jahr 1892.
Dieses Foto ist undadtiert, dürfte aber aus den 1890er Jahren Stmmen. Es zeigt Clara und Andreas Flocken im Elektromobil.
Dieses Foto ist undadtiert, dürfte aber aus den 1890er Jahren Stmmen. Es zeigt Clara und Andreas Flocken im Elektromobil.
 
Die Urenkel von Andreas Flocken. Links Hans Roth, Enkel der Flocken-Tochter Margarete. Daneben Peter Vogel (Lichtenfels), Beate Vogel (Hamburg) und Liselotte Specht (Köln), Geschwister und Enkel der Flocken-Tochter Anna.
Die Urenkel von Andreas Flocken. Links Hans Roth, Enkel der Flocken-Tochter Margarete. Daneben Peter Vogel (Lichtenfels), Beate Vogel (Hamburg) und Liselotte Specht (Köln), Geschwister und Enkel der Flocken-Tochter Anna.
 
Dieses Foto stammt laut Aufrschrift auf der Karte aus dem Jahr 1903: Nun hat das Fahrzeug schon Vollgummireifen und ist gefedert.
Dieses Foto stammt laut Aufrschrift auf der Karte aus dem Jahr 1903: Nun hat das Fahrzeug schon Vollgummireifen und ist gefedert.
 
Landwirtschaftsausstellung in Coburg 1910: Andreas Flocken (mit Zylinder) führt Herzog Carl-Eduard (links) an seinen Stand.
Landwirtschaftsausstellung in Coburg 1910: Andreas Flocken (mit Zylinder) führt Herzog Carl-Eduard (links) an seinen Stand.
 

Andreas Flocken war Ende des 19. Jahrhunderts Coburgs Elektropionier. Aber erst 125 Jahre später werden seine Verdienste gewürdigt.

Andreas Flocken war in Coburg lange vergessen. Der aus Albersweiler (Pfalz) stammende Fabrikant hatte sich 1879 von Zeulenroda (Sachsen) kommend in der Coburg niedergelassen. In der Callenberger Straße gründete er 1880 eine Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen. Bedarf dafür muss es gegeben haben - der Historiker Christian Boseckert nennt die Vestestädter von damals unumwunden "Ackerbürger".

Doch die neuen Zeiten der Industrialisierung hatten schon Einzug gehalten: Seit 1858 hatte Coburg Bahnanschluss, 1863 hatte Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha die Gewerbefreiheit für sein Herzogtum verkündet. Jeder durfte von da an ein Gewerbe betreiben. Das, sagt Boseckert, sorgte für einen Boom an Innovation und Industrialisierung.

1880 hatte Flocken seine Fabrik eröffnet, deren Maschinen er mit der Hilfe einer Dampfmaschine betrieb.
Doch diese Technik war zu dieser Zeit eigentlich schon nicht mehr wettbewerbsfähig: Der Wirkungsgrad zu gering, auf Kohle angewiesen. Einfacher und effizienter zu handhaben war da die Elektrizität, die aus Dampfmaschinen oder aus Wasserkraft gewonnen werden konnte.

Ab 1884 beschäftigte sich Flocken mit Elektrizität. 1885 kaufte er die benachbarte Dampfsägemühle, wo er den ersten Dynamo betrieb und Leitungen hinüber zu seiner Fabrik legte. 1890 wird er Mitpächter der nahegelegenen Schleifmühle - dort lief dann eine Turbine, die Strom aus Wasserkraft erzeugte.

1887 dürfte Andreas Flocken mit der Entwicklung eines elektrisch getriebenen Fahrzeugs begonnen haben. Das vermutet sein Urenkel Hans Roth; Belege gibt es nicht. Erst 1888: Da schreibt die Coburger Zeitung, dass in der Fabrik des Andreas Flocken "eine Dampf-Chaise" in Arbeit sei. Im gleichen Jahr hatte Flocken seine Fabrik um eine "Abteilung für Elektrotechnik" erweitert und bot "elektrische Kraft- und Licht-Anlagen jeder Art für Behörden, Industrie und Landwirtschaft" an.


Stadt blockierte den Leitungsbau

Doch so leicht kam die neue Energie in Coburg nicht voran. Zwar fand das Sängertreffen von 1886 in einer eigens dafür errichteten Holzhalle auf dem Anger statt, die komplett elektrisch beleuchtet war. Doch in der Stadt blieb Gas der bevorzugte Energieträger, als Leuchtmittel in den Straßenlaternen genauso wie als Antriebskraft für Maschinen in den verschiedenen Werkstätten und Fabrikhallen. Erst eine Explosion auf der Mauer im Jahr 1913 bewirkte ein Umdenken. Flocken hatte deshalb auch keinen Erfolg mit seinen Bestrebungen, das Bahnhofsviertel zu elektrifizieren. Per Gerichtsurteil verhinderte die Stadt, dass er das nahe seiner Fabrik gelegene Hotel Excelsior am Bahnhof mit Strom versorgen durfte. "Von einer Liberalisierung des Energiemarkts war man damals noch weit entfernt", sagt Boseckert.

Auch das Elektrofahrzeug wurde kein kommerzieller Erfolg. Boseckert mutmaßt, dass Flocken damit zu früh kam: Den alternden Herzog Ernst II. interessierte so etwas nicht mehr, und sein Nach-Nachfolger Carl-Eduard war zwar autobegeistert, aber er interessierte sich für die Benzinkutschen. Die waren den Elektrofahrzeugen damals schon an Reichweite überlegen.

Flocken muss mindestens drei verschiedene Modelle elektrischer Fahrzeuge gebaut haben, von denen noch Fotos existieren. Hans Roth ist überzeugt, dass das älteste Foto aus dem Jahr 1888 stammt. Roth ist ein Nachfahre von Flockens ältester Tochter Margarete, die nach ihrer Hochzeit nach Karlsruhe zog. Dort lebt Roth noch heute. Flockens zweite Tochter, Anna, heirate 1898 den Kaufmann Adolf Mittmann und bewohnte mit ihm das Mühlenanwesen in Redwitz an der Rodach. Das hatte Flocken 1905 gekauft und dort ebenfalls eine Turbine zur Stromerzeugung eingebaut.

Auch von Anna Mittmann gibt es Nachfahren. Liselotte Specht, geborene Vogel, lebt heute in Köln und besitzt ebenfalls die alten Fotografien ihres Urgroßvaters. "Auf meinem Foto steht ,Ernstplatz, 1892‘, erzählt sie über das älteste, in dem Flocken allein im Wagen sitzt. Entstanden wäre das Bild somit vier Jahre nach der Zeitungsmeldung. Das Fahrzeug wirkt schon sehr ausgereift und hat sogar eine elektrische Beleuchtung. Das Modell von 1903 verfügt gar schon über Vollgummireifen. Es muss einige Jahre gefahren sein, denn Peter Vogel, der Bruder von Liselotte Specht aus Lichtenfels, weiß zu erzählen, dass Flocken immer nach Redwitz fuhr, um dort nach dem Rechten zu sehen. Die Batterieladung reichte gerade so für die Strecke Coburg-Redwitz; am Ziel musste die Batterie dann wieder aufgeladen werden.


"Soll ich Engele ranmachen?"

Flocken scheint ein eigenwilliger Kopf gewesen zu sein. In der Familie Vogel werden bis heute Anekdoten über ihn erzählt. Mit welchem Herzog sich die folgende Episode zugetragen hat, ist unklar: Herzogliche Beamte sollen Flocken nahegelegt haben, die Fassade seiner Fabrik an der Callenberger Straße etwas gefälliger zu gestalten. Schließlich fahre der Herzog regelmäßig vorbei. "Ja, soll ich denn Engele ranmachen?", soll Flocken gesagt haben. Kurzum: Er sah die Verschönerungsmaßnahmen gar nicht ein.

Und laut sei er bei dem Gespräch in der Herzoglichen Verwaltung auch geworden. Als der Herzog das nächste Mal an Flockens Anwesen vorbeifuhr und den Firmenchef sah, soll der Herzog den Hut gezogen und gegrüßt haben, erzählt Peter Vogel. Auch Flockens schlechtes Personengedächtnis ist in der Familie überliefert: Flocken habe sich bei Spaziergängen oft von Tochter Anna begleiten lassen, damit die ihm sagte, wen er grüßen müsse, berichtet Liselotte Specht.

Reich wurde Flocken mit seinen Erfindungen nicht. 1910 zog er sich aus dem Geschäft zurück, in das sein ältester Sohn Robert schon 1896 eingestiegen war. Andreas Flocken stirbt im April 1913 im Alter von 68 Jahren. 1919 verkauft Robert Flocken die Landmaschinenfabrik an Alfred Axthelm. Die Firma firmiert unter "A. Flocken Nachfolger. Zuletzt werden dort Fahrräder und Motorräder verkauft. 1945 zerstört Artilleriebeschuss das Fabrikgebäude Callenberger Straße 15.


Ausstellung

Derzeit ehrt die Stadt Coburg den mutmaßlich ersten Konstrukteur eines vierrädrigen Elektrofahrzeugs mit einer Ausstellung. Dass die Flocken-Geschichte just im Jubiläumsjahr der Elektromobilität ins Coburger Bewusstsein rückte, ist einem Zufall zu verdanken: Hubertus Habel und Gerhard Eckerlein von der Initiative Stadtmuseum machten das Coburger Tageblatt auf Flockens Erfindung aufmerksam. Die Berichte erregten das Interesse von Auwi Stübbe vom Coburger Designforum Oberfranken, dem dieses Symbol für Gründer- und Erfindergeist zupass kam. Das CDO erstellte anlässlich der Coburger Connecting-Conference die Ausstellung, die nun im Ämtergebäude zu sehen ist.


Wiederentdeckung

Als Konstrukteur entdeckt wurde Flocken in der Fachwelt schon früher. 2002 veröffentlichte der Autor Halwart Schrader sein Buch "Deutsche Automobile 1885 bis 1920". Darin ist auch Flocken erwähnt. Auf der Basis von Schraders Beschreibung konstruierte der Marktoberdorfer Kfz-Sachverständige Franz Haag eine elektrisch betriebene Doktorskutsche, die unter anderem im Deutschen Museum in der Ausstellung zu 125 Jahren Elektromobilität zu sehen war. Hans Roth, der Karlsruher Urenkel, selbst Elektroingenieur und Oldtimerfan, ist jedoch mit diesem Nachbau gar nicht zufrieden und wirft Haag eine Verfälschung vor. Haags Kutsche ist nämlich mit einer Drehschemellenkung ausgerüstet. Roth aber vermutet, dass sein Urgroßvater von Anfang an eine Achsschenkellenkung verwendete, die einfacher zu handhaben war und eine bessere Kraftübertragung ermöglichte. Roth will das anhand des frühesten Fotos beweisen können. Doch niemand weiß, ob dieses Foto tatsächlich aus dem Jahr 1888 stammt und die erste "Chaise" zeigt. Haag bezweifelt das und wirft Roth seinerseits vor, das Datum auf dem Foto gefälscht zu haben.