Die Historische Gesellschaft befasst sich nicht nur mit nüchternem Quellenstudium. Es gehe auch darum, wie Geschichte vermittelt und wahrgenommen wird.
Bin ich jetzt Königin, Mutter?", fragt die 18-jährige Victoria von Kent ihre Mutter. Als diese antwortet "ja, mein Kind", verlangt Victoria, dass sie ab jetzt ein eigenes Zimmer bekommt und nicht mehr im Zimmer ihrer Mutter schlafen muss.
Der Film "Königin Victoria" benötigt nur wenige verdichtete Szenen wie diese, um zu zeigen, welches Regime Königinmutter Victoire (geborene Prinzessin von Sachsen-Coburg) und ihr Berater Baron Stockmar über die junge Frau ausüben wollten. Weitaus mehr Zeit nimmt sich Regisseur Herbert Wilcox, um die Krönungszeremonie zu zeigen. "Der Ritus stammt eigentlich aus dem Mittelalter", kommentiert Professor Gert Melville. Damit kennt sich der Historiker und Mittelalterspezialist aus. Er sitzt in dem kleinen Heimkino von Jürgen Brückner, der einige Szenen aus dem Film gezeigt hat.
Am Sonntag wird der Film aus dem Jahr 1937 in voller Länge im Utopolis-Kino laufen.
Die Hauptdarsteller Anna Neagle und Adolf Wohlbruck werden das Leben der Queen und ihres Gemahls Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha zeigen, wie man es in Großbritannien 100 Jahre nach Victorias Thronbesteigung sehen wollte. Die Romanze kommt nicht zu kurz, wenn auch nicht ganz historisch richtig. Nach Alberts Tod steht die Machtpolitik der Queen im Mittelpunkt.
Vier Filme über Queen Victoria zeigt die Historische Gesellschaft im Lauf des Jahres - das ist ihr Beitrag zum Jubiläumsjahr: Sowohl Victoria als auch ihr Coburger Gemahl Albert wurden vor 200 Jahren geboren. Keine Ausstellung, keine wissenschaftlichen Vorträge, sondern Filme? Darunter einer, der mit der historischen Wirklichkeit kaum etwas zu tun hat, nämlich "Mädchenjahre einer Königin" mit Romy Schneider?
"Der Film ist herrlich!", ruft Melville aus und muss lachen. "Der ganze englische Hof spricht Österreichisch!" Vor allem sei der Film eine getreue Kopie eines schon 1936 gedrehten Schwarzweißfilms, sagt Jürgen Brückner. Schon diesen Film hatte Ernst Marischka inszeniert - und später schuf er die drei Sissy-Filme mit Romy Schneider. Brückner ist der Filmbeauftragte der Historischen Gesellschaft, hat alles organisiert und die Aufführungsrechte für die vier Filme besorgt. "Wir wollten etwas Außergewöhnliches bieten und die Kompetenz von Herrn Brückner nutzen", nennt Melville einen Grund für die Filmreihe.
Ein weiterer: "Wir erforschen ja nicht nur Geschichte, wie sie war, sondern auch, wie sie rezipiert und verarbeitet wird", sagt Gert Melville. Dafür seien Filme ein gutes Beispiel, und deshalb wurden Filme aus unterschiedlichen Entstehungsjahren ausgesucht und einander gegenüber gestellt: Nach "Königin Viktoria" von 1937 läuft "Victoria, die junge Königin" von 2009.