"In der DDR war nicht alles schlecht" - diesen Satz hören die wandernden Redakteure von Tageblatt/Fränkischer Tag und Radio Eins häufig. Aber einiges in diesem Land war schon schlimm, oder? Dann erzählt ihnen Kristina Mertinatsch eine ergreifende Geschichte.
Der zweite Tag der gemeinsamen Grenzwanderung von Tageblatt/Fränkischer Tag und Radio Eins hatte am frühen Dienstagmorgen zwischen Welitsch (Landkreis Kronach) und Heinersdorf (Landkreis Sonneberg) begonnen. Die Schilderung von Zeitzeugen, wie die Öffnung des dortigen Grenzübergangs am 19. November 1989 sozusagen von den Bürgern mit musikalischer Hilfe erzwungen wurde, war beeindruckend.
Auch auf den weiteren Kilometern folgten emotionale Momente: etwa an der Stelle des geschleiften Dorfes Liebau, unweit von Fürth am Berg (Landkreis Coburg). Doch so richtig ergreifend wurde es, als die Redakteure in Mupperg auf Kristina Mertinatsch trafen.
Eigentlich wollten sich Thomas Apfel, Detlef König (beide Radio Eins) und Oliver Schmidt (Coburger Tageblatt) bei Kristina Mertinatsch in deren gemütlichem Backhaus nur mit Kaffee und Kuchen stärken. Doch dann bekamen sie während eines Plauschs auch eine Geschichte zu hören. Eine schwer verdauliche Geschichte.
"Mein Bruder wollte Pfarrer werden", erzählt sie mit ruhiger, aber klarer Stimme. "Weil das in der DDR nicht möglich war, entschloss er sich 1972 zur Flucht." 20 Jahre jung war er damals. Bei Mogger, dem kleinen Nachbarort von Mupperg, nahm dann das Schicksal seinen Lauf. "Kurz bevor er es nach Fürth am Berg geschafft hatte, ist er auf eine Mine getreten." Kristina Mertinatsch hält kurz inne. "Es war eine Plastikmine. Durch ihre heftige Explosion hat mein Bruder einen Arm und sein Augenlicht verloren."
Längst ist es im Backhaus mucksmäuschenstill geworden. Kristina Mertinatsch sagt auch noch ein paar Sätze, die vor allem deshalb auf die "West"-Redakteure so bemerkenswert wirken, weil sie kurz zuvor auch so manchen Thüringer getroffen hatten, der die Meinung vertrat, "dass in der DDR nicht alles schlecht war." Das sieht die taffe Bäckersfrau etwas anders: "So schwer heute manches auch sein mag: Ich möchte diese DDR-Zeit nicht wieder haben." Und: "Gott sei Dank ist alles so gekommen, wie es gekommen ist." Ja, sie sei "glücklich" über die Einheit. Und vor allem über die Freiheit. "Man kann hinfahren, wo man will!" Oder hinlaufen. So geht Kristina Mertinatsch zum Beispiel sehr gerne nach Fürth am Berg spazieren - vorbei am ehemaligen Todesstreifen, der auch über ihre Familie so viel Leid gebracht hat.
Friedlich mit Musik Aber noch einmal zurück nach Heinersdorf. Der 9. November 1989 war schon ein paar Tage vergangen, als der thüringische Ort noch immer von seinem fränkischen Nachbarn Welitsch getrennt war. Das wollte Erich Eckardt nicht akzeptieren. Also organisierte er einen friedlichen Protestlauf. Gut 300 Heinersdorfer plus die Blaskapelle trommelte er zusammen. Doch nicht nur das: Die Blaskapelle hatte kurz zuvor bei einem West-Trip Kontakt zu den Musikerkollegen aus Pressig und Rothenkirchen aufgenommen. Die Verabredung war: Am Sonntag, 14 Uhr, laufen wir - mit Musik - von beiden Seiten auf die Grenze zu. Die Komposition ging auf: Um 15.08 Uhr wurde der Grenzübergang geöffnet.