Wie zwei Schauspieler des Landestheaters Dostojewskis Erzählung "Der Großinquisitor an ungewöhnlichem Ort in einen spannenden Theatertext verwandeln.
Die Geschichte ist ungeheuerlich. Sie erzählt davon, dass der auf die Erde zurückgekehrte Gottessohn im Spanien des 16. Jahrhunderts verhaftet und vom Großinquisitor unter Anklage gestellt wird. Ein beispielloser Vorgang, den Dostojewski in seiner Erzählung "Der Großinquisitor" schildert und den zwei Schauspieler des Landestheaters als Vorlage für einen ganz und gar ungewöhnlichen Theaterabend an ungewöhnlichem Ort gewählt haben. Denn diese Geschichte vom verhafteten Jesus - sie spielt in Coburg in einer seit Jahren leerstehenden ehemaligen Fleischerei: im "Schlick 29" im Steinweg.
Beamer und Dornenkrone
Ines Barthel, Absolventin der Hochschule Coburg, hat in dem bis zur Decke weiß gekachelten Raum nur wenige Zutaten benötigt, um die schaurige Atmosphäre der spanischen Inquisition des 16. Jahrhunderts in die Welt des 21. Jahrhunderts zu übersetzen - mit Video-Beamer, Mischpult und dekorativ drapierter Dornenkrone.
Aalglatter Vortragsreisender
Dostojewski Großinquisitor, der die Ketzer auf den Scheiterhaufen schickt und den zurückgekehrten Erlöser am liebsten gleich mit - er wird in der Lesart von Valentin Kleinschmidt zum aalglatten Vortragsreisenden, der seinem Publikum Erlösung verspricht vom Fluch der Freiheit.
Raffiniert und redegewandt
Der Großinquisitor als Regisseur blutiger Bestrafungen vermeintlicher Ketzer hat ausgedient. Doch sein Nachfolger ist keinen Deut besser. Er kommt redegewandt und raffiniert argumentierend daher. Thomas Kaschel spielt ihn als einen zynischen Verführer, wie sich der vermeintlich moderne Mensch, der Mensch des 21. Jahrhunderts, ködern lässt. Den Schreckensbildern des gnadenlos Kriege führenden Menschen stellt er Bilder überfließenden Wohlstandes gegenüber. Der verführerische Deal ist ganz einfach: Der Mensch, der auf die vermaledeite Freiheit verzichtet, wird mit vermeintlichem Frieden belohnt.
Zynische Quizshow
Das Verhör der zurückgekehrten Erlösers - Valentin Kleinschmidts Regie zeigt es als eine zynische Quizshow, in der der Regisseur selber als Jesus mit Dornenkrone agiert: ohne Chance, den Preis zu gewinnen.
Christus als Störenfried
Jesus Christus, der Erlöser - auch in dieser Lesart erscheint er zunächst ganz einfach als Störenfried, der mit seinen Wundern das Geschäft der Kirche gefährdet. Die Anklage klingt paradox und ist doch bitter ernst gemeint. Jesus habe mit seinem Handeln die Menschheit zum freien Willen und zum freien Handeln verführt und damit von Grund auf überfordert.
Ausdauernde Begeisterung
Mit dieser zynischen Schlussfolgerung freilich will Regisseur Kleinschmidt das Publikum nicht entlassen. Vielmehr tritt er in bester Theatermanier als Deus ex Machina dazwischen, bricht Dostojewskis Text auf und setzt einen flammenden Appell gegen den Verzicht auf Freiheit dagegen - Charlie Chaplins Rede aus "Der große Diktator".