Der Flügel im Coburger Reithallen-Sturm

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Unter die Räder des Flügels kommt Tim Tooney (Frederik Leberle) nicht. Er erinnert sich, wie er mit seinem geheimnisvollen Freund Novecento im Ozeansturm tanzte. Foto: Henning Rosenbusch
Unter die Räder des Flügels kommt Tim Tooney (Frederik Leberle) nicht. Er erinnert sich, wie er mit seinem geheimnisvollen Freund Novecento im Ozeansturm tanzte.  Foto: Henning Rosenbusch
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Frederik Leberle spielt die Geschichte des "Ozeanpianisten" von Alessandro Baricco am Landestheater Coburg unter heftigem Überdruck. Regie führte erstmals Mascha Pitz.

Eine schöne Geschichte. Zu Herzen gehend. Spannend. Sie hat viel Geheimnis, leicht zu begreifende Weisheit, ein bisschen Tragik, aber nicht zu viel. Das Landestheater brachte am Samstag Alessandro Bariccos Monolog "Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten" als Reithallen-Produktion heraus, in der ersten eigenständigen Regie von Mascha Pitz, seit letztem Jahr Regieassistentin in Coburg. Begeisterter Beifall des Premierenpublikums.

Es ist vor allem die Stunde des sportlich-agilen Frederik Leberle. Wenn er als Trompeter Tim Tooney die merk- und denkwürdige Geschichte seines Freundes Novecento erzählt, mit dem er sechs Jahre auf dem Ozeandampfer "Virginian" verbrachte, dann jagt Leberle den schwarzen Flügel die Reithallenbühne rauf und runter, springt drauf und daneben, stoppt ihn im letzten Moment, überträgt das Stampfen und dröhnende Rollen des Ozeans im Sturm in die Reithalle, unterstützt von wirkungsvollen Geräusch- und Musikeinspielungen. Wir befinden uns auf einem der Ozeanriesen, die Anfang des 20. Jahrhunderts Zigtausende Luxusreisende wie arme Auswanderer in das Versprechen Amerika transportierten.

Der auf dem Schiff geborene, zurückgelassene, von einem Maschinisten aufgezogene, nach dem neuen Jahrhundert benannte Novecento aber verweigert den Schritt in die schöne neue Welt. Er entpuppt sich geheimnisvoller Weise als genialer Pianist, aus dem der Jazz klingt, als es ihn noch gar nicht gibt. Er kennt die ganze Welt samt ihrer Gerüche, weil er "Menschen lesen kann", auch das, was zukünftig in ihren Augen stehen wird. Er tanzt mit dem Ozean im Sturm, bis der Flügel effektvoll in den glitzernden Vorhang rauscht, mit dem Ausstatter Thomas Unthan in Coburg die glamouröse Welt der First Class vor den schmutzigen Holzkisten aus dem Unterdeck präsent werden lässt. Da spürt man, wie die Glasfront zum großen Ballsaal zerspringt, fast wie in der Verfilmung von Giuseppe Tornatore von 1999.


Der Ozean schreit

Im erfolgreichen Stück des italienischen Gegenwartsautors ist viel los, obwohl es auf der Suche nach dem ist, was hinter dem Lauten, auch hinter der Musik, hinter unserer Welt ist. Frederik Leberle trifft immer wieder in pointierter Mimik und Gestik auch die Menschen um Novecento herum, erzählt fast gewaltsam mitreißend.
Doch ob durch die Regie von Mascha Pitz oder sich selbst hineingetrieben, agiert Leberle vom ersten Moment an auch wie unter Überdruck. Er sucht zwar immer wieder nach den nachdenklichen Stimmungen.

Doch insgesamt wütet es sehr in den anderthalb Stunden auf der Reithallenbühne und durch den Zuschauerraum. Der Ozean schreit und Leberle tut es auch. Würde sich das Faszinierende der Geschichte nicht vielleicht sogar intensiver einstellen, wenn mehr Raum für die Imagination des Zuschauers bliebe? Frederik Leberle liefert sportlich-schauspielerische Höchstleistung, alle Achtung. Doch eine Sehnsucht bleibt.

Landestheater Coburg: Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten. Monolog von Alessandro Baricco. Inszenierung Mascha Pitz; Bühnenbild und Kostüme Thomas Unthan; Dramaturgie Carola von Gradulewski; Darsteller: Frederik Leberle. Weitere Termine: 10., 20., 21., 22, November, 20 Uhr, Reithalle.

Der Autor Alessandro Baricco wurde 1958 in Turin geboren. Er studierte Philosophie und Musikwissenschaft und veröffentlichte in verschiedenen Gebieten, so über Adorno, Walter Benjamin, Gioachino Rossini und die Neue Musik. Alessandro Baricco arbeitete lange Zeit als Musikkritiker. Populär wurde er durch seine Tätigkeit beim Fernsehen. "Novecento", 1994 uraufgeführt, gehört zu den erfolgreichsten italienischen Theaterstücken der Gegenwart. wp