Beim agrarpolitischen Stammtisch im Gustav-Dietrich-Haus trat "Wutbauer" Willi auf und erklärte, warum ihm ab und zu der Kragen platzt.
Ob nun Nachbarn, die sich über den landwirtschaftlichen Lärm und Geruch beschweren, oder Negativschlagzeilen in den Medien: Bauern fühlen sich häufig zu Unrecht an den Pranger gestellt. Willi Kremer-Schillings, bekannt als "Wutbauer Willi", möchte eine Imageverbesserung seines Berufsstandes. Doch dazu müssten vor allem auch die Bauern handeln, sagte er am Montagabend im Gustav-Dietrich-Haus in Coburg. "Wir müssen unsere Grundeinstellung ändern, positiv denken und aktiv werden." Der promovierte Landwirt und Agrarwissenschaftler war auf Einladung des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) zum agrarpolitischen Stammtisch gekommen. Sein Erscheinen sorgte für ein volles Haus.
Kremer-Schillings bewirtschaftet in Familientradition einen 40 Hektar großen Hof bei Rommerskirchen im Rheinland im Nebenerwerb. Sein Dorf liegt nur 25 Bahn-Minuten von Köln entfernt. Dies führte laut Kremer-Schillings zu einem Bauboom in den vergangenen Jahren; immer mehr Neubürger siedelten sich an. "Was da plötzlich störte, waren die Bauern," erzählte Kremer-Schillings. Im August 2014 hatte er ein Schlüsselerlebnis: " Es war lange nass, und als wir an einem Sonntag Weizen ernteten, stand plötzlich die Polizei vor dem Mähdrescher." Anwohner hatten sich über den ruhestörenden Lärm beschwert. Dem Landwirt platzte der Kragen, er verfasste einen Wut-Brief mit der Anrede "Lieber Nachbar" und stellte ihn ins Netz. "Ich habe erklärt, was ich den ganzen Tag so mache." Zu seinem Erstaunen erhielt sein Schreiben innerhalb von vier Tagen 60 000 Aufrufe.
Geteilt und angeklickt
Einen weiteren Wut-Brief richtete er an den "lieben Verbraucher". Dieser Brief wurde auf 20 verschiedenen Portalen geteilt und mehr als eine Million mal angeklickt. Bauer Willi wurde daraufhin in Talkshows eingeladen und er schrieb ein Buch über die Billigprodukte und die Macht des Verbrauchers. Den Titel "Sauerei", sagte er, habe sein Verlag ausgesucht. "Ich erkläre in einfachen Worten, wie Landwirtschaft funktioniert, und zwar mit allen schlimmen Worten wie Glyphosat, geschredderten Küken und Massentierhaltung", so der Bauer.
Landwirte befinden sich seinen Worten zufolge in einem Dilemma. Sie sorgten für die Ernährung von Millionen von Menschen, betrieben Landschaftspflege und kümmerten sich um Tiere. Aber: "Das Bild, das wir von uns haben, passt mit dem Fremdbild oft nicht zusammen." Viele Verbraucher, sagt er, wüssten heute nicht viel über Lebensmittel. Das Bild der Landwirtschaft sei entweder romantisch verklärt mit Fachwerkhaus und Bauernhofidyll oder verzerrt als große Agrarfabrik.
Rhetorikkurse für Landwirte
Es liege auch an den Bauern, dieses Bild klar zu rücken. Denn Meinung mache der, der den Mund aufmache. "Bauern reden aber nicht mehr, als es unbedingt sein muss." Bauer Willi empfiehlt Rhetorikkurse für Landwirte. "Einen Schweißkurs hat wahrscheinlich jeder schon gemacht. Es ist aber auch sehr sehr wichtig, dass man lernt zu reden." Landwirte seien in den sozialen Medien kaum präsent, dabei seien 60 Prozent der Meinung, nur sie selbst könnten ihren Berufsstand authentisch vertreten. "Wenn wir wollen, das sich die gesellschaftliche Akzeptanz ändert, dann müssen wir selbst Imagepflege betreiben." Das sei mühsam und brauche Überwindung. Bauer Willi lädt beispielsweise Bürger aus dem Neubaugebiet ein und stellt fest: "Sie sind vollkommen offen, es sind ganz normale Gespräche, die sich eben nicht um Glyphosat oder Massentierhaltung drehen."
Was Willi mit den Nachbarn macht
Nachbarn dürfen bei ihm sogar auf dem Trecker fahren und sich so einen Traum erfüllen. "Je kritischer eure Nachbarn sind, desto offener müsst ihr auf sie zugehen." Auch in Whatsapp-Gruppen oder über Facebook erreiche man die Bürger, zum Beispiel indem man ankündige: "Wir fahren heute Gülle, hängt besser keine Wäsche auf. " Bauer Willi setzt auf kreative Kommunikation und gab dazu auch jede Menge Tipps. "Gebt den anderen die Chance nachzudenken und begegnet euch auf Augenhöhe." Das aktuelle Insektensterben sei ein Thema der Landwirte. Wobei man ruhig hinterfragen dürfe, ob es dieses Insektensterben tatsächlich gebe.
BBV-Kreisobmann Martin Flohrschütz wunderte sich über die vielen Organisationen, die sich mit Tierschutz befassen. Sie gäben nur "Halbwissen" von sich. Richtig sauer reagiert auf die aktuelle Diskussion um das Insektensterben. "Mich kotzt das an, wahrscheinlich werden wir auch noch für den verregneten Sommer verantwortlich gemacht." Im Landkreis sei die Landwirtschaft in den vergangenen Jahren nicht intensiver worden, sondern einzig der Naturschutz. Er kritisierte, dass von dieser Seite kein Kontakt und kein Gespräch gesucht werde, sondern die Landwirtschaft für das angebliche Insektensterben verantwortlich gemacht werde.
Wer mehr wissen und lesen will: Dr. Willi Kremer-Schillings betreibt mit seinem Allgäuer Kollegen Alois Wohlfart einen Blog, in dem er auf aktuelle Themen eingeht:
www.bauerwilli.com.