Gastregisseur Carlos Wagner bringt Richard Wagners Oper "Lohengrin" in einer spannungsvollen Deutung auf die Bühne des Landestheaters. Das Werk stand in Coburg seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr auf dem Spielplan und lockt viele Wagner-Fans nicht nur aus der Region an.
Viel gewagt und viel gewonnen. Reichlich Applaus gibt es für die mit Spannung erwartete "Lohengrin"-Produktion am Landestheater Coburg. Ungetrübt der Beifall für die musikalische Seite, mit einigen Buh-Rufen vermischt die Reaktion auf die Regie. Applaus hat gewiss nicht immer Recht, Premieren-Applaus zumal. An diesem Abend aber ist er weitgehend gerecht verteilt. Ginge es nur nach der Lautstärke, müsste Wagners romantische Oper in Coburg "Elsa" heißen. Für ihr Rollendebüt jedenfalls erntet Betsy Horne den lautesten Beifall - Lohn für eine sängerisch makellose Interpretation, bei der sie nie ins Forcieren gerät und immer wieder fein differenzierte Zwischentöne findet.
Ambivalente Figur Ähnlich freigiebig mit Beifall bedacht: Daniel Kirch in der Titelpartie. Ihm gelingt es, die Ambivalenz der Figur darstellerisch wie musikalisch deutlich werden zu lassen.
Er zieht das Publikum immer wieder auch mit zarten, leisen Tönen in Bann (besonders eindringlich in der "Gralserzählung"). Kirch hütet sich mit seinem hell timbrierten lyrisch-dramatischen Tenor klugerweise vor unnötiger vokaler Kraftmeierei, vertraut vielmehr auf präzise Diktion und bewältigt auf diese Weise die umfangreiche Partie ohne hörbare Anstrengung oder Ermüdungserscheinung.
Umjubelte Solisten Das ist gewiss auch ein Verdienst von Roland Kluttig am Dirigentenpult. Coburgs Generalmusikdirektor wird schon vor dem dritten Aufzug mit Sonderapplaus empfangen - verdientermaßen. Schließlich führt er das Philharmonische Orchester jederzeit souverän durch die umfangreiche Partitur, die er in Dynamik wie Ausdruck fein differenziert ausleuchtet.
Ausgewogene Klangfülle Das Philharmonische
Orchester verwandelt Kluttigs gestalterische Impulse stets konzentriert in ausdrucksvollen, subtil nuancierten Klang und darf am Ende den Dank des Publikums nicht nur wie üblich im Graben, sondern am Schluss gar auf offener Bühne entgegen nehmen. Unter Kluttigs Leitung beeindruckt das Orchester gleichermaßen durch Präzision des Zusammenspiels wie durch stets ausgewogene Klangfülle und Klangschönheit.
Umjubelt in der durchweg gut besetzten Solistenriege mit klug eingesetztem dramatischem Sopran: Martina S. Langenbucher. Gefeiert vom Premierenpublikum wird auch Juri Batukov als Graf Telramund, der wirkungsvoll mit finster drohendem Bariton agiert, gelegentlich aber mehr auf Lautstärke als auf prägnante Artikulation setzt.
Sonor und souverän: Michael Lion als König Heinrich.
Intrige und Verleumdung Szenisch bietet dieser Coburger "Lohengrin" einen durchaus interessanten Ansatz, der in vielen Situationen schlüssig und spannend umgesetzt ist, dennoch aber auch Fragen aufwirft und die dramaturgischen Fallstricke des Werkes sichtbar werden lässt. Carlos Wagner, mit seiner temporeichen und witzigen Inszenierung von Rossinis "Barbier von Sevilla" in bester Erinnerung, wischt das Märchenhafte dieser Oper bewusst beiseite, kann sich aber bisweilen nicht entscheiden zwischen stilisiertem Pathos und naturalistischen Details.
Seine "Lohengrin"-Deutung erzählt die Geschichte eines mit allen Mitteln geführten Machtkampfes.
Intrige und Verleumdung, Einflüsterungen und finsteres Ränkespiel - alles, was zu einem zeitlos aktuellen Poker um politische Macht und Herrschaft gehört, wird in dieser Geschichte sichtbar. Damit holt Carlos Wagner diesen Lohengrin aus märchenhafter Vergangenheit mitten hinein in die Gegenwart. Mit dieser Grundsatzentscheidung löst er zugleich einige der heiklen dramaturgischen Probleme des Werkes.
Die Chormassen (tadellos einstudiert von Lorenzo Da Rio), die in anderen Inszenierungen oft peinlich statisch herumstehen und auf der engen Coburger Bühne ohnehin kaum sinnvoll zu bewegen wären, werden in dieser Lesart zu Mitgliedern eines Parlaments, das immer mehr in Aufruhr gerät. Das Einheits-Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic mit aufsteigenden Sitzreihen, eingerahmt von hohen Regalreihen, die bis hinauf mit Kisten voller Akten gefüllt sind, entfaltet machtvolle Bildwirkung.
Unsichtbarer Brautchor Weil Umbauten auf der Bühne in diesem Ausstattungskonzept keinen Platz haben, findet manche Szene, auf die sich jedes "Lohengrin"-Publikum freut, bei geschlossenem Vorhang statt und wird nur akustisch durch die geöffnete Tür zur Mittelloge akustisch erlebbar wie zum Beispiel der unverwüstlich populäre Brautchor im dritten Akt.
Zeitlos stilisiert: die Kostüme, die Christof Cremer entworfen hat und die die Charakterisierung der jeweiligen Figuren wirkungsvoll unterstützen.
Ein regelrechter Theatercoup ist Carlos Wagners Entscheidung, den Schwan tatsächlich als das zu zeigen, was er in dieser Geschichte sein soll - ein verwandelter, gefesselter Mensch. Mariusz Czochrowski verkörpert diesen menschlichen Schwan mit faszinierender Intensität und Ausdruckskraft.
Makellose Helden kennen nur einen Feind - die Langeweile.
Makellos weiß gekleidet ist am Anfang Lohengrin, der Schwanenritter, in der Neuinszenierung von Wagners Oper am Landestheater. Doch langweilig ist dieser Held keineswegs.
Das Werk und seine Interpreten Weitere Termine 28. Februar, 18.30 Uhr, 6. März, 18.30 Uhr, 16. März, 17 Uhr, 21., 25. März, 18.30 Uhr, 21. April, 17 Uhr, 4., 25., 29. Mai, 17 Uhr, 4. Juni, 18.30 Uhr, 16. Juli, 18.30 Uhr
Produktions-Team Musikalische Leitung: Roland Kluttig; Inszenierung: Carlos Wagner; Bühnenbild: Rifail Ajdarpasic; Kostüme: Christof Cremer; Lichtgestaltung: Christophe Pitoiset; Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio; Dramaturgie: Renate Liedtke
Besetzung Heinrich der Vogler: Michael Lion; Lohengrin: Daniel Kirch/Wolfgang Schwaninger; Elsa von Brabant: Betsy Horne; Friedrich von Telramund: Juri
Batukov; Ortrud, seine Gemahlin: Martina S. Langenbucher; Heerrufer: Falko Hönisch/Benjamin Werth/Martin Trepl
Gottfried, Elsas Bruder/Ein Schwan: Mariusz Czochrowski
Chor und Extrachor des Landestheaters
Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg
Entstehung Die dreiaktige romantische Oper erlebte ihre Uraufführung am 28. August 1850 am Hoftheater Weimar unter Leitung von Franz Liszt. Die literarische Vorlage für seinen Text fand Wagner in der Gestalt des Loherangrin im mittelhochdeutschen Versepos "Parzival" des Wolfram von Eschenbach.
Rezeptionsgeschichte In Coburg stand das Werk zuletzt in der Spielzeit 1995/96 auf dem Spielplan.
Damit aber dürfte diese Coburger Produktion, die am Premierenabend reichlich Gäste sogar weit aus dem süddeutschen Raum anlockte, Interesse in der überregionalen Gemeinde der Wagner-Fans finden.