Für Karfreitag bereitet Kirchenmusikdirektor Peter Stenglein eine Coburger Erstaufführung vor. Auf dem Programm: die Johannespassion des Bach-Schülers Gottfried August Homilius.
Wer von der Johannespassion spricht, denkt zuerst an Johann Sebastian Bach. Die Johannespassion, die am Karfreitag in St. Moriz erklingt, stammt jedoch von Gottfried August Homilius, einem Schüler Bachs. Was ihn an diesem Werk besonders interessiert, verrät Peter Stenglein im Gespräch.
Homilius gilt als Schüler Johann Sebastian Bachs. Wie macht sich das in seiner musikalischen Sprache bemerkbar?
Peter Stenglein: Homilius kannte Bachs Passionen, da bin ich mir sicher. Die Art, wie er die Rezititative vertont, also den Erzähltext aus der Bibel, erinnert stark an Bach. Teilweise übernimmt er mehr oder weniger wörtlich den Sprachrhythmus, so zum Beispiel gleich beim ersten Rezitativ. Auch die Choreinwürfe sind zum Teil durch Bach inspiriert: "Jesum von Nazareth" - die Antwort der Soldaten auf die Frage "Wen suchet ihr" - wird in knappen Takten und homophon, also wie aus einem Munde, gesungen.
Überhaupt: Die Behandlung des Bibeltextes erinnert stark an die Werke des Thomaskantors.
Worin unterscheidet er sich von Bach?
In den großartigen Arien gibt es eine ganz andere Klangwelt: Hier komponiert Homilius vorwärtsgewandt: Das beginnt mit der Orchesterbesetzung. Die Verwendung von zwei Hörnern verweist auf die Wiener Klassik eines Haydn oder Mozart. Das setzt sich fort bei der Struktur der Arien: Es gibt keine "Bläse rarien" mit Soloflöte oder Solooboe. Vielmehr sind die Streicher in den Arien immer präsent. Die Melodieführung der Themen entspringt eher dem galanten Stil der neuen Einfachheit: Die Melodie soll zu Herzen gehen, achttaktige Themen, die das Gefühl ansprechen, keine barocke Kontrapunktik, hier kündigt sich der neue Musikstil an.
Wo ordnen Sie diese "Johannespassion" stilistisch ein?
Homilius steht - wie seine Zeitgenossen auch - an der Wende zwischen Barockzeit und Wiener
Klassik. Die Entwicklung führt weg vom "gelehrten Stil" der barocken Polyphonie à la "Kunst der Fuge" hin zu einer neuen Einfachheit des "galanten Stils": Eine ausdrucksstarke Oberstimme soll den Hörer "ergreifen", eine einfache Begleitung soll die Melodie unterstützen, nicht überwuchern. Homilius ist damit - wie beispielsweise Carl Philipp Emanuel Bach auch - Wegbereiter für die bekannten Komponisten der Wiener Klassik.
In diesem Jahr feiern Carl Philipp Emanuel Bach und Gottfried August Homilius ihren 300. Geburtstag. Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, ein Werk von Homilius für eine Aufführung in St. Moriz auszuwählen?
Ich fand es spannend, ein Werk eines Dresdner Kreuzkantors auszuwählen, der gleichzeitig Bezug zur Leipziger Thomaskirche hat.
Wer kennt schon Homilius' Vorgänger Theodor Christlieb Reinhold und Johann Zacharias Grundig? Sicher wäre es auch lohnend gewesen, beispielsweise die Matthäuspassion von Carl Philipp Emanuel Bach auszuwählen. Besonders weil Carl Philipp Emanuel Choräle und Turbae aus der Matthäuspassion seines Vaters eingebaut hat. Auf der anderen Seite ist Homilius der weitaus weniger bekannte Name. Mir lag es am Herzen, diesen zu unrecht vergessenen Komponisten ins Gespräch zu bringen. Denn Hom il ius war zu Lebzeiten und kurz nach seinem Tod ähnlich bekannt und berühmt wie Carl Philipp Emanuell Bach. So schrieb der Komponist und Musikkritiker Johann Friedrich Reichardt, Homilius sei "jetzt wohl ausgemacht der beste Kirchenkomponist". Wenige Jahre nach Homilius' Tod kam 1790 Ernst Ludwig Gerber zu der Einschätzung: "Er war ohne Widerrede unser größter Kirchenkomponist."
Was reizt Sie an dieser Passions-Vertonung?
Mich
reizt die stilistische Spannung: barocke Bibeltexte, klassische Arien. Gleichzeitig wollte ich gern bei einer "oratorischen Passion" bleiben: Die wörtliche Vertonung des Bibeltextes spricht mich deutlich mehr an als das zu Homilius' Zeiten übliche "Passionsoratorium". Hier wird nämlich der Bibeltext in freie Dichtung umgewandelt - der Zeit entsprechend kommt da eine schwülstige Sprache heraus, die mich nicht sehr reizt. Dazu kommt: unser Konzert ist eine Coburger Erstaufführung. Ich bin auf die Reaktionen unserer Zuhörer gespannt.
Wie sind Sie auf diese Passionsvertonung gestoßen?
Das war Zufall: Ich habe mich gezielt auf die Suche nach Passionsmusiken des 18. Jahrhunderts gemacht und mir verschiedene Werke angesehen. Die Homiliuspassion ist ja erst im Jahr 2007 verlegt worden. Ich war sehr angetan beim Durchspielen der Noten.
Außerdem wollte ich mit dem Bachchor nach der Messe von Sven Götz und Brittens War Requiem gerne ein Stück alte Musik ins Programm nehmen.
Wie hat sich Ihr Blick auf das Werk während der Probenarbeit verändert oder vertieft?
Gerade die Arien zeigen bei intensiverem Studium immer mehr Schönheit und Einfallsreichtum. Bei den Chorälen erkennt man verschiedene "Lieblingsharmonien" des Komponisten, die er in mehreren Sätzen einsetzt. Auch der große Spannungsbogen ergibt sich erst im Lauf des Studiums: An welchen Stellen muss es schnell weiter gehen? Wo braucht es ein wenig Zeit, um das Gehörte wirken zu lassen? Das sind alles Fragen, die erst im Lauf der Probenarbeit beantwortet werden.
Der Komponist und die Interpreten in St. Moriz Konzert-Tipp Gottfried August Homilius "Johannespassion", 18. April, 17 Uhr, St.
Moriz Coburg
Interpreten Gerlinde Sämann (Sopran); Bhawani Moennsad (Alt); Nils Giebelhausen (Tenor);
Eric Ferguson (Bass)
Main-Barockorchester Frankfurt, Coburger Bachchor
Leitung: Peter Stenglein
Vorverkauf Eintrittskarten gibt es bei der Tourist-Information Coburg, Herrngasse 4 (Telefon: 09561/898044).
Gottfried August Homilius wurde 1714 in Rosenthal geboren. Nach dem Besuch der Annenschule in Dresden studierte Homilius Jura in Leipzig. Er wird dem Schülerkreis Johann Sebastian Bachs zugerechnet. Ab 1742 war Homilius Organist an der Dresdner Frauenkirche und ab 1755 in der Nachfolge von Theodor Christian Reinhold bis zu seinem Tod Kreuzkantor und Musikdirektor an den drei Hauptkirchen Dresdens. Hom il ius starb 1785 in Dresden.