Das Festival "Klanggrenzen" lockt in Coburg mit ungewöhnlichen Programmen an besonderen Orten. Die drei Macher gewähren einen Blick hinter die Kulissen.
Weinhandlung und Jugendzentrum, Pfarrsaal und Bankzentrale - das Festival "Klanggrenzen" geht bei seiner zweiten Auflage in
Coburg ganz bewusst ungewöhnliche Wege. Im Gespräch verraten die drei Organisatoren um den Coburger Konzertmeister Martin Emmerich, was sie heuer und in den nächsten Jahren planen.
Im Jahr 2016 hat das Festival "Klanggrenzen" seine erfolgreiche Coburg-Premiere gefeiert. Wie haben sich diese Erfahrungen auf die Planungen für die aktuelle zweite Auflage ausgewirkt?
Martin Emmerich: Die tolle Premiere der "Klanggrenzen" letztes Jahr hat uns regelrecht beflügelt und uns Mut gemacht. Bereits im ersten Jahr vor größtenteils vollen Sälen zu spielen und mit über 650 Kindern klassische Musik gelebt zu haben, war natürlich ein nicht vorstellbarer Einstand. Im zweiten Jahr ist unsere Nervosität entsprechend hoch, ob wir es schaffen, dieses Kunststück zu wiederholen. Bei der Sponsorensuche sind in diesem Jahr ein paar Dinge einfacher geworden. 2016 mussten wir erst einmal alle Kontakte erfragen und neu knüpfen. Und dann sind wir natürlich auf das Coburger Publikum eingegangen. Im vergangenen Jahr haben wir zu Beispiel zwei Lesungen angeboten - das hat sich als ungeschickt erwiesen, weshalb wir in diesem Jahr fünf ganz unterschiedliche Konzepte erstellt haben, so dass man ohne Scheu alle unsere Konzerte besuchen kann
(lacht)!
Was ist der "rote Faden" des Programms in diesem Jahr vom 26. Juni bis 13. Juli?
Martin Emmerich: Hm... Eine Frage und gleich drei mögliche Antworten: die elitär-hochgestochene, die ehrliche und die pragmatische. Die verschiedenen Konzerte versuchen alle einen Blick hinter die menschliche Fassade zu werfen. Schumanns Seelenabgründe werden durch seine Musik und durch das sprachliche Genie Peter Härtlings ausgeleuchtet. Bei Edgar Allen Poes Gruselgeschichte "Die Maske des Roten Todes" steht die Suche nach dem Wesen hinter der Maske im Vordergrund, die Bilder Wieland Prechtls in Kombination mit Schönbergs Reise zur Atonalität erzählen für uns ebenfalls Geschichten von Selbstfindung.
Und jetzt mal ehrlich: erst mal sind wir ganz schön gefordert einen roten Faden innerhalb der einzelnen Konzerte zu weben, um den roten Faden zwischen den Konzerten kümmern wir uns ab dem nächsten Jahr, ok?
Und pragmatisch betrachtet: viele unserer Konzerte sind von externen Faktoren wie zum Beispiel Terminfragen abhängig. Ideen für Projekte haben wir jedes Jahr 20 oder 30, aber umsetzen können wir leider immer nur einige...
Fabian Wankmüller: Uns geht es immer darum, Kammermusik zum Anfassen zu präsentieren. In alle Konzerte kann der Zuhörer gehen und sich einfach begeistern lassen. Ganz hautnah, ganz unverfälscht, ganz drastisch...
In diesem Jahr gibt es fünf verschiedene Veranstaltungsorte. Wie hat sich die Auswahl ergeben?
Heiner Reich: Also bei einer Weinprobe bietet sich natürlich eine Weinhandlung an. Das Jugendzentrum Domino für die "Maske des Roten Todes" war ein glücklicher Zufall. Eigentlich wollten wir - wie im letzten Jahr - in die Reithalle des Landestheaters Coburg gehen, aber hier finden zur gleichen Zeit die Schultheatertage statt. Terminlich keine Chance. Und dann sind wir eine Liste des Kulturamts durchgegangen, mit gesammelten "Orten für Kultur in Coburg". Und siehe da: der Saal im Domino ist knallrot. Perfekt für den roten Tod
(lacht). Die vr-Bank-Filiale am Theaterplatz war schon des Öfteren Örtlichkeit für tolle Kunstausstellungen. Und dann war die VR-Bank äußerst hilfsbereit bei der Rahmenorganisation und der finanziellen Unterstützung, das war schnell entschieden. Und wir hatten ja von Beginn an vor, neue Orte für Kultur zu erschließen, eben um auch neues Publikum zu gewinnen. Letztes Jahr ist der Plan aufgegangen, Daumen drücken für die zweite Runde...
Fabian Wankmüller: Viele Werke, die im Festival zu hören sind, wurden ja auch gar nicht für den Konzertsaal komponiert - viele Werke wurden im kleinen Kreis aufgeführt und es herrschte eine intime, private Stimmung. Künstler und Publikum saßen sich auf Augenhöhe direkt gegenüber. Diese Direktheit wollen wir wieder aufleben lassen.
Welche weiteren Veranstaltungsorte können Sie sich für die Zukunft vorstellen?
Martin Emmerich: Als erstes wollen wir gerne die Hallen am Güterbahnhof nutzen. Ein inklusives Kinder-Tanzprojekt mit Kammerorchester à la "Rhythm is it" der Berliner Philharmoniker ist hier angedacht.
Heiner Reich: Diskotheken, Kneipen und andere Orte, an denen sich Menschen in anderem Kontext begegnen, sind natürlich ganz vorne auf unserer Liste. Auch für Open-Air-Projekte sind wir auf der Suche: die Veste, Burgen und Schlösser in Coburgs Umland oder auch ein auf einen Traktor montierter Flügel sind möglich. Das letztere ist übrigens kein Witz!
In diesem Jahr bieten Sie eine Konzert-Lesung in Zusammenarbeit mit der "Gesellschaft der Musikfreunde" an. Welche Möglichkeiten sehen Sie für weitere Kooperationen?
Martin Emmerich: Viele
(lacht). Das Landestheater, der "Verein", Bibliotheken und Buchhandlungen, Tanzschulen, Museen, der Kunstverein, die Musikschule, Schulen und Kindergärten, das Kino Utopolis, die HUK-Arena...
Welches Publikum möchten Sie mit dieser kontrastreichen Programmauswahl ansprechen?
Martin Emmerich: Alle
(lacht wieder)Fabian Wankmüller: Beispielsweise wurden wir gerade angesprochen, ob wir für die Coburger KulturTafel Tickets bereitstellen wollen. Die Coburger KulturTafel ermöglicht Menschen mit niedrigen Einkünften am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen - der Bitte werden wir natürlich gerne nachkommen. Dann gibt"s ja die Kinder- und Jugendkonzerte für mehr als 800 junge Zuhörer. Dort werden Werke des Festivals in Ausschnitten zu hören sein. Niemand muss schon mal in einem klassischen Konzert gewesen sein, um bei "Klanggrenzen" dabei zu sein!
Heiner Reich: Unser Ticket-System ist auch sehenswert: So gibt es ein Oma/Opa-Ticket, bei dem zum Beispiel die Oma ermäßigten Eintritt bekommt, wenn sie ihren Enkel mitbringt. Kinder, Jugendliche, Schüler und Studenten zahlen generell überhaupt keinen Eintritt. Das gibt's nur bei "Klanggrenzen"!
Sie und Ihre Mitstreiter des Aramis-Trios sind ein junges Veranstalterteam. Was treibt Sie dazu, einen Abend dem immer wieder totgesagten Genre zu widmen?
Fabian Wankmüller(schmunzelnd): Totgesagt? Was meinen Sie?
Welches Feedback haben Sie 2017 bekommen?
Heiner Reich: Natürlich gab es zahlreiche positive Rückmeldungen direkt nach den Konzerten. Wir haben immer im Anschluss an die Konzerte alle Zuhörer eingeladen noch bei einem Glas Wein mit uns gemeinsam den Abend zu beschließen, was auch von vielen Interessierten genutzt wurde; aber auch über Emails wurde uns einiges zugetragen: eine begeisterte Besucherin attestierte uns bereits im ersten Jahr "Großstadtformat".
Martin Emmerich: Schon vor Beginn des Festivals bemerkten viele Coburger unsere innovativen Plakate und Flyer. Wie bei den Konzerten, wie bei den Kinderprojekten, wir versuchen aus der Masse herauszutreten und machen uns bereits mit der Gestaltung enorme Arbeit. Für die meisten Konzerte werden eigene Fotomotive entwickelt und mit hohem zeitlichen Aufwand geschossen. Anschließend bearbeitet unsere Künstlerin die Motive und holt die Klang-Grenzen zeichnerisch hervor.
Inzwischen gibt es einen Verein "Klanggrenzen". Wie kann dieser Verein Ihre Arbeit unterstützen?
Fabian Wankmüller: "Klanggrenzen" ist zwar das geistige Kind unseres Trios, aber es soll ja wachsen und sich entwickeln. Uns schwebt ein Festival zum Mitmachen, zum Gestalten und Umgestalten vor. Schon jetzt kommen von den Vereinsmitgliedern immer wieder neue Ideen zu Programmen, Spielorten und Künstlern, die wir alle sammeln. Wir haben uns bewusst für einen geringen jährlichen Mitgliedsbeitrag entschieden, da wir keine elitäre Veranstaltungsreihe sein wollen, die auf das Geld der Mitglieder angewiesen ist, um Kultur zu ermöglichen. Die Mitglieder selbst sollen der kreative Grundstock sein. Daher laden wir jeden ein: vorbeischauen, mitmachen, verändern und verbessern!
Heiner Reich: Jetzt muss ich noch meinem Namen alle Ehre machen: hat auch steuerliche Vorteile...
(lacht).
Für Ihre Programme - speziell für das Education-Angebot - sind Sie auf die Unterstützung von Sponsoren angewiesen. Wie schwierig/einfach ist es, in Coburg Unterstützer für Ihr Projekt zu begeistern?
Martin Emmerich: Wir sind natürlich extrem dankbar, wieviel Unterstützung wir nach nur zwei Jahren bekommen. Die HUK-Coburg hat uns schon zum zweiten Mal die Finanzierung unserer Education-Programme komplett ermöglicht. Auch die -Bank, Brose, die Sparkasse und Kaeser sind erneut dabei. Wir wissen, dass das keine Selbstverständlichkeit.Luft nach oben gibt's aber natürlich immer! Vor ein paar Jahren haben wir bereits versucht das Projekt "Klanggrenzen" in Karlsruhe zu etablieren, sind aber längst nicht auch derart tolle Unterstützung gestoßen.
Fabian Wankmüller: Geschweige denn auf ein derart begeisterungsfähiges Publikum
Wie soll es 2018 weitergehen?
Fabian Wankmüller: Markus Becker wird mit einem Jazz-Programm nach Coburg kommen, das Armida-Quartett möchte vorbeischauen; poetry slam wird auf Musik von Franz Schubert treffen und Tangomusik wird mit Videoprojektionen verbunden. Dies nur einige der Projektideen, die es für das kommende Jahr gibt. Ziel ist es, das Festival stetig auszubauen, den Verein weiter zu etablieren, begeisterte Menschen zu finden, die mithelfen wollen, dieses atemberaubende Projekt weiterzuentwickeln und in Coburg und Umgebung fest zu installieren.
Jetzt aber freuen wir uns erst einmal auf ein spannendes Festival, auf sehr dynamische Künstler, auf interessante Kombination, auf den Kontakt zu unserem jungen Publikum, auf Anregungen, Kritik und offene Ohren.
Heiner Reich: Oder besser: Auf offene Sinne!
Klanggrenzen 2017 - Alle Termine auf einen Blick
Musik schmeckt! Werke von Mozart, Ibert, Sima und anderen mit dem Ensemble Dreiraum (Chikako Nagatsuka, Oboe, Philipp Grondziel, Klarinette, Thomas Acker, Fagott) in der Weinhandlung Oertel, 26. Juni, 18 und 20 Uhr, 27. Juni, 20 Uhr
Die Maske des Roten Todes - Musik und Grusel. Claude Debussys Danse sacrée et Danse profane für Harfe und Streichquartett, Beethovens Streichquartett Es-Dur Op. 74, das "Harfenquartett", André Caplets "Conte fantastique" für Harfe und Streichquartett nach Edgar Allan Poes Geschichte, mit dem Philharmonischen Streichquartett der Münchner Philharmoniker. Jugendzentrum Domino, 9. Juli, 20 Uhr
Schumanns Schatten Musik und Lesung. Martin Emmerich (Violine), Heiner Reich (Violoncello) und Fabian Wankmüller (Klavier) spielen Nils W.Gade Novelletten für Klaviertrio Op. 29, Volker David Kirchners Klaviertrio Nr. 1, "Schumann in Endenich", Robert Schumann: Klaviertrio Nr. 3 in g-Moll Op. 110 (Nils W. Gade gewidmet). Dazu liest Frederik Leberle aus Peter Härtlings Buch "Schumanns Schatten". Pfarrzentrum St. Augustin, 11. Juli, 20 Uhr
Entrückung. Musik und Malerei. Das Festival-Streichquartett (Martin Emmerich, Daniela Steinmetz, Violine, Andreas Hilf, Viola, und Heiner Reich, Violoncello) spielen Johann Sebastian Bach: 1. Suite für Violoncello G-Dur BWV 1007, Mozarts Duo für Violine und Viola KV424 und Arnold Schönbergs 2. Streichquartett Op. 10. Gesang: Kora Pavelic. Dazu gibt es in Zusammenarbeit mit der Glaserei Späth eine Ausstellung mit Werken von Wieland Prechtl. VR-Bank Filiale am Theaterplatz, 12. Juli, 19.30 Uhr
Sonnenbrand am Wolgastrand. Ein Crossover-Operettenabend mit Julia Da Rio und ihrem Operettentrio Mondieu Operettenassekuranz. Leise am Markt, 13. Juli, 20 Uhr
Weitere Infos: unter www.klanggrenzen.de und in den ausliegenden Programmbroschüren
Karten gibt es beim Coburger Tageblatt, Hindenburgstraße, in der Buchhandlung Riemann sowie per Internet. Kinder und Jugendliche haben freien Eintritt.