Wagner-Stiftung: "Bayreuth sollte kein Zankapfel sein"

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Auch ein Bayreuther Zankapfel: Die Wagner-Büste von Arno Breker im Festspielpark ist zwar ein beliebtes Fotomotiv, aber wegen der NS-Vergangenheit des Künstlers nicht unumstritten. Archivfoto: Marcus Führer/dpa
Auch ein Bayreuther Zankapfel: Die Wagner-Büste von Arno Breker im Festspielpark ist zwar ein beliebtes Fotomotiv, aber wegen der NS-Vergangenheit des Künstlers nicht unumstritten. Archivfoto: Marcus Führer/dpa
Chris Thomale Foto: Universität Freiburg
Chris Thomale Foto: Universität Freiburg
 
Organigramm der Richard-Wagner-Stiftung Vorlage: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung
Organigramm der Richard-Wagner-Stiftung Vorlage: Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung
 

Der Jurist und Wissenschaftler Chris Thomale beschäftigt sich seit Monaten intensiv mit der Richard-Wagner-Stiftung. Er appelliert an die öffentlichen Geldgeber, wieder mehr dem Stiftungszweck zu folgen - und weniger dynastischen und machtpolitischen Interessen.

Wenn die heutige Politiker- und Prominentenparade auf dem roten Teppich gelaufen ist, stehen am Grünen Hügel erst einmal künstlerische Fragen im Mittelpunkt. Ist die nur durch den Skandal um ein altes Sänger-Tattoo Aufsehen erregende Holländer-Inszenierungim zweiten Jahr besser geworden? Wird das, was Regisseur Frank Castorf und Dirigent Kirill Petrenko zu Richard Wagners Ring-Tetralogie neu erarbeitet haben, ein maßgeblicher Beitrag für sein Jubiläumsjahr? Gibt es in Bayreuth neben den vorhandenen Wagner- und Theaterbaustellen noch etwas, das saniert werden muss? Durchaus.
Chris Thomale, 31-jähriger Jurist und Akademischer Rat an der Universität Freiburg, befasst sich seit einigen Monaten intensiv mit der Richard-Wagner-Stiftung und steht im Stiftungsrat als Berater den Kindern Wieland Wagners zur Seite.

Was ist an der Wagner-Stiftung von der Struktur und der Satzung her reformbedürftig?
Chris Thomale: Man liest allenthalben von der angeblich in die Jahre gekommenen Satzung. Dem kann ich so nicht vollumfänglich zustimmen. Die Satzung ist zwar nicht justiziabel genug formuliert worden, was in der Tat ein Mangel ist. Aber sie kommt den Interessen der Stiftung unverändert in wesentlichen Teilen entgegen und ist damit weiterhin aktuell. Natürlich sind Anpassungen nötig, aber es drängt sich der Verdacht auf, dass mit dem Narrativ des In-die-Jahre-gekommen-Seins die Bereitschaft zur Dehnung oder sogar zum Bruch der Satzung geschaffen werden soll. An erster Stelle muss aber die bestehende Satzung eingehalten werden, danach kann man sich gerne über ein paar Aktualisierungen unterhalten, was jetzt auch geschieht. In der letzten Stiftungsratssitzung am 17. Juli wurde unter anderem beschlossen, dass eine Kommission einen Reformvorschlag erarbeiten soll.

Was streben Sie konkret an, was sind Ihre Ziele?
Am wichtigsten wäre, dass man die gegebenen Doppelungen strafft und vereinfacht. Drei der vier Gesellschafter der Festspiele-GmbH sind Träger der öffentlichen Hand, das heißt, der Bund, der Freistaat Bayern und die Stadt Bayreuth haben ohnehin die Mehrheit und sind zum Teil mit denselben Personen auch im Stiftungsrat und Stiftungsvorstand vertreten - ebenso wie die Geschäftsführerinnen der GmbH, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier und die "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth". Um es vereinfacht zu sagen: Es sind in mehreren, ineinander verschachtelten Gremien und Körperschaften immer wieder dieselben Personen, die über dieselben Sachen befinden. Das hat große Nachteile.

Welche?
Der erste Nachteil besteht darin, dass dies die Prozesse natürlich verlangsamt. Wir haben das jetzt wieder gesehen, beim Abschluss des Mietvertrags mit der Bayreuther Festspiele GmbH. Da hieß es immer, ein Änderungsantrag im Stiftungsrat würde erhebliche Entscheidungsaufwände erzeugen, weil der geänderte Entwurf den Gremien der GmbH zur erneuten Entscheidung zugeleitet werden müsse.. Der zweite Nachteil ist, dass diese zusätzlichen Aufwände negative Anreize setzen um Transparenz zu verhindern. Es gibt Vernebelungseffekte. Dadurch, dass Entscheidungsprozesse gekoppelt und verschachtelt werden, besteht die Gefahr, dass auch Verantwortlichkeiten schlechter erkennbar sind.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
In der letzten Stiftungsratssitzung ging es darum, ob im Mietvertrag, mit dem die Stiftung das Festspielhaus an die GmbH vermietet, vorgesehen werden muss, dass die Stiftung sich für den Fall, dass die GmbH Geschäftsführer bestimmt, die nicht als Festspielleiter durch den Stiftungsrat legitimiert sind, davon lösen können muss. Mein Vorschlag war, ein Sonderkündigungsrecht der Stiftung im Mietvertrag festzuhalten, damit die Stiftung ihr Personalhoheitsrecht, ihr Königsrecht, gegenüber der GmbH durchsetzen kann. Im gesamten Stiftungsrat herrschte darüber Einigkeit. Als es jedoch darum ging, den Änderungsvorschlag des Mietvertragsentwurfs zu beschließen, wurde eingewandt, dass das zu aufwändig und komplex sei, weil der Entwurf der GmbH vorgelegt werden müsse, die dann eigens tagen müsse und vieles mehr. Wenn es so komplex ist, sagte ich, wenn es so ungewiss ist, dass die GmbH dem zustimmen wird, dann ist es offensichtlich eine unzureichende Sicherung für die Stiftung, wenn das Sonderkündigungsrecht nicht wörtlich im Mietvertrag enthalten ist. Dem wurde wiederum entgegengehalten, im Stiftungsrat säßen ausreichend Mitglieder, die zugleich in den Gremien der GmbH entscheidungsbefugt seien und deshalb sicherstellen könnten, dass eine entsprechende Änderung des Mietvertrages auch in der GmbH verabschiedet wird. Zusammengefasst soll also die GmbH zugleich unantastbar fern und in unmittelbarer Nähe des Stiftungsrates anzusiedeln sein. Das sind Versteckspiele, Bäumchen-wechsle-dich-Spiele, die nur in einer Struktur möglich sind, die diese Doppeleffekte aufweist.

Was wäre eine Alternative dazu?
Dass man aus der GmbH, die man schon aus Haftungsgründen und als Vehikel zur Organisation der Festspiele braucht, eine hundertprozentige Tochter der Stiftung macht. Dann könnte man aus dem Verwaltungsrat und der Gesellschafterversammlung der GmbH, dem Stiftungsrat und dem Vorstand der Stiftung ein oder maximal zwei Gremien bilden, die zentralisiert die Entscheidungen über die Bayreuther Festspiele treffen. Das wäre effizienter, kostengünstiger und vor allem transparenter.

Warum wollte das bisher niemand?
Es gibt vermutlich Eigenrationalitäten des politischen Prozesses. Innerhalb der GmbH, die zu 75 Prozent der öffentlichen Hand gehört, ist der politische Einfluss vollkommen unbegrenzt und ungebremst. Sofern sich die öffentliche Hand einig ist, kann sie über die Geschicke der GmbH uneingeschränkt bestimmen. In der Stiftung ist sie hingegen an die Stiftungssatzung und an den Stifterwillen gebunden. Das macht es etwas schwerer, dort zu dominieren - deswegen auch das Interesse der Akteure an der Doppelstruktur. Fairerweise muss man sagen, dass das natürlich auch auf bestimmte historisch gewachsene Prozesse zurückzuführen ist. Letztlich resultiert diese Struktur aus einer Gestaltung, die Wolfgang Wagner damals gewählt hat - aus Motiven, über die man nur spekulieren kann. Der Einfluss der öffentlichen Hand ist jedenfalls immens, sie kann fast jeden Beschluss herbeiführen, den sie möchte. Nur dadurch, dass die Stifter oder andere Stiftungsratsmitglieder den Stiftungszweck einklagen könnten, gibt es zumindest ein Restrisiko.

Ist es für Änderungsvorschläge der Satzung nicht schon zu spät, weil im Herbst angeblich über die Vertragsverlängerung der Festspielleiterinnen entschieden werden soll?
Da muss man drei Dinge trennen: Was zuletzt im Stiftungsrat beschlossen wurde, war allein die Verlängerung des Mietvertrags der GmbH für das Festspielhaus. Die Doppelstruktur wurde, um eine verlässliche Grundlage für die Sanierungsinvestitionen aller Beteiligten zu schaffen, als solche zementiert bis ins Jahr 2038. Die andere Frage ist, wie zukünftig die Organisationsstruktur der Festspiele aussehen soll. Das wird ohne eine Satzungsänderung der Richard-Wagner-Stiftung nicht gehen. Da kommen die Modelle ins Spiel, über die wir schon gesprochen haben: das monistische Modell mit der Stiftung, die über eine Träger-GmbH handelt, die eine hundertprozentige Tochter ist - das wäre mein Wunschmodell, weil es auch das einfachste ist. Oder aber man bewahrt die Doppelstruktur bei und koordiniert zumindest die Entscheidungsprozesse besser. Das ist die zweite Baustelle.

Und die dritte Baustelle?
Eine davon vollkommen unabhängige Frage ist, wer Festspielleiter wird. Die Hoheit zur Bestimmung des Festspielleiters bleibt auch nach Verlängerung des Mietvertrags laut Paragraf 8 der Stiftungssatzung bei der Stiftung. Wir haben ja gerade entsprechende Beschlüsse gefasst, um diesen Paragrafen nicht mittelbar durch einen knebelnden Mietvertrag auszuhöhlen - insbesondere, nachdem sich durch den kaufmännischen Geschäftsführer Heinz-Dieter Sense die Festspielleitung personell umstrukturiert hat. Deswegen muss jetzt gemäß der Satzung ein Nachfolgeverfahren durchgeführt werden.

Wie läuft das ab? Wird die Festspielintendanz wie an jedem anderen Theater ausgeschrieben?
Zunächst muss die Familie Wagner in angemessener Frist aufgefordert werden, Vorschläge zu unterbreiten. Wenn im Stiftungsrat Zweifel bestehen, ob die vorgeschlagene Person oder Personen geeignet sind, muss nach Absatz 3 der Satzung auch die Expertise von einigen führenden Opernintendanten herangezogen werden, deren Liste aus heutiger Sicht unvollständig ist. Bei dem Ende Februar in Wiesbaden veranstalteten Symposium "Kulturstiftungen: Gründung - Führung -Kontrolle"hat Professor Erik Jayme sehr überzeugend argumentiert, dass auch entsprechend exponierte ostdeutsche Opernhäuser zu berücksichtigen wären. In dem Zusammenhang ist tatsächlich ein gewisser Mangel der Satzung gegeben, denn da steht nur: "Hat der Stiftungsrat Zweifel darüber, ob ein Mitglied der Familie Wagner für den Posten des Festspielunternehmers besser oder ebenso gut geeignet ist wie andere Bewerber, so hat er die Entscheidung einer dreiköpfigen Sachverständigenkommission einzuholen."

Kann man die Zweifel überhaupt definieren?
Das ist die Frage. Wessen Einschätzungen sind entscheidend? Ganz abgesehen davon wohnt jedem Auswahlverfahren ein Zweifel inne. Wenn man mehrere Kandidaten hat, müsste man eigentlich immer die Fachleute aus anderen Opernhäusern beiziehen. Denn es geht, wenn wir uns den Stiftungszweck anschauen, um den Erhalt des künstlerischen Erbes von Richard Wagner, der am besten gesichert wäre, wenn die Festspielleitung auch in der künstlerischen Kompetenz den Anforderungen gewachsen ist. Deswegen spricht viel dafür, nicht nur das dynastische Prinzip zum Zug kommen zu lassen, sondern auch objektivierte Kriterien der Eignung und fachlichen Qualifikation. Davon unabhängig ist, ob die GmbH sich entschließt, jemanden anzustellen. Die GmbH kann beschäftigen, wen sie möchte. Aber Festspielleiter wird man nur durch Ernennung des Stiftungsrates.

Kann die die GmbH langfristige Anstellungsverträge mit Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner beschließen?
Ja, aber das heißt nicht, dass die beiden für die Laufzeit dieser Verträge auch Festspielleiterinnen wären. Sondern es bedeutet nur, dass die GmbH vorhat, sie entsprechend zu bezahlen. Ob sie aber als Festspielleiterinnen tätig sein dürfen, ist Sache der Stiftung. Insofern müssen insbesondere bei jeder personellen Umstrukturierung in der Festspielleitung die Stiftung und der Stiftungsrat gefragt werden.

Ist der Stiftungsrat auch wegen Heinz-Dieter Sense gefragt worden?
Bislang nicht. Und ich gehe fest davon aus, nachdem mittlerweile auch offiziell bekannt ist, dass Herr Sense Teil der Festspielleitung sein soll, dass der Vorstand der Richard-Wagner-Stiftung demnächst ein entsprechendes Wahlverfahren einleitet, um zu klären, ob Herr Sense als Festspielleiter ernannt wird oder nicht.

Seit wann sind Sie für den Wieland-Stamm tätig?
Bei der Tagung Ende Februar in Wiesbaden, im Rahmen derer ich mich im Anschluss an Professor Jaymes Vortrag mit einem kleinen Debattenbeitrag zu Wort meldete, wurde Nike Wagner auf mich aufmerksam. Das kam für mich aus heiterem Himmel, dass sie mich ansprach. Danach habe ich begonnen, die Familie juristisch zu beraten.

Haben denn Abkömmlinge von Wieland Wagner heute noch ein konkretes Interesse an der Festspielleitung?
Das kann ich nicht beurteilen. Da müssen Sie die in Frage kommenden Personen selbst fragen. Das Engagement der Wieland-Kinder in und für die Stiftung habe ich jedenfalls vollständig als im Sinne der Stiftung wahrgenommen. Ich habe zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, dass da etwaige Eigeninteressen verfolgt werden, dass es darum ginge, selbst an die Festspielleitung zu kommen oder dass man es schlichtweg dem anderen Stamm nicht gegönnt hätte. Ich hatte nie einen Zweifel daran, dass es der Familie Wieland Wagner in allererster Linie um das Wohl der Stiftung geht. Das allein bestärkt mich darin, mich für diese Sache einzusetzen. Aber am Ende des Tages geht es mir weniger um Personen, sondern in erster Linie um das Selbstverständnis der politischen Kunstförderung. Möchte man ein Mäzen sein, der die Kontrolle behält, oder möchte man ein Mäzen sein, der freie, selbstbestimmte Kunst ermöglicht? Die gerade genehmigten 30 Millionen Euro für die Sanierung des Festspielhauses sind nicht nur, wenn man beispielsweise an die Elbphilharmonie denkt, Peanuts.

Jedes kleine Stadttheater kostet die öffentliche Hand mehr als die Bayreuther Festspiele...
Genau! Angesichts dessen stünde es Bund, Land und Stadt ganz gut zu Gesicht, wenn sie sagen würden: "Wir ziehen uns ein Stück weit aus der Kontrolle der Festspiele zurück und überlassen sie dem Sachverstand der Kunstschaffenden." Ich würde mir wünschen, dass die öffentliche Hand nicht lediglich der schlichten Logik folgt, dass derjenige, der die Musik bezahlt bestimmen darf, was gespielt wird. Sondern dass man eher - um ein Kant-Wort zu entlehnen - sagt: "Wir wollen wirklich schenken - und nicht die Seele kaufen."

Was ist die Seele der Bayreuther Festspiele?
In einer etwas legalistischen Antwort würde ich sagen, die Seele der Bayreuther Festspiele ist in Paragraf 2 der Stiftungssatzung niedergelegt. Es geht um den Erhalt des künstlerischen Erbes von Richard Wagner. Das ist die Seele der Bayreuther Festspiele! Warum glaubt man eigentlich, dass der Staat, dass Vertreter der öffentlichen Hand besonders befähigt sind, eine Festspielnachfolge zu bestimmen? Oder zu bestimmen, ob noch eine Probebühne gebaut wird? In welcher Weise ist der Staat dafür kompetent? In der Wirtschaft wimmelt es von Befürwortern eines eher zurückhaltenden Staatsverständnisses. Es liegt beispielsweise fern anzunehmen, dass der Staat ein besserer Garant preiswerter Telekommunikation ist als es die privaten Anbieter sind. Deswegen wäre ein gewissenhafter Staat gerade derjenige, der sich zurücknimmt, der durch Zurücknahme führt - kurz: ein sich selbst beschränkender Staat. Der richtige Wahlspruch wäre, um mit Erich Fromm zu sprechen: Weniger Haben und mehr Sein! Bayreuth sollte kein Zankapfel sein, an dem man aus dynastischen oder staatlich-monetären Machtkriterien festhält. Es sollte vielmehr etwas sein, das man in größtmöglicher künstlerischer Freiheit gedeihen lässt.