"Wer macht es richtig?" Tschechiens Atompläne ecken in Bayern an - aber nicht nur

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AKW Temelín
Bisher lagert tschechischer Atommüll unter den beiden AKWs Temelín und Dukovany - bald soll es aber ein Endlager geben.
AKW Temelín
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Wenn es um die Atomkraft geht, entfernen sich die Nachbarländer Tschechien und Deutschland immer weiter voneinander. So sorgt die Suche nach einem Atommüll-Endlager für Sorgenfalten in Bayern - denn ein heißer Kandidat liegt nur einen Steinwurf von der Grenze entfernt. Und auch die Pläne für sogenannte Mini-Akws lösen wenig Begeisterung aus in den Grenzgemeinden.

2030 soll klar sein, wo der tschechische Atommüll lagern soll. Bisher befinden sich die Kastoren auf dem Gelände der beiden Atomkraftwerke Temelín und Dukovany. Spätestens 2065 sollen die radioaktiven Abfälle in Endlagern ihre letzte Ruhestätte finden. Die Suche nach einem möglichen Standort läuft schon seit Jahren. Nötig wird das vor allem auch, da die beiden bestehenden AKWs mittelfristig vergrößert werden sollen. Ende 2020 nickte die damalige Regierung in Prag fünf Favoriten ab - darunter auch das Projekt "Březový potok" im Raum Klatovy. Dieser Plan hat jedoch internationale Brisanz, denn die westböhmische Gemeinde liegt nur wenige Dutzend Kilometer von der bayerischen Grenze entfernt.

Die zuständige Atommüll-Behörde SÚRAO ist optimistisch, schon bald einen geeigneten Standort bestimmen zu können. Eine Entscheidung soll 2025 fallen, bis dahin laufen Probebohrungen in den fünf Favoriten-Regionen. Aus der Prager Institution versichert man: "Tschechien verfügt über ein hoch entwickeltes Programm zur Vorbereitung eines Endlagers, einschließlich kompetenter Institutionen und Fachleute, die sich mit dieser Problematik beschäftigen", hieß es Anfang des Jahres gegenüber der Presseagentur ČTK. 

Suche nach einem Endlager in Tschechien - Fünf Standorte als Favoriten

Ein Problem ist jedoch: Mit den betroffenen Gemeinden und Umweltverbänden hat kaum jemand kommuniziert - auch wenn sich das ändern sollte. "Ich bin da skeptisch, da in der Vergangenheit schon Untersuchungen durchgeführt worden sind, ohne dass uns jemand davon in Kenntnis gesetzt hätte", sagt der ČTK zum Beispiel Petr Klásek, er ist Bürgermeister der Gemeinde Chanovice in der betroffenen Region.

Unter anderem wegen der mangelhaften Aufklärung protestieren die Bürger gemeinsam mit Umweltverbänden gegen die Pläne aus Prag. Unterstützung erhalten sie dabei auch von Gruppen aus dem Nachbarland. Denn gerade dort treiben die tschechischen Endlager-Konzepte Bürgern und Lokalpolitikern die Sorgenfalten in die Stirn. Unter anderem der Bürgermeister von Bayerisch Eisenstein, Michael Herzog (CSU), ist gegen ein grenznahes Endlager. "Man muss da nicht von heute auf morgen, sondern an die nächsten Generationen denken", sagte er unlängst gegenüber dem Bayerischen Rundfunk (BR).

Die Endlagersuche ist aber nicht das einzige Problem, das atomkritische Bürger in den bayerischen Grenzgemeinden umtreibt. Denn anders als die Bundesregierung - die im April kommenden Jahres die verbliebenen drei Meiler abschalten will - plant Tschechien sogar einen Ausbau der Atomkraft. So will das liberalkonservative Kabinett den Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion bis 2040 auf mehr als die Hälfte erhöhen. Eine Schlüsselrolle könnten dabei "Mini-AKWs" - neue Kernkraftwerke im Kleinformat - spielen.

Mini-AKWs für mehr Energiesicherheit - Gespaltene Meinungen in Bayern

Petr Závodský ist innerhalb des teilstaatlichen Energiekonzerns ČEZ für die AKW-Ausbaupläne verantwortlich. Fotos von Kühltürmen schmücken sein Büro in der Firmenzentrale in einem Prager Büroviertel.

"Es handelt sich um Druckwasserreaktoren mit dem gleichen Funktionsprinzip wie bei größeren Reaktoren, aber mit geringerer Leistung", erläutert der Vorstandsvorsitzende der zuständigen Tochtergesellschaft. Auch hier entstehe Dampf, der eine Turbine und einen Generator antreibe, der wiederum Strom erzeuge. Nicht nur die Leistung sei geringer, niedriger seien auch die Investitionskosten.

Das neue Zauberwort der Nuklearindustrie heißt "Small Modular Reactor" (SMR), also kleine modulare Reaktoren. "Wir reden hier nicht von Reaktoren aus Russland oder China, sondern nur von den Produkten westlicher Hersteller", betont Závodský. Sieben SMR-Entwicklungsprojekte hat er im Blick, darunter den BWRX-300 von GE Hitachi und den Nuward des französischen EDF-Konzerns. Die tschechische Industrie soll, wenn möglich, beteiligt werden.

Reaktoren in Grenznähe? Deutsche Seite soll beteiligt werden

Zunächst will man in Prag die Erfahrungen mit der neuen Technik in einem anderen Land abwarten. "Im Jahr 2032, 2033 oder 2034 könnten wir dann unseren Reaktor im Betrieb nehmen", sagt Závodský. Als erster Standort kommt für ihn eigentlich nur das AKW-Gelände im südböhmischen Temelín infrage. Es liegt nur rund 60 Kilometern von den Grenzen zu Bayern und Österreich entfernt.

In Temelín verfüge man über Personal und Sicherungssysteme, betont man bei ČEZ. Zudem kenne man den Standort am besten im Hinblick auf Seismologie, Geologie und Hydrologie. Závodský verspricht, dass in jedem Fall eine neue grenzüberschreitende Prüfung der Umweltverträglichkeit Pflicht sein werde. "Auch die deutsche Öffentlichkeit wird das Recht haben, an öffentlichen Anhörungen teilzunehmen", betont der Atomkraft-Manager. 

Doch die Pläne gehen viel weiter. In der ČEZ-Konzernzentrale sieht man die kleinen, modularen Reaktoren bereits als künftigen Ersatz für Kohlekraftwerke. Diese gelten aufgrund der Klimaschutzpläne als Auslaufmodell. Der Vorteil wäre, so die Planer, dass dann ganze Städte mit Fernwärme aus einem lokalen AKW versorgt werden könnten. Mehr als ein Drittel der Haushalte in Tschechien nutzt diese Form der Heizung - in Deutschland sind es nur rund 14 Prozent.

"Vertane Zeit" - Lenkt Tschechien nur von Sicherheitsmängeln ab?

Werden in Tschechien also in wenigen Jahrzehnten mehr als ein Dutzend SMR-Reaktoren ihren Dienst tun? Zwar fehlt noch eine verbindliche Entscheidung des Kabinetts in Prag, doch im benachbarten Bayern sorgt diese Vorstellung für Verunsicherung. Dort wird bereits die tschechische Suche nach einem Standort für ein Atommüll-Endlager mit großer Sorge verfolgt.

Der Bezirkstagspräsident Niederbayerns, Olaf Heinrich, erfuhr von den tschechischen Mini-AKW-Plänen vor kurzem bei einem Treffen der Partnerregionen. Man wisse nichts über die Sicherheit dieser neuen Reaktoren, wendet der CSU-Politiker ein. "Selbst wenn jemand die Atomkraft befürwortet, muss er die Sicherheit mitdenken", betont der Bürgermeister der Grenzstadt Freyung. Hier müsse es einheitliche europäische Standards geben.

Brigitte Artmann, prominente Temelín-Kritikerin aus dem ostbayerischen Fichtelgebirge, fühlt sich an Zeiten erinnert, als man atombetriebene Autos bauen wollte. "Das sind Zukunftspläne - ob die jemals realisiert werden?", sagt die Grünen-Politikerin. In der vertanen Zeit könnten ihrer Ansicht nach viele Windräder, Photovoltaikanlagen und Speicher gebaut und damit die Energiewende vorangebracht werden. Artmann sieht in dem Projekt zudem einen Versuch, von Sicherheitsmängeln an den bestehenden Anlagen in Temelín abzulenken.

Zustimmung zu AKWs in Tschechien hoch - Bayern will Sorgen ernst nehmen

In den bayerischen Wirtschafts- und Umweltministerien zeigt man Verständnis für die Sorgen der Bürger. Die Nutzung der Kernenergie sei ein gesellschaftlich umstrittenes Thema, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. Es sei deshalb "absolut nachvollziehbar", dass die Ankündigung des Ausbaus von AKW-Kapazitäten in Grenznähe für Diskussionsbedarf in der Bevölkerung sorge. Zugleich verweist man in München auf die Bundesregierung, die für internationale Beziehungen zuständig sei.

Um Unterstützung in der eigenen Bevölkerung muss sich die Atom-Lobby in Tschechien nicht groß bemühen. In einer im Vorjahr durchgeführten "Eurobarometer"-Umfrage gaben 79 Prozent der Tschechen an, die Atomkraft werde in den nächsten 20 Jahren positive Auswirkungen haben. Das war die höchste Zustimmung unter allen EU-Staaten.

In Deutschland rechnete indes eine klare Mehrheit von 69 Prozent der Befragten mit negativen Folgen. Im Angesicht der Energiekrise ist aber fraglich, wie lange die Atomkraft in Deutschland noch Paria bleibt - das zeigen auch einzelne Stimmen aus dem Grenzgebiet. "Wir schalten ab und haben in Deutschland zu wenig Strom, stehen vielleicht vor dem Blackout. Und die anderen, die bauen aus. Jetzt ist die Frage, wer macht es richtig?", sagte beispielsweise der ehemalige Atomkraft-Gegner Andreas Kreutzer aus Bayerisch Eisenstein gegenüber dem BR.