Der prominenteste Ex-Insasse des Bayreuther Bezirkskrankenhauses, Gustl Mollath, traf den aktuell bekanntesten Patienten, Ulvi Kulac. Unterstützer der beiden Männer sprachen sich gegen Staatswillkür aus.
Am Abend, im proppenvollen Saal der Becher-Bräu in Bayreuth, ist Ulvi Kulac nur mehr als Fotografie mit von der Partie. Ein Forum für "Justizopfer" soll die ungewöhnliche Podiumsdiskussion sein. Die Aufnahme flankiert den Fünfer-Tisch auf der Bühne. Das Porträt zeigt den geistig behinderten Lichtenberger als lächelnden Mann, den netten Jungen von nebenan. Sieht so ein Kindermörder aus? Die neunjährige Peggy soll er auf dem Gewissen haben, dafür gab es 2003 das Urteil: lebenslänglich.
In diesem Saal und an diesem Donnerstagabend aber hält das jeder für einen ganz üblen Scherz. Fast 200 Menschen sind gekommen. Mancher gibt sich in persönlichen Einlassungen selber zu erkennen als vermeintliches Opfer von Gutachter-Pfusch, anwaltlichem Parteienverrat, Polizeiwillkür.
Ein ehemaliger Kickbox-Champion ist darunter; eine Frau mit Psychiatrievergangenheit; die Mutter eines Mädchen, das in Taufkirchen hunderte Stunden fixiert worden sei. Grundlos, heißt es. Das Versagen von Recht und Gesetz: In Bayern hat es offenbar viele Gesichter.
Gudrun Rödel sitzt hinter dem Plakat mit dem lächelnden Ulvi. Sie ruckelt an ihrer roten Brille und lächelt auch. "Ulvi erlebt gerade eine Phase puren Glücks." Kulac' Betreuerin und zugleich Sprecherin des "Unterstützerkreises Ulvi", der zu der Veranstaltung geladen hat, spielt mit der seelischen Zustandsbeschreibung ihres Schützlings natürlich auf den bevorstehenden Wiederaufnahmeprozess an. Ab 10. April soll Ulvi am Landgericht Bayreuth Gerechtigkeit widerfahren. Nach über zehn Jahren in der Psychiatrie.
Lauter Beifall im Saal, der betagte Holzboden vibriert vom Klatschen der Hände, den "Bravo"- und "Korrupter-Justizhaufen"- Rufen.
Neben Gudrun Rödel auf dem Podium nickt Gustl Mollath, einst der wohl berühmteste Psychiatrie-Insasse Deutschlands. Als die Münchbergerin in Ulvis Fall von "himmelschreiender Ungerechtigkeit" spricht, nickt er nochmals. Kulac könnte vielleicht bald ein freier Mann sein - Mollath ist es schon. Oder noch. Sein neuer Prozess beginnt am 7. Juli, und er hat sich bereits munitioniert dafür, wie man an seinen Mitbringseln sieht. Aus seiner Mappe zieht er das Buch "Normal" des US-Forensikers Allen Frances mit dem Bekenntnis: Wenn die Psychiatrie es wolle, ist fast jeder krank.
"Definition rechtsfreien Raums" Im Becher-Saal hängen sie an Mollaths Lippen. Er zitiert aus einem Schreiben von Star-Anwalt Rolf Bossi.
"Im Maßregelvollzug sind Sie rechtlich ohne jede Hilfe und ausschließlich auf die Beurteilung der Ärzte angewiesen." Mollath nennt das "die Definition des rechtsfreien Raums in einem vermeintlichen Rechtsstaat".
Eine Frau ruft dazwischen: "Sind denn wirklich alle, die in der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses untergebracht sind, grundlos dort? Ich glaube eher nicht." Sofort grummelt es in den Reihen. Ein Gast schickt ein paar nicht zitierfähige Verwünschungen in Richtung der Fragestellerin.
Mollath antwortet ruhig. Es gehe hier nicht um die "schweren Jungs", die einsäßen, weil sie ordentlich auf dem Kerbholz haben. Es geht um die, die in die Mühlen geraten, weil es anderen in den Kram passe. "Dann ist man den Fachleuten angeblich ärztlicher Kunst ausgeliefert.
Und in Deutschland", sagt er und hält kurz inne, "in Deutschland gibt es ein Folterverbot."
Einige notieren sich diese Sätze, unter anderem Gabriele Pauli, einst das Enfant terrible für die CSU. Die ehemalige Fürther Landrätin hatte im vergangenen Sommer zum Auftakt der Festspiele den damals noch einsitzenden Mollath als ihre Begleitung zum abendlichen Staatsempfang mit Ministerpräsident Horst Seehofer einladen wollen. Der Smoking hing angeblich schon bereit, doch Mollath kam da noch nicht frei.
Jetzt kehrt er nach Bayreuth ohne ärztliche Aufpasser an seiner Seite zurück. Am Donnerstagnachmittag hatte sich der gebürtige Nürnberger mit Kulac in der Stadt Richard Wagners getroffen. Eine Art Götterdämmerung für das fränkisch-bayerische Rechtswesen. Mollath verspätete sich, weil er unbedingt vom Bahnhof zum Treffpunkt laufen wollte. Der Lichtenberger wartete derweil geduldig.
Der mittlerweile 36-Jährige, der als Folge einer Meningitis auf dem geistigen Niveau eines Achtjährigen verharrt, genoss den Freigang sichtlich. Er darf sich, so seine Betreuerin, in regelmäßigen Abständen frei bewegen. "Er ist voller Hoffnung."
Die hat Martin Heidingsfelder bisweilen verloren, wie er bei der Podiumsdiskussion äußert. "Jede Woche bekomme ich neue Einblicke in immer tiefere Abgründe." Es sei ein Horrorfilm, was sich in den führenden Kasten der Republik abspiele. Hier gilt es, sagt Heidingsfelder, beim kleinsten Anzeichen von Versagen sich ein Sprachrohr zu suchen und das Fehlverhalten öffentlich beim Namen zu nennen.
Wem der Name Heidingsfelder nichts sagt: Der Ansbacher erlangte als Football-Spieler 1987 kurzfristig Bekanntheit nach dem Gewinn der Vize-Europameisterschaft. Später kam er groß raus als Doktortitel-Plagiatsjäger im Internet.
"Goalgetter" nannte sich der Begründer von "Vroni-Plag". Dahingehend begründet sich auch sein Bezug zu Bayreuth: Heidingsfelder ließ 2013 bei der Universität Ulm die Doktorarbeit von Klaus Leipziger prüfen. Leipziger hatte das Gutachten erstellt, das Gustl Mollath paranoide Wahnvorstellungen bescheinigte und das zur Einweisung des Nürnbergers führte.