Crystal Meth: Durch die Nase in die Abhängigkeit

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und 100 Euro kostet ein Gramm Methamphetamin (Crystal) in Bayern, 30 verlangen die Dealer hinter der tschechischen Grenze. Foto: Armin Weigel, dpa
und 100 Euro kostet ein Gramm Methamphetamin (Crystal) in Bayern, 30 verlangen die Dealer hinter der tschechischen Grenze. Foto: Armin Weigel, dpa
Roland Härtl-Petri, Suchtmediziner
Roland Härtl-Petri,  Suchtmediziner
 

Seit 2009 rollt die zweite Crystal-Welle über Bayern. Fahnder beschlagnahmen immer größere Mengen an der Grenze zu Tschechien. Das alarmiert Mediziner, denn das Suchtpotenzial des Wirkstoffs Methamphetamin ist gigantisch. Oberfranken gilt als Einfallstor der Szene.

1940 hieß der Stoff Panzerschokolade, Stukka-Tablette oder Göring-Pille. Eine Wunderwaffe zum Schlucken, verabreicht zur körperlichen Ertüchtigung deutscher Soldaten und zur Beseitigung der Angst im Blitzkrieg gegen Polen. Denn gegen die Furcht vor dem Feind half Pervitin: ein Dragee zur Dämpfung von Phobien bei gleichzeitiger Erhöhung der Schlagkraft. Luftwaffe und Heer bezogen allein im zweiten Quartal 1940 über 35 Millionen Pillen; später zog die Reichsgesundheitsführung das Präparat aus dem Verkehr. Schädlich, weil extrem abhängig machend, lautete damals schon der Befund. Hauptbestandteil von Pervitin: Methamphetamin.

Neu ist der Stoff also nicht. Heute lässt er als "Crystal Meth" die Alarmglocken schrillen bei Medizinern, Drogenfahndern, Gesundheitsbehörden und Eltern. Die erhoffte Wirkung ist bei Konsumenten immer noch ähnlich wie die aus Weltkriegstagen: angst- und schmerzfrei sein, länger durchhalten können - wenn auch nicht für den nächsten Feldzug, sondern wahlweise das Party wochenende, die Mathe-Klausur oder die millionenschwere Verhandlung mit dem schwierigen Firmenkunden.


Pervetin ist nicht mit Crystal zu vergleichen


"Es wäre fatal, Pervitin mit Crystal vergleichen zu wollen", sagt Roland Härtl-Petri und tippt auf eine Zahlenkolonne mit Angaben in Milligramm. Der leitende Arzt der Drogenabteilung am Bayreuther Bezirkskrankenhaus hebt die Brauen. Das, was Literat Heinrich Böll bei Schreibblockaden eingepfiffen hat oder die Hausfrau der Fünfziger gegen die Frühform des Burn-out am Herd, sei eine Tablette mit einer vergleichsweise harmlosen Wirkstoffkonzentration gewesen. "Wir reden bei einer geschnupften Line Crystalpulver von der bis zu 50- fachen Menge an ,therapeutischer' Dosis", sagt der Mediziner.

Die nasale Aufnahme ist mittlerweile Standard - selbst in gehobenen Kreisen, wo Schnupfen früher als "Junkie-Verhalten" verschrieen war. Crystal ist salonfähig geworden. Der Stoff heißt so, weil er unschuldig weiß glitzert wie Schneekristalle. Den Effekt macht das Hydrochlorid. Beigemengt sind kleinste Glassplitter; die fügen der Nasenschleimhaut winzige Schnittwunden zu - über die der Wirkstoff schneller in die Blutbahn gelangt. Es dauert keine zehn Minuten und der Konsument fühlt sich euphorisiert. Hunger und Durst, Müdigkeit und Antriebslosigkeit scheinen wie weggeblasen. Es stellt sich eine Art Superman-Gefühl ein.

Mit diesen gefühlt Unbesiegbaren bekommen es dann die Drogenfahnder der Polizei an der Grenze zu Tschechien zu tun. "Für unsere Beamten ist die Konfrontation bei Kontrollen nicht ungefährlich", sagt Bernhard Kreuzer, Krimininalhauptkommissar am bayerischen Landeskriminalamt. "Das Mittel putscht extrem stark auf, das Aggressionspotenzial gegenüber den Uniformierten steigt."


Oberfranken gilt als Einfallstor für Crystal


Die Zahlen, die Kreuzer vorlegt, verlangten eigentlich nach einer deutlichen Erhöhung der Polizeipräsenz. "Unsere Kollegen in Hof und Wunsiedel wissen nicht, wo sie anfangen sollen." Oberfranken gilt als Einfallstor für Crystal. Registrierten die Kontrolleure 2010 noch 1100 ertappte Schmuggler, erhöhte sich diese Zahl 2011 auf 1800. Das laufende Jahr dürfte diesen Wert erneut überbieten. Die Gesamtmenge an sichergestelltem Methamphetamin beziffert Kreuzer auf rund 13 Kilogramm. "Das ist nur die Spitze des Eisbergs." Eindecken können sich deutsche Kunden relativ unbehelligt auf den Vietnamesenmärkten. "Bei unseren Nachbarn ist der Besitz bis zwei Gramm eine Ordnungswidrigkeit, hier ein Straftatbestand."

Zurecht, wie Roland Härtl-Petri sagt: "Crystal ist ein Nervengift, das beim ersten Versuch abhängig macht." Er selber betreut pro Jahr rund 200 Patienten. Die leiden unter Psychosen, debilen Zuständen, gravierendem körperlichen Verfall. "Leider gibt es noch kein Methadonprogramm." Er selber setzt auf hochdosiertes Koffein als Ersatz. Und macht Betroffenen Hoffnung: "Es ist belegt: Das Gehirn kann sich regenerieren - wenn man rechtzeitig aufhört."