Frank Castorf überzeugt auch beim vierten Teil der "Ring"-Tetralogie nicht. Seine "Götterdämmerung" zeigt: Der Regisseur kann keine Partitur lesen.
Jetzt also "Ring" in der vierten und letzten Runde: "Götterdämmerung". Nach der "Walküre" hatte man gehofft, auch in den nächsten beiden Opern wieder mehr Wagner und weniger Castorf zu bekommen, aber der "Siegfried" hatte diese Hoffnung zunichte gemacht. Für die "Götterdämmerung" erwartet man sich eigentlich nichts mehr in dieser Richtung. Und Frank Castorf enttäuscht sein Publikum nicht.
Er ist ein Regisseur der Bilder, nicht der Musik. Er hat Wagners Regieanweisungen vielleicht nie gelesen - und das muss er natürlich auch nicht. Aber wenn er immer dagegen inszeniert, dann sollte er ein schlüssiges Konzept haben und nicht eine Anhäufung von zertrümmerten Teilen. Und er sollte der Musik etwas mehr zutrauen. Stattdessen sucht er ständig nach optischen Reizen, die den Zuschauer beschäftigen sollen. Und er scheint nichts so zu fürchten wie die Pausen, in denen die Handlung aussetzt.
Im Theater kann er die Dauer der Pausen selber steuern, in der Oper mit der gnadenlosen Musik geht das nicht.
Die Drehbühne hat Alexandar Denic dieses Mal so vollgestellt, dass für die Entfaltung von Regieideen praktisch schon gar kein Platz mehr ist. Im Mittelpunkt ein vergammelter DDR-Innenhof und ein nachts natürlich geschlossener, verhauener Obst- und Gemüseladen. Daneben offene Treppenhausstrukturen und eine haushohe Leuchtreklame für "Plaste und Elaste aus Zschopau": doppelt irritierend, weil die Idee, dass Castorf mit dem Untergang von Walhall die DDR meinen könnte, nicht tragfähig ist und weil sie auch den roten Faden des umkämpften Öls nicht meinen kann, denn die Buna-Werke betrieben Braunkohlechemie. Und dann eine Gebäudefassade, die aussieht wie der von Christo verpackte Reichstag.
Aber Irrtum! "New York Stock Exchange" steht oben unter dem Tympanon.
"Na ja", denkt man sich, "irgendetwas muss ja dastehen." Wenigstens nicht: "Dem deutschen Volke." Es gibt immerhin zwei Beziehungen des berühmten Gebäudes in der Wall Street zu der Oper: Alberichs Wohnwagen vor dem Eingang ist mit einer Zinkbadewanne als Kopf und weiteren Blechaccessoires zu dem Stier umgeschmiedet, der vor der New Yorker Börse steht. Und fast noch wichtiger: Brünnhilde wohnt im Souterrain. Aber sonst? Die Ölspur hat Castorf schon längst verlassen. Sie endet vage in einigen aufgestapelten Benzinfässern, die am Ende die ganze Pracht in Flammen aufgehen lassen - vermutlich. Den Zuschauern wird nur Brünnhildes nicht einmal in der Videoprojektion glimmende Zündschnur gegönnt. Wie da der Weltenbrand in Gang kommen soll, bleibt Castorfs Geheimnis.
Rassismusdebatte In dieser Szenerie hangelt sich Castorf an den Gewalttaten entlang.
Was mit Brünnhildes sang- und klanglosem Verschwinden endet, beginnt mit den drei Nornen, die als Voodoo-Priesterinnen in Hühner stechen und die Wände mit Blut beschmieren. Wenig sinnvoll, wenn man den Ring in die Gegenwart holen will, denn die uralten afrikanischen Bräuche kamen schon im 18. Jahrhundert nach Amerika. Dass die Nornen in Schwarz, Rot und Gold gekleidet sind, ist auch nicht neu: Das gab's schon beim Meininger Ring 2001. Und natürlich kann man dem Charme der Idee erliegen, das menschenhändlerische Geschachere von Gunther, Hagen und Gutrune um Brünnhilde und Siegfried in das türkische Kiez-Milieu zu verlegen. Aber dann braucht sich Castorf nicht zu wundern, wenn er sich plötzlich in einer Rassismusdebatte wiederfindet.
So ist es wieder einmal die Musik, die die Tiefe in die Bilder bringen muss. Und sie schafft das mitunter auf ganz wunderbare Weise, wenn sich der Regisseur heraushält.
Etwa in dem Moment, in dem Waltraute (Claudia Mahnke) zu ihrer Schwester Brünnhilde (Catherine Foster ist die große Siegerin dieses Rings) kommt, um sie zur Rückgabe des Rings zu bewegen, wenn sie von Wotans Resignation berichtet, Brünnhilde aber aus Liebe hart bleibt. Da sind die beiden Frauen allein, da sind sie unter sich und bei sich, da können sie auch spielen, und sie entwickeln eine Emotionalität, die in diesem Meer an platter Gewalt überrascht.
Aber auch das Schlussterzett des II. Aufzuges mit Brünnhilde, Gunther (Alejandro Marco-Buhrmester) und Hagen (Attila Jun) hat diese fesselnde Intensität. Nein, auch Oleg Bryjak (Alberich), Allison Oakes (Gutrune), Okka von der Damerau (1. Norn und Floßhilde), Claudia Mahnke auch als 2. Norn, Christiane Kohl (3.
Norn), Mirella Hagen (Woglinde) und Julia Rutigliano (Wellgunde) lassen sich nicht ablenken, singen hochkonzentriert und nehmen ihren Part außerordentlich ernst. Schließlich können sie sich auf Kirill Petrenko und sein Orchester verlassen, das im diskursiven Spiel der Leitmotive die Spannung entwickelt, die die Bühne braucht.
Bleibt Lance Ryan, der Siegfried, der in seiner Rolle als etwas naiver Lebemann scheinbar unbeeindruckt durch die Szenerie wandelt. Der Tenor ist ja schon im letzten Jahr vom Publikum nicht auf Händen getragen worden und hat auch dieses Jahr im "Siegfried" nur ein paar spärliche Bravos abbekommen. Das hat ihn offensichtlich enorm unter Druck gesetzt, und er legt los wie die Feuerwehr, um zu zeigen, dass er es doch noch kann. Das hätte er nicht tun sollen. Der erste Ton ist vor lauter Übermotivation ziemlich daneben, und wenn er forciert, wird seine Stimme tatsächlich laut, aber auch sehr eng und hart.
Jegliches Timbre verflüchtigt sich.
Eine gute Castorf-Idee Aber dann geschieht ein kleines Wunder. Vielleicht hat Lance Ryan in der ersten Pause etwas Selbstsicherheit gewonnen. Nicht nur, dass seine Parodie des Waldvogels außerordentlich witzig gelungen ist. Er forciert nicht mehr so sehr, seine Stimme wird weicher, etwas farbiger, gestaltender. Und als er, von Hagen niedergeschlagen (bei Castorf darf er ja nicht erstochen werden), verröchelnd nach Brünnhilde sucht, da bekommt man eine Ahnung, warum er als Siegfried-Tenor gilt. Man hätte ihn am Schluss nicht so abstrafen müssen. Dass er alleine zwischen Dönerbude und Gemüseladen verreckt, ist eine der wenigen wirklich guten Castorf'schen Ideen vom würdelosen Sterben.
Das Erlösungsmotiv kurz vor den letzten Takten ist auch ein Signal ans Publikum.
Castorf ist glücklich, als er mit Buhrufen und Pfiffen überschüttet wird. Der Egomane vom Rosa-Luxemburg-Platz genießt es, dass sein Publikum mal wieder erfolglos versucht hat, ihn zu verstehen oder da etwas zu verstehen, wo er gar nichts geboten hat. Und es bleibt die Frustration, dass man aus der Euphorie, in die man durch Wagners Musik ein bisschen geraten ist, durch Castorfs kindisches Verhalten in Sekundenschnelle wieder auf den Boden geholt wird. Schade.
empfinde ich für die Festspielbesucher - Mittlerweile sind die Inszenierungen Castorfs bekannt dafür, Übelkeit bei den Besuchern hervorzurufen.
Wer aber nur nach Bayreuth kommt, "um gesehen zu werden" hat es auch nicht anders verdient.....