Wie Alkohol eine Familie zerstört

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Der Angeklagte Peter M. neben der Dolmetscherin und seinem Verteidiger Andreas Dräger Foto: Gertrud Glössner-Möschk
Der Angeklagte Peter M. neben der Dolmetscherin und seinem Verteidiger Andreas Dräger  Foto: Gertrud Glössner-Möschk

Ein 61-jähriger, in Burgebrach lebender Russlanddeutscher hat am 24. Februar 2016 seine Ehefrau mit einer Axt angegriffen.

Bier, Wein und Wodka sind die Geißeln der Familie M. aus Burgebrach. Der 20-jährige Sohn leidet seit Jahren unter der Alkoholsucht seines Vaters, der für ihn zum mahnenden Beispiel geworden ist: Er rührt kaum Alkohol an, um nicht zum Trinker zu werden, denn "ich habe noch ein Leben vor mir, für das ich meine Pläne habe".
Der junge Mann erzählte seine bedrückende Familiengeschichte am Dienstag erstmals öffentlich: im Zeugenstand vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts. Auf der Anklagebank saß sein 61 Jahre alter Vater Peter M. (Name von der Redaktion geändert), ein in Kasachstan gebürtiger Russlanddeutscher. Dessen letzter Alkoholexzess ist genau zu datieren: Er fand am 24. Februar dieses Jahres statt und seine Folgen waren so schlimm, dass er seit 25. Februar in Untersuchungshaft sitzt. Gestern und heute muss er sich vor Gericht wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlag verantworten.


Waffe aus der Hand geschlagen

Das Opfer war seine 53 Jahre alte Ehefrau, mit der er an jenem Tag mehrfach in heftigen Streit geraten war. Am Ende nahm er eine Axt und holte gegen die am Küchentisch sitzende Frau aus. Der geistesgegenwärtig handelnde Sohn verhinderte Schlimmeres, indem er dem Vater die Waffe aus der Hand schlug.

Mit dem exzessiven Trinken hatte Peter M. schon am Vortag begonnen, und er erklärte dem Gericht, warum: Der 23. Februar sei ein russischer Feiertag, der "Tag der Sowjetarmee". "Da feiern und trinken alle Männer", übersetzte die ihm zur Seite gestellte Dolmetscherin. In der darauf folgenden Nacht suchte er schon um 3 Uhr im Haus wieder nach Alkohol, fand aber nichts. Später am Vormittag besorgte er sich Wein und Wodka, trank sich zu. Gegen 16 Uhr, so die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, kam es zum ersten tätlichen Angriff gegen seine Frau, die ihn aufgefordert hatte, doch "endlich mit dem Saufen" aufzuhören. Er griff an ihren Hals. Ob er sie lebensgefährlich würgen oder lediglich zurückschubsen wollte, wie er in seiner Vernehmung angab, muss das Gericht beurteilen, das zu dieser Frage einen Gutachter bestellt hat.


Alkohol in den Ausguss gegossen

Einige Zeit später kam der Sohn von der Arbeit nach Hause und merkte gleich, dass Peter M. betrunken war und "dicke Luft" herrschte. Er goss allen Wein und Wodka, den sein Vater noch nicht ausgetrunken hatte, in den Ausguss und geriet dadurch schnell selbst in Streit mit dem Vater, in dessen Verlauf er ihm auf den Kopf schlug.
Dann fuhr der Sohn mit der Mutter weg, um eine Wohnung zu besichtigen. Sie hatte, unterstützt von ihren drei Kindern, seit geraumer Zeit die Trennung in Erwägung gezogen. Wieder zurück im Haus fiel dem Sohn sofort die Axt auf, die im Flur lehnte. Auf die Frage, warum die Axt in der Wohnung ist, soll der 61-Jährige sinngemäß geantwortet haben, dass er "sie umbringen" wolle. Der junge Mann gab vor Gericht an, sich dabei nichts gedacht zu haben. Sein Vater habe im betrunkenen Zustand häufig Sätze wie diesen von sich gegeben. "Solche Androhungen hat er ständig gemacht."

Der Sohn brachte die Axt an ihren Platz in der Garage zurück und beschloss, auf Fahrstunde und Fitnessstudio zu verzichten, um die Situation zu Hause im Auge zu behalten. Seine Vorahnung rettete der Mutter womöglich das Leben. Als der junge Mann wieder einmal aus seinem Zimmer schaute, war das genau der Augenblick, in dem sein Vater das Beil gegen die Mutter erhob. Der Sohn riss ihm das Werkzeug aus der Hand und brachte ihn zu Fall. Als er spontan ankündigte, die Polizei zu rufen, verließ der Vater das Haus und übernachtete bei einer Bekannten. Am nächsten Tag wurde er festgenommen und ins Klinikum gebracht, wo ein erster Test 2,9 Promille Blutalkoholgehalt anzeigte. Derzeit befindet sich der Angeklagte auf Grund eines Unterbringungsbeschlusses in der Klinik für Forensische Psychiatrie in Bayreuth und er findet, dass "jetzt alles in Ordnung" ist. "Meine Frau hat mir vergeben. Sie hat mich im Gefängnis besucht und besucht mich in der Klinik." Wie er sich denn sein künftiges Leben vorstellt, wollte Vorsitzender Richter Manfred Schmidt wissen. Der 61-Jährige glaubt an eine gemeinsame Zukunft: "Ja wohin sollen wir denn sonst auf unsere alten Tage?"


Das Geschehen verharmlost

Tatsächlich spricht einiges dafür, dass seine Frau den Angriff vergessen will - genauso, wie sie sich im Gerichtssaal weigerte, über eine vor Jahren aktenkundig gewordene Messer-Attacke ihres Mannes zu sprechen. Richter Schmidt hatte deshalb einige Mühe, ihre in den wichtigsten Details differierenden Aussagen bei der Polizei im Februar und am Dienstag im Zeugenstand in Übereinklang zu bringen. Immer wieder versuchte sie, das Geschehen zu verharmlosen, beispielsweise bei der Frage nach der Axt im Flur. Während sie unmittelbar nach der Tat bei der Polizei ausgesagt hatte, von ihrem Mann mit Blick auf die Axt bedroht worden zu sein - "Ich schlage Dich heute tot!" - übernahm sie im Zeugenstand die Version, die auch ihr Mann dem Gericht aufgetischt hat: Er behauptete, er habe mit der Axt in das Zimmer seines Sohnes einbrechen wollen, um dort nach Alkohol zu suchen.
Über seinen Tagesablauf hatte die Ehefrau bei der Polizei angegeben: "Außer Rauchen, Saufen und Fernsehgucken tut mein Mann den ganzen Tag nichts." Dem Gericht hingegen sagte sie, er sei ein fleißiger Mann, arbeite immer, "nur nicht, wenn er trinkt". Für Richter Schmidt stand fest: "Sie lügen hier zu Gunsten Ihres Mannes."
Einfacher hatten es die Prozessbeteiligten mit der Aussage des Sohnes, der beschrieb, wie bei seinem Vater die Abstände zwischen den tagelang anhaltenden Räuschen immer kürzer geworden seien. Nüchtern sei dieser ein ganz anderer Mensch. "Ich liebe meinen Vater, so ist es nicht. Aber ich kann ihn einfach nicht ausstehen, wenn er trinkt. Und vor allem will ich nicht so werden wie er."