Seniorenheime sind für viele der Schrecken. Diesen will Altenpflegerin Stefanie Mann, die in einem Pflegeheim im Landkreis Bamberg arbeitet, mit einem Buch jetzt nehmen. Sie berichtet ungeschminkt über die Arbeitsbelastung in der Pflege, den Tod und die Sexualität im Alter.
Sie heißt nicht Stefanie Mann, doch ihren richtigen Namen verrät sie nicht. Unter dem Pseudonym hat die 27-Jährige nun ein recht heiteres Buch über ihre Arbeit in Seniorenheimen im Landkreis veröffentlicht.
Sie wollen mit dem Buch Werbung für Ihren Beruf machen. Gleich am Anfang beschreiben Sie, wie Ihnen ein Geschenk gemacht wird, mit einer "Wurst" auf dem Teller. Nicht gerade die beste Werbung...Stefanie Mann: Sagen wir so. Jeder Mensch scheidet jeden Tag aus, das gehört dazu, aber das macht nicht den größten Teil der Arbeit aus. Diese Geschichten sind im Buch, weil sie witzig sind. Aber es macht definitiv nicht den ganzen Tagesablauf aus. Daran gewöhnt man sich bei dieser Arbeit am schnellsten, finde ich.
An was kann man sich schlechter gewöhnen?Für viele ist es der psychische Druck, oder wenn jemand stirbt.
Wie war das für Sie, als Sie zum ersten Mal erlebt haben, wie jemand gestorben ist...Bei meinem ersten Toten hatte ich zum Glück eine super Wohnbereichsleitung, die eine wunderschöne Sterbebegleitung gemacht hat. Sie hat ein Lied gesungen und gebetet. Das hat mich trotzdem ziemlich mitgenommen, und als ich heimgekommen bin, war ich fix und fertig. Mein Papa hat gesagt: Wenn du den Beruf machen willst, musst du damit umgehen können. Das gehört leider dazu und mittlerweile komme ich etwas besser damit klar, auch wenn es jedes Mal sehr traurig ist. An den Tod kann man sich nicht gewöhnen.
Sie beschreiben auch die Sexualität im Buch. Da gibt es Herren, die immer noch einen gewissen Trieb haben. Wie ist das für eine junge Frau, ist das komisch?Das erste Mal, dass ich einen Mann waschen musste, war zugegebenermaßen schon etwas komisch. Aber ich habe die Abläufe während meiner Ausbildung gelernt, und es gab viele Kollegen, die mir erklärt haben, worauf ich achten muss.
Da gibt es auch ein anderes Beispiel im Buch ...... die Geschichte mit dem Herrn, der fünf Mal onaniert am Tag. In dem Heim, in dem ich damals gelernt habe, musste ich auf eine andere Station. Ich hatte bereits gehört, dass der Bewohner dort so oft onaniert. Er sagte: Wasch' mich untenrum! Ich habe ihm daraufhin die Waschschüssel hingestellt und gesagt: Das können Sie selber machen, sonst ist Schluss mit Onanieren, wenn es sich entzündet. Ich bin Altenpflegerin und keine Bespaßungs-Irgendwas-Dame!
Da gibt es auch Pärchen, die gemeinsam im Bett liegen. Vom Altenheim ist man solche Geschichten nicht gewohnt. Ist das eine Ausnahme?Ich habe noch keinen in flagranti erwischt. Aber natürlich: Ein junges Pärchen ist etwas anders als ein älteres. Es sieht anders aus. Aber warum sollte man das nicht dürfen? Es ist schön, wenn sich auf der "Beschützenden", wo die Dementen sind, Pärchen bilden und Händchen halten. Und wenn er nicht so gut laufen kann - den Fall haben wir auch wirklich -, dann trägt sie ihm die Suppe hin und kämmt ihm die Haare. Ich finde das schön! Es gibt Ehepaare, die bekommen die Betten zusammengeschoben, das Gräbele wird ausgestopft, was die im Bett machen, weiß ich nicht, aber wenn sie es machen, dann dürfen sie es. Manchmal muss man aber auch eingreifen. In der Pflegefachschule hat eine Kollegin erzählt, dass ein relativ fitter Mann demente Damen zum Oralverkehr gebracht hat, das geht natürlich nicht.
Sie beschreiben, dass man erkennt, wenn es jemandem gefällt, beispielsweise als die Dame angegrabbelt wurde von einem Herrn ... Die Dame im Buch war schon sehr dement und er noch relativ fit. Aber es hat ihr gefallen. Sie hat immer gelacht und ist auf den Herrn zugegangen. Wir haben sie zwar nie aufs Zimmer oder unbeaufsichtigt gelassen. Aber zu sagen: Frauen und Männer muss man trennen, ist Schmarren!
Sie sagen, dass es oft reicht, jemanden in den Arm zu nehmen, da braucht es kein Beruhigungsmittel. Aber ist dafür genug Zeit? Sie sagen ja auch: Die Bedingungen in der Pflege sind schon schwierig ... Es ist ein sehr stressiger Beruf. Aber wenn ein Bewohner verloren im Gang steht, dann geh ich hin und umarme ihn mal. Das ist eine Sache von zehn Sekunden, die Zeit für ein nettes Wort, die kann man haben. Wenn ich jemandem die Füße wasche, dann kann ich doch auch eine nette Unterhaltung führen und etwas Freundschaftliches aufbauen. Dass derjenige weiß: Morgen kommt die Schwester wieder, da freue ich mich darauf.
Am Ende des Buches steht die Aufforderung an die Angehörigen, dass man doch auch öfter mal vorbeikommen soll. Haben Sie das Gefühl, dass sich manche zu wenig um ihre Verwandten kümmern...? Es ist nicht so, dass ich sage: Wer nicht kommt, ist böse. Es gab zum Beispiel einen Herrn, da habe ich mich gewundert, dass er nie viel Besuch bekommt. Als er im Sterben lag, haben wir die Angehörigen angerufen. Die Tochter kam, ich habe ihm das Gesicht gekühlt, ihn abgewaschen und habe so mit ihm geredet, wie ich ihn eben kenne: Bleib ruhig, du hast bald keine Schmerzen mehr. Dann hat die Tochter gesagt, sie findet gut, wie ich das mache, sie könnte ihrem Vater nicht die Hand halten. Sie hat erzählt, dass er die Familie tyrannisiert hatte, als sie klein war. Das ist dann etwas anderes. Aber was mich stört, ist, wenn man einmal im Jahr zu Besuch kommt und dann groß was auszusetzen hat.
Kommt das häufig vor?Manchmal. Ich will niemanden verurteilen, ich kenne die Vorgeschichten nicht, aber es gibt viele, die haben ihre Verwandtschaft vergessen. Und das finde ich traurig. Die meisten haben am Sonntag frei, warum kann ich nicht einfach auf einen Kaffee vorbeikommen?
Sind die Bewohner deshalb depressiv? Depressionen sind mehr verbreitet bei Leuten, die fit im Kopf sind, die vielleicht einen Schlaganfall hatten. Viele arrangieren sich aber gut damit.
Die Leute sind also eher dankbar? Viele sagen schon: Ich will jetzt sterben. Nicht, dass sie das bedauern. Sie sagen: Ich habe keine Lust mehr. Zu denen sage ich immer: Wer sich's wünscht, der stirbt vor 90 nicht! Das ist echt so. Aber so richtig traurig sind die Menschen nicht. Ich muss sagen, bei uns im Heim ist eine unglaublich gute Stimmung.
Wie nehmen Sie das Thema Sterben auf? Verändert das etwas mit einem?Ja, definitiv. Früher hatte ich Angst vor dem Sterben. Mittlerweile sehe ich, wie es zu 90 Prozent zu Ende geht: Es muss keine schlimme Krankheit sein. Viele schlafen einfach ein, ohne Schmerzen. Und viele sagen: Ich habe so ein gutes Leben gehabt, jetzt kann der Tod kommen. Die gehen so gelassen damit um. Mittlerweile habe ich gemerkt, dass es wichtiger ist, mit der Familie gut auszukommen, einen Mann und Kinder zu haben, und nicht 10.000 Freunde bei Facebook, die ich nie sehe, sondern ein paar Freunde, von denen ich weiß, die sind auch da, wenn mit mir etwas wäre. Es kann so plötzlich passieren: Ich fahre heim, habe einen Unfall und sitze im Rollstuhl. Was bringen mir 10.000 Freunde, die mich nicht besuchen? Dann lieber eine ausgewählte Hand voll und meine Familie, das ist wichtig.
Oder dann eine gute Pflegerin......zusätzlich! Auf jeden Fall!
Über das BuchDas Buch "Die Frau Müller hat mir schon wieder die Zähne geklaut! Aus dem bewegten Leben einer Altenpflegerin" ist im Münchner Heyne-Verlag erschienen. Die Schwester von Stefanie Mann, Carina Heer, hat die Geschichten zu Papier gebracht.