Straßen, Brücken, öffentliche Gebäude: Staat und Kommunen bauen gerne und viel, aber sie tun zu wenig für den Unterhalt. Experten sehen einen gewaltigen Investitionsstau. Bis zu 70 Milliarden Euro im Jahr fehlen. Auch in Franken rostet und bröckelt es an vielen Ecken.
Der deutsche Autofahrer verbringt im Jahr durchschnittlich 35 Stunden im Stau. Die stehende Blechlawine auf Deutschlands Straßen ist mehr als 800.000 Kilometer lang, reicht also spielend einmal zum Mond und wieder zurück.
Deutschland leidet aber auch an einem Sanierungsstau, der unter anderem dazu führt, dass auf den Straßen immer öfter nichts mehr geht: Sanierungsarbeiten an Fahrbahnen und Brücken machen Autobahnen zu Nadelöhren. Dabei wird oft nur das Allernotwendigste gemacht.
Keine böse Absicht Und manchmal nicht einmal das. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Ifo-Institut in Dresden stellen der öffentlichen Hand in aktuellen Studien ein schlechtes Zeugnis aus: Der Unterhalt der Infrastruktur werde von Staat und Kommunen sträflich vernachlässigt: Statt die Substanz zu erhalten, nähmen öffentliche Eigentümer den Verfall in Kauf.
Böse Absicht ist das nicht. Ein oberfränkischer Kämmerer verweist auf die Verführungen durch das staatliche Fördersystem: Für den Neubau gibt es oft üppige Zuschüsse, beim Gebäudeunterhalt stehen die Gemeinden alleine. Als Beispiel dafür, wie die Gemeinden mit den Fördergeldern geradezu in den Ruin gelockt werden, nennt der Finanzexperte die Kinderkrippen: Teuer und mit Zuschüssen gebaut, droht vielen dieser Gebäude wegen des demografischen Wandels der Leerstand.
"Die öffentliche Hand missachtet den wichtigsten ökonomischen Grundsatz beim Bauen", sagt ein Architekt aus Unterfranken, der just dank dieser Missachtung gut zu tun hat: Ein Haus muss dreimal bezahlt werden: x Euro für den Bau, x Euro für den Unterhalt und der gleiche Betrag x für den Ersatz-Neubau. "Dabei haben viele kleinere Gemeinden noch nicht einmal genug Geld für den Bau, verschulden sich, weil sie unbedingt in ein Förderprogramm rutschen wollen", sagt der Bauexperte, der sich auf die Generalsanierung im öffentlichen Bau spezialisiert hat. Die Arbeit geht ihm so schnell nicht aus.
Auch die Häuser immer älter Das Ifo-Institut beschreibt den Zustand der öffentlichen Infrastruktur in einer Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hatte, mit Zahlen: So sinkt die Höhe der öffentlichen Investitionen in Deutschland seit Jahrzehnten: 1970 waren es laut Ifo noch 4,7 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP), 2012 nur noch 1,5 Prozent. Gleichzeitig wird die Infrastruktur immer älter: 1991 waren die öffentlichen Gebäude, die zu 70 Prozent den Gemeinden gehören, im Schnitt 22 Jahre alt, heute sind es schon 28.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Förderbank des Bundes, sieht das Problem weniger in einstürzenden Altbauten als in ausufernden Betriebskosten: Um die öffentlichen Gebäude auf den neusten Stand beim Energieverbrauch zu bringen, müssten mindestens 100 Milliarden Euro aufgewendet werden, schätzen die Banker. Sicher nicht ohne Eigennutz, denn die KfW hütet viele Förderprogramme für die Gebäudesanierung.
Noch mehr ins Geld geht das schleichend unsichtbare Bröckeln der Infrastruktur. So ist laut Verkehrsministerium etwa in Baden-Württemberg praktisch keine der 3008 Eisenbahnbrücken ohne Mängel; mehrere hundert gelten als abbruchreif. In den anderen Bundesländern sieht es nicht besser aus. Eine Bestandsaufnahme bei den Straßenbrücken fehlt noch. Sie sind zum Teil so alt, dass der Beton sich auflöst und die Bewehrung aus Stahl rostet. In Franken werden viele 40 bis 50 Jahre alte Straßenbrücken in die Rente geschickt. So stehen bei Bischberg und in Schweinfurt Mainbrücken vor dem Abriss.
Millionenprojekte Alleine die Autobahndirektion Nordbayern hat mehr als 2500 Brücken unter ihren Fittichen, mehr als die Hälfte ist älter als 25 Jahre. Mit großem Aufwand während einer monatelangen Vollsperrung wird derzeit die Mainbrücke der A70 bei Eltmann im Landkreis Haßberge saniert, die ältere von zwei Zwillingsschwestern, die 1987 für 20 Millionen Mark/zehn Millionen Euro gebaut wurde. Die Sanierungskosten betragen vier Millionen Euro.
Die schleichende Erosion trifft auch eine Infrastruktur, die derzeit in aller Munde ist: Im Zuge der Energiewende soll das Stromnetz ausgebaut werden. 3800 Kilometer neue Leitungen sind geplant. Was kaum jemand weiß: Das Stromnetz in Deutschland ist 1,8 Millionen Kilometer lang, die Leitungen könnte man 45 mal um den Äquator wickeln! Auch dieses Netz, besonders das oberirdische, ist großteils hochbetagt. Die geschätzt 2,5 Millionen Strommasten aus Holz, Beton oder Stahl müssen nach und nach erneuert werden.
Warum, zeigte sich beim "Schneechaos" im Dezember 2005 im Münsterland. Unter der Schneelast knickten 82 Strommasten, tausende Haushalte waren tagelang ohne Strom. Der Stromversorger RWE räumte später ein, dass ein großer Teil seiner Strommasten älter als 60 Jahre sei. Die Gittermasten aus dem veralteten Thomasstahl gelten als anfällig, weil das Material spröder und weniger zäh ist als moderne Baustoffe.
Teurer Sparkurs Noch hat niemand all die Baustellen zusammengezählt, die seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten im Investitionsstau stehen. Nach Expertenansicht sind es aber bis zu 70 Milliarden Euro, die die öffentliche Hand jedes Jahr mehr aufwenden müsste, nur um die Infrastruktur zu erhalten. Wo das Geld herkommen soll, ist offen. Fest steht aber: Jeder Euro, der heute nicht ausgeben wird, kommt bei ständig steigenden Baukosten die nächste Generation teuer zu stehen.
Hintergrund: Teure Main-Schleusen Großprojekte Um das natürliche Gefälle der Landschaft zu überwinden, wurden sowohl der Main als auch der Main-Donau-Kanal beim Ausbau aufgestaut: Im Main sorgen 34 Schleusenanlagen für genug Wasser unter dem Kiel der Schiffe. Im Kanal sind es 16 dieser Bauwerke.
Lebensdauer Die beweglichen Teile - die Schleusentore - werden regelmäßig gewartet und bei Bedarf ausgetauscht; dann hat so ein Koloss durchaus 30 Jahre auf dem Buckel. Noch länger müssen die aus Stahlbeton errichteten Schleusenkammern halten, die bis zu 300 Meter lang und zwölf Meter breit sind. Aber auch Stahlbeton ist kein Baustoff für die Ewigkeit.
Ersatz Einige der Main-Staustufen sorgen in der zweiten Generation für freie Fahrt auf dem Fluss: Kostheim (Baujahr 1886) und Offenbach (1901) wurden 1934 und 1952 durch Neubauten ersetzt, ebenso Kleinostheim, Krotzenburg und Mühlheim (alle 1920 gebaut).
Methusalem Die älteste Main-Staustufe ist Viereth (1925). Auf dem Main-Donau-Kanal müssen wegen Bauschäden zwei viel jüngere Schleusen erneuert werden: Erlangen und Kriegenbrunn.
Baustelle Eine Schleuse kann man nicht einfach abreißen und durch eine neue ersetzen. Entweder muss die Wasserstraße während der Bauzeit für Jahre gesperrt werden, oder die neue Schleuse muss neben, vor oder hinter der alten errichtet werden, damit der Betrieb aufrecht erhalten werden kann.
Kosten Unter anderem das macht den Bau teuer: zwischen 160 und 200 Millionen Euro pro Schleuse. Das wären im günstigsten Fall für alle 50 Schleusen auf der Wasserstraße acht Milliarden Euro. Der Bau des Main-Donau-Kanals kostete "nur" 2,3 Milliarden Euro.