Anekdote 3: Calmund wird zum Klamottenlieferanten
"Mein größter Makel ist, dass ich oft auf den letzten Drücker auf dem Platz angekommen bin. So auch bei einem DFB-Pokalspiel in Leverkusen in den 80er Jahren. Bei Spielen auf diesem Niveau ist es üblich, dass die Schiedsrichter einen Tag vorher anreisen. Das habe ich getan, allerdings auch um am Spieltag noch einen Geschäftstermin wahrzunehmen. Der hat dann etwas länger gedauert. Zu allem Unglück habe ich mich auf dem Weg zum Spiel noch im Feierabendverkehr total verfranzt.
Erst 15 Minuten vor Anpfiff bin ich angekommen - und hörte eine Stadiondurchsage, dass unter den Zuschauern nach einem Schiedsrichterassistenten gesucht wird. Und dann stand schon Reiner Calmund vor mir: ,Wo kommst denn du her? Wird ja langsam Zeit!' Ich bin schnurstracks in die Schiedsrichterkabine, wo meine Kollegen - Hauptschiedsrichter war Adolf Ermer aus Weiden - kein Wort mit mir geredet haben. Die waren richtig sauer. Erst recht, als ich festgestellt hatte, dass ich mein Schiedsrichterdress im Hotel vergessen hatte.
Doch dann stand mir Calmund zur Seite. Er organisierte einen Polizisten, der mit dem Motorrad in mein Hotel fuhr und das Trikot holte. Der Fahrer war richtig schnell, doch das Spiel wurde wegen mir mit 15 Minuten Verspätung angepfiffen.
Nach dem Spiel war meine größte Sorge, dass der Reporter beim Spielbericht im Fernsehen sagt, dass ein Schiedsrichter an der Verspätung Schuld war. Das wäre das Ende meiner DFB-Karriere gewesen. Doch das blieb mir erspart, ich war noch etwa zehn Jahre auf diesem Topniveau im Einsatz. Calmund bin ich immer mal wieder begegnet, wir haben über viele Dinge geredet, aber nie mehr über diesen Trikot-Vorfall."
Anekdote 4: Sieben Spieler auf einen Streich
"Spiel in der damaligen A-Klasse, heutige Kreisliga. TSV Neuhaus gegen Türkischer SV Erlangen. Bis kurz vor Ende stand es 0:0, es gab nicht mal eine Gelbe Karte. Doch mit der Ruhe war es vorbei, als ein Neuhauser gegen den am Boden liegenden SV-Torwart mit gestreckten Bein nachsetzte. Ich pfiff sofort Foul, aber dann folgte ein Schrei, den ich nicht verstanden habe. Etwa 50 Zuschauer stürmten plötzlich den Platz. Es entwickelte sich eine Schlägerei, es war ein riesen Zirkus. Ich stand etwas abseits und habe notiert: Nummer 4 Faustschlag, Nummer 9 Arschtritt,...
Nach etwa zehn Minuten hatten sich die Emotionen gelegt. Aber was tun? Abbruch? Ich hatte in meiner langen Karriere noch nie ein Spiel abgebrochen. Ich habe ruhig mit den Teams gesprochen und sie an der Mittellinie aufstellen lassen. Abwechselnd habe ich für beide Mannschaften Rote Karten verteilt - insgesamt sieben Stück. Es war wohl die richtige Mischung aus Besonnenheit und konsequentem Handeln, denn es gab keine Beschwerden. Ich konnte das Spiel wieder anpfeifen und mit den dezimierten Teams zu Ende bringen.
Dagegen war ein Trainer bei einem Spiel in Forchheim nicht so besonnen. Er war mit meinen Entscheidungen nicht einverstanden und revanchierte sich nach dem Spiel: Mit eiskaltem Wasser hat er mich beim Duschen abgespritzt. Aber das ist eine andere Geschichte. "
Anekdote 5: Ärger mit dem Fußballverband
"Ich hatte schon immer einen großen Gerechtigkeitssinn und nehme nie ein Blatt vor den Mund. Das gilt auch für meine mittlerweile 27 Jahre als Schiedsrichter-Funktionär. So werfe ich in der von mir herausgebrachten Bamberger Schiedsrichter-Zeitung "Dompfiff" - sie erscheint seit 1986 jährlich - einen kritischen Blick auf den Fußball im Allgemeinen - und das hat nicht immer allen gepasst.
Als ich mich auf einen Artikel im BLSV-Verbandsmagazin "Bayernsport" berief und süffisant die Frage stellte, was mit den hohen Spendengeldern von Lotto Bayern passiert und warum sie nicht bei den Vereinen ankommen, unterstellte mir der Bayerische Fußballverband unsportliches Verhalten und verbandsschädigende Falschaussagen. Es folgte eine Anzeige, die ich mit einer Gegenanzeige gegen mehrere Verbandsoffizielle beantwortete. Ich musste viel Kritik vom BFV einstecken - auch öffentlich.
Nach mehreren Monaten war klar, dass ich entweder aus dem Verband geworfen werde oder einen Kompromiss eingehen muss. So akzeptierte ich eine zehnmonatige Funktionssperre. So eine lange Sperre gab es - meiner Kenntnis nach - noch nie, da hat der BFV ein Zeichen gesetzt.
Im Nachhinein bereue ich den Artikel im "Dompfiff" aber nicht. Ich halte es heute noch für richtig, dass ich der Verbandsspitze in diesem Punkt die Stirn geboten habe. Es ist wichtig, seine Meinung zu vertreten, wenn man von etwas überzeugt ist. Und geschadet hat mir die Sperre rückblickend nicht."