Ein Pärchen aus Karlsruhe hält das Asylheim Unterleiterbach für ein Gasthaus. "Wir wussten nicht, was das für Leute waren. Aber sie hatten Hunger", sagt Asylbewerber Kawa Suliman.
Gabriele Stärz muss sich setzen. "Hach", die Rentnerin seufzt ins Telefon, "das ist eine längere Geschichte, so eine einmalige Geschichte - ich könnte gleich wieder heulen!" Die Karlsruherin erzählt von ihrer Liebe zu Franken und davon, wie gern sie immer mit ihrem Lebensgefährten Hans Eppinger zum Kanufahren hierher kommt.
Mit Kopftuch im Kanu
Das letzte Mal war es sehr anstrengend. Der 72-Jährige paddelte kräftig, Gabriele Stärz hatte ein Tuch um den Kopf gebunden, um ihr Haar zu schützen und die beiden waren eigentlich schon ein wenig zu lange auf dem Main unterwegs. "Mir hing der Magen in den Kniekehlen, wir mussten unbedingt ein Gasthaus finden", sagt die 68-Jährige. Im Zapfendorfer Ortsteil Unterleiterbach legten sie an. "Wir sind dann eine Weile gelaufen." Als sie das Schild "Brauerei - Gasthof Hennemann" sahen, wunderten sie sich kurz über den zugemauerten Eingang. "Aber da schaute ein Mann aus dem Fenster und zeigte mit einer Handbewegung, dass es hinten rein geht. Also sind wir über den Hof ins Haus gegangen."
Keiner kennt das fremde, hungrige Paar
In diesem Haus lebt Kawa Suliman seit gut einem Jahr. Der 30-Jährige stammt aus Qamishli, einer Stadt im Norden Syriens, wo die Kurden gegen den IS kämpfen. 2014 ist der junge Anwalt nach Deutschland geflohen. Er war einer der ersten, die in Unterleiterbach einzogen, als der ehemalige Gasthof zum Heim für Asylsuchende wurde.
Als der fremde alte Mann und die Frau mit Kopftuch im Heim auftauchten, holten die anderen Asylbewerber Kawa Suliman, denn er kann am besten Deutsch - und die beiden Fremden sprachen wohl Deutsch (den leicht schwäbischen Einschlag konnten die Syrer nicht zuordnen). "Wir wussten nicht, was das für Leute waren", sagt Kawa Suliman. "Keiner kannte sie, aber ich verstand sie gut. Sie hatten Hunger." Außerdem wirkten sie sehr müde, erschöpft. Kawa Suliman hieß sie willkommen.
Fränkisches Wirtshaus ohne Braten
"Wir waren völlig fertig", erinnert sich Stärz an diesen Nachmittag. Ihr war aufgefallen, dass Tische und Stühle im Gastraum nicht zusammenpassten. "Ich dachte: Die fangen neu an. Da muss man Verständnis haben, wenn's nicht so schniecke ist." Die Rentnerin lacht. "Der junge Mann, der nach unseren Wünschen fragte, war so nett - so nette junge Gastronomen muss man doch unterstützen!"
Als ihr Lebensgefährte gegen die kalte Küche protestieren wollte, verpasste sie ihm unterm Tisch einen kleinen Tritt. Schließlich war es schon früher Nachmittag, also bestellten sie, was der junge Mann anbot: Eier, Toast, selbstgemachte Marmelade, selbstgemachtes syrisches Fladenbrot, Tomaten, Joghurtsoßen.
Bassam Elshia, Mohammad Ali und Ahmed Abdallal beobachteten von einem Nebentisch im Aufenthaltsraum des Asylbewerberheims aus, wie ihr Freund Kawa Suliman mit dem seltsamen alten Paar sprach. Suliman holte seine Freunde in die Küche und erklärte ihnen, dass die Gäste etwas zu Essen brauchen. Mohammed Ali holte die Apfelmarmelade, die er zwei Tage zuvor gekocht hatte, die anderen hatten Eier, Tomaten, Käse und Joghurt. Kawa Suliman richtete eine Platte an und servierte alles mit Fladenbrot.
Ein tränenreicher Irrtum
"Toll hat das geschmeckt", sagt Gabriele Stärz. Sie hatte einen grünen Tee bestellt, ihr Hans trank Milch. Den Karlsruhern gefiel das sympathische syrische Restaurant in Franken. "Uns ist erst aufgegangen, dass wir im Asylbewerberheim gelandet sind, als wir die Rechnung verlangt haben." Als Hans Eppinger wissen wollte, warum er nicht bezahlen soll, klärte sich der Irrtum auf. "Ich habe sofort angefangen zu heulen", sagt Gabriele Stärz.
Die Karlsruherin ist immer noch gerührt. "Das war ein wunderschönes Erlebnis. Ich könnte gleich wieder heulen", sagt sie am Telefon. Es ist ein paar Monate her, dass sie in Unterleiterbach war. Jetzt möchte sie wissen, wie es Kawa Suliman und seinen Freunden geht. Im Leben der Asylbewerber hat sich seitdem nichts verändert. Sie leben im ehemaligen Gasthof, hoffen auf einen weiteren Deutschkurs, auf die Anerkennung als Asylberechtigte, auf Arbeit und ein neues Leben in Sicherheit. Gabriele Stärz betont, wie wichtig es sei, dass Flüchtlingen in Deutschland geholfen wird. Die 68-Jährige arbeitet in Karlsruhe einmal pro Woche ehrenamtlich im Asylbewerberheim.
Ein Kommentar von Natalie Schalk
Liebe Leser,
als Autorin dieses Artikels freue ich mich über die intensive Diskussion. Es hat mich einige Mühe gekostet, das Ehepaar aus Karlsruhe zu finden, das vor Monaten in Franken zu Besuch war. Aber ich habe sie gefunden, und Gabriele Stärz hat eine rührende Geschichte erzählt, die sich mit den Angaben der Asylbewerber deckt. Dieser Teil meiner Arbeit heißt Recherche und geht dem Verfassen eines journalistischen Textes voran: Der Wahrheitsgehalt von Informationen wird dabei geprüft.
Jedem Leser bleibt überlassen, wie er die wahre Geschichte aus dem Asylbewerberheim Unterleiterbach findet. Ich schmunzle dabei ein wenig über diejenigen Kommentatoren, die hier Manipulation, Propaganda und Volksverblödung unterstellen und gar von einer gleichgeschalteten Presse sprechen - und dabei nicht mal merken, dass sie das nicht schreiben könnten, wenn ihre Unterstellungen wahr wären. Eine gleichgeschaltete, manipulative Presse würde solche Kommentare nie zulassen. Wir aber schätzen und schützen die Meinungsfreiheit und -vielfalt.
Ich gebe den Kommentatoren, die meinen, dass über das Thema Flüchtlinge nicht ordentlich berichtet wird, die Gelegenheit, ihre Meinung in einem Artikel unserer Zeitung zu sagen. Gerne führe ich mit Ihnen ein Interview. Wie Gabriele Stärz, Kawa Suliman und seine Freunde müssten Sie dafür allerdings öffentlich mit Ihrem echten Namen zu Ihrer Meinung stehen. Anti-Propaganda, Angie24, Frankenfregger, Laramy, NeuFranke, freak69, binbedient - traut sich einer? Wenden Sie sich über "Autor kontaktieren" an mich! Ich melde mich bei Ihnen.
Reaktionen auf den Artikel
Es gab zahlreiche Reaktionen auf den Artikel. Zwei davon wollen wir hier noch kurz erwähnen:
1. Eine Familie aus Gundelsheim hat nach der Lektüre des Artikels spontan beschlossen, Kawa Suliman und seine Freunde einzuladen, um den ersten Weihnachtsfeiertag mit den Asylbewerbern zu feiern. Es wird ein festliches Essen mit Rinderbraten und Gemüse geben, nachmittags dann Kaffee und Gemütlichkeit - deutsche Weihnachten eben.
2. Eine Münchner Dokumentarfilmerin hat sich bei der Redaktion gemeldet. Sie möchte einen Kurzfilm über die Begegnung der Karlsruher Ausflügler mit den Asylbewerbern im fränkischen Dorfgasthof drehen.
Sehr geehrte Frau Schalk,
es hat mich sehr gefreut, endlich einmal eine halbwegs offizielle Stellungnahme einer Reporterin hinsichtlich des Vorwurfes einer gleichgeschalteten Presse zu lesen.
"Ich schmunzle dabei ein wenig über diejenigen Kommentatoren, die hier Manipulation, Propaganda und Volksverblödung unterstellen und gar von einer gleichgeschalteten Presse sprechen - und dabei nicht mal merken, dass sie das nicht schreiben könnten, wenn ihre Unterstellungen wahr wären. Eine gleichgeschaltete, manipulative Presse würde solche Kommentare nie zulassen. Wir aber schätzen und schützen die Meinungsfreiheit und -vielfalt.", so Ihr Statement in obigen Bericht.
Diesbezüglich eine Frage, die sicherlich nicht Sie direkt, wohl aber Ihre Zeitung betrifft.
Es scheint, als wären sämtliche Kommentare die sexuellen Übergriffe in Köln betreffend verschwunden. Zumindest werden diese mir nicht mehr angezeigt.
Vorausgesetzt, es liegt nicht an meiner edv-technischischen Ausrüstung, so kann ich Ihre obige Aussage "Eine gleichgeschaltete, manipulative Presse würde solche Kommentare nie zulassen." nur wie folgt bewerteten:
Unsere Presselandschaft ist in der Tat gleichgeschaltet und manipulativ, denn solche Kommentare WERDEN gelöscht.
da ist Ihnen wohl etwas "durchgerutscht".
Wenn Sie die website infranken.de aufrufen, finden Sie unterhalb der Zeile Region-Überregional-Sport usw.
die Rubrik: Aktuelle Themen. Gleich dahinter in derselben Zeile finden Sie unter: "Übergriffe an Silvester" die Ihnen fehlenden Artikel. Und die Kommentare dazu sind auch noch immer zu lesen.
Alles klar? Dann ab mit der Entschuldigung an Frau Schalk.
"Augen auf" gilt nicht nur im Verkehr!
Der Kommentar wurde gesperrt.
Liebe Leser,
erst einmal muss ich mich bei Heinrich bedanken: Wie nett, dass Sie uns verteidigen!
Dann muss ich mich aber tatsächlich entschuldigen:
1) Weil ich erst jetzt antworte. Sehen Sie es mir bitte nach, ich schaffe es (vor allem am Wochenende) nur unregelmäßig, Kommentare zu lesen und habe die Frage nach den verschwundenen Silvester-Kommentaren erst heute mitbekommen. Und ich musste selbst erst mal rausfinden, was los ist – es geht ja nicht um einen Artikel, den ich geschrieben habe.
2) Weil die Kommentare zeitweise wirklich verschwunden waren. Ursache ist ein technisches Problem: Seit dieser Woche sind auf unserem Portal nur noch regionale Artikel kommentierbar (dazu gibt’s morgen einen Artikel von einem Kollegen auf inFranken.de). Während der technischen Umstellung kam es vor, dass vorhandene Kommentare nicht mehr angezeigt wurden – dies erklärt, warum sie bei Altenburg verschwunden waren, Heinrich sie aber gefunden hat. Es war nicht unsere Absicht, die Kommentare zu löschen! Danke, dass Sie uns auf den Fehler hingewiesen haben. Dadurch wurde das technische Problem erkannt und gelöst, und die Kommentare werden nun wieder angezeigt. Bitte entschuldigen Sie dieses Versehen!
Schönen Gruß,
Natalie Schalk
Hallo Frau Schalk!
Ich freue mich auf Ihre Artikel im neuen Jahr und werde gegebenenfalls wieder meinen "Senf" dazu abgeben....
Alles Gute für Sie im Jahr 2016 wünscht
binbedient