OBA will Behinderte aus ihrer Parallelwelt holen

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Michael Hemm initiierte die Gründung der OBA und leitet die Einrichtung noch heute. Foto: Christoph Lilge
Michael Hemm initiierte die Gründung der OBA und leitet die Einrichtung noch heute. Foto: Christoph Lilge

Die Offene Behindertenarbeit (OBA) feiert 30. Geburtstag. Derzeit nutzen etwa 380 Menschen ihre Angebote. OBA-Leiter Michael Hemm blickt zurück und voraus.

Seit 30 Jahren gibt es die Offene Behindertenarbeit (OBA) der Lebenshilfe Bamberg. Diesen runden Geburtstag feiern am Wochenende (siehe Infobox) etliche Menschen, die sich mit der Einrichtung verbunden fühlen. Wie aber fing alles an? Und welche zentralen Entwicklungen gab es seither? Wir sprachen mit OBA-Leiter Michael Hemm.

Herr Hemm, welche Umstände führten vor nunmehr 30 Jahren zur Gründung der OBA?
Michael Hemm: Schon in den 80er Jahren gab es ein gut ausgebautes Versorgungssystem mit Schulen, Werkstätten und Wohnheimen für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Der für ein erfülltes Leben so wichtige Freizeitbereich aber wurde weitgehend vernachlässigt. Als Diplompädagogen wollten meine Frau Renate Rühle Hemm und ich diese Situation ändern. Nach Gesprächen mit dem Vorstand der Lebenshilfe Bamberg erhielten wir grünes Licht. Primäres Ziel waren dabei nicht nur Freizeitangebote für Menschen mit Behinderung, sondern auch Begegnungsmöglichkeiten für Menschen mit und ohne Behinderung - ganz nach unseren Leitmotiven Offenheit, Begegnung und Akzeptanz.

Wie viele Menschen betreute die Einrichtung anfangs, wie viele Mitarbeiter hatte sie?
Wir waren zunächst nur zu zweit, die OBA aber dennoch von Anfang an ein voller Erfolg. Unsere ersten Angebote, ein "Offener Freizeittreff" in der Katholischen Hochschulgemeinde, eine Koch- und eine Sportgruppe zählten von Beginn an rund 45 Teilnehmer. Dabei galt es alle Strukturen neu aufzubauen, Fahrdienste zu organisieren und Ehrenamtliche zu gewinnen. Große Unterstützung gab es von Seiten der Eltern, die froh waren, dass ihre erwachsenen Kinder mit Behinderung ihre Freizeit endlich sinnvoll und selbstständig gestalten konnten.

Wie viele Menschen arbeiten heute mit, wie viele profitieren von den Angeboten der OBA?
Nach 30 Jahren hat sich der Aufgabenkreis immens erweitert. Mit nur vier Vollzeitstellen, die sich sechs Hauptamtliche teilen, bewältigen wir ein riesiges Spektrum. Ein breitgefächertes Freizeitangebot für alle Altersgruppen vom Kind bis zum Senior mit Behinderung entstand, es gibt rund 25 organisierte Gruppenangebote. Etwa 380 Menschen nutzen diese Möglichkeiten regelmäßig. Erfreulich ist auch, dass sich nach wie vor ein großer Pool an "Ehrenamtlichen" bei der OBA engagiert. Mit dem "Familienentlastenden Dienst", der rund 280 Familien mit Angehörigen mit Behinderung unterstützt und der "Allgemeinen Beratungsstelle", die alle Fragen rund um das Thema Behinderung beantwortet, sind zwei weitere große Aufgabenbereiche hinzugekommen.

Was waren Meilensteine der letzten 30 Jahre?
Meilensteine sind die "Integrativen Kulturfestivals", bei denen es uns gelingt, mit Kunst und Kultur eine Brücke der Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung zu schlagen. Meilensteine waren auch die Projekte "Inklusive VHS" und "Inklusive Kulturwerkstatt". Sie zeigen, wie eine Teilhabe von Menschen mit Behinderung an allgemeiner Weiterbildung und Kultur gelingen kann. Deutschlandweit wurden beide Projekte als Vorzeigemodelle zur Inklusion beachtet. Der nächste Meilenstein wird das "Haus der kulturellen Vielfalt" zur inklusiven kulturellen Bildung und Kulturarbeit sein, das die Lebenshilfe in der Ohmstraße errichten wird.

Ja, vieles kam in den vergangenen 30 Jahren voran. Glauben Sie, dass sich die gesellschaftliche Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung parallel dazu dementsprechend veränderte?
Menschen mit Behinderung leben in Deutschland noch immer viel zu häufig in einer Parallelwelt. Gut gefördert, aber unter sich, weit weg vom "normalen" Leben. Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) war ein wichtiger Paukenschlag, der ein Umdenken in Gang gesetzt hat hin zu Teilhabe statt Ausgrenzung. Unsere Aufgabe wird es in Zukunft verstärkt sein, Menschen mit Behinderung nun auch den Weg in die bestehenden Freizeit- und Weiterbildungsangebote von Stadt und Landkreis Bamberg zu ebnen. Es fehlt ja noch immer an geeigneten Strukturen und alltäglichen gemeinsamen Berührungspunkten. Hier sind Politiker gefordert, nicht nur Lippenbekenntnisse abzugeben, sondern den Auftrag der Inklusion ernst zu nehmen und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu bietet die OBA der Politik auch einen Aktionsplan an, der helfen soll, die UN-BRK auf kommunaler Ebene in den Bereichen Freizeit, Weiterbildung und Kultur umzusetzen.

Was erhoffen Sie sich noch für die Zukunft?
Inklusion ist ein Menschenrecht und alle sind gefordert, sich für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft einzusetzen. Neben Bund und Ländern stehen die Kommunen in der Verantwortung, entsprechende Rahmenbedingungen und Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die die Umsetzung inklusiver Strukturen und Prozesse fördern. Mit einem Solidaritätsbeitrag von 1 Euro pro Bürger pro Jahr, zu finanzieren aus Steuergeldern in Stadt und Landkreis - könnte man unseren Aktionsplan umsetzen. Wir hoffen sehr, dass die Stadt und der Landkreis (im Landkreis haben bereits 20 Gemeinden zugesagt) uns diese Mittel zur Verfügung stellen.
Das Interview führte Petra Mayer


Das Programm zum 30. Geburtstag

Samstag, 22. Juli: ab 17 Uhr in der Moosstraße 114: Kulturfestival "Bands und Bradwörscht" mit den Gruppen 49 Grad (Punk und Alternative), IL (Post Core), Rakete Bangkok (Punkrock-Chansons) sowie (aus der Inklusiven Kulturwerkstatt) Sleeping Ann (Pop/Rock), Hörsturz (Percussion) und Wackelkontakt (Tanzcompagnie)

Sonntag, 23. Juli: 14 bis 20 Uhr; Sommerfest der Begegnung mit der Blaskapelle der Lebenshilfe Augsfeld, der
Partyband Die Rossinis und (aus der Inklusiven Kulturwerkstatt) dem Chor Die Singvögel, der Tanzgruppe Wackelkontakt und der Samba Gruppe Ramba Zamba. Für Kinder hält das Spielmobil in der Moosstraße.