Mitentscheidung auf Augenhöhe

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Drei Generationen bewerben sich für den Kirchenvorstand in drei Bamberger Gemeinden: Horst Ostermeier, Benjamin Seiser und Tim-Niklas Kubach (von links). Foto: Marion Krüger-Hundrup
Drei Generationen bewerben sich für den Kirchenvorstand in drei Bamberger Gemeinden: Horst Ostermeier, Benjamin Seiser und Tim-Niklas Kubach (von links).  Foto: Marion Krüger-Hundrup
Dekan Hans-Martin Lechner
Dekan Hans-Martin Lechner
 

Am Sonntag werden in ganz Bayern neue Kirchenvorstände gewählt. Allein im evangelischen Dekanat Bamberg sind Zehntausende zur Wahlurne aufgerufen.

Der Kirchenvorstand ist eine evangelische Spezialität: In ihm beraten und entscheiden gewählte Gemeindemitglieder gemeinsam mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin auf Augenhöhe. Es geht um die Leitung der Kirchengemeinde und um die geistliche sowie finanzielle Gesamtverantwortung (siehe auch das Interview mit Dekan Hans-Martin Lechner auf dieser Seite).

Am kommenden Sonntag werden nun in ganz Bayern neue Kirchenvorstände gewählt. Das heißt: Wer lieber in Ruhe sein Kreuzchen auf der Kandidatenliste machen möchte statt nach den Gottesdiensten, kann dies erstmals auch per Briefwahl tun. "Bei dem Rücklauf zeichnet sich schon eine höhere Wahlbeteiligung ab als vor sechs Jahren, die Briefwahl kommt gut an", freut sich Diakonin Andrea Hofmann, die im evangelischen Dekanatsbezirk Bamberg die Öffentlichkeitsarbeit für die Kirchenvorstandswahlen koordiniert.

Zum Dekanat gehören rund 40 000 Gemeindeglieder, über deren kirchliche Zukunft vor Ort Hunderte Männer und Frauen als Kirchenvorstände mit entscheiden können. Wählen darf jedes Gemeindeglied ab 14 Jahren, wenn er beziehungsweise sie konfirmiert ist. Sonst ab 16 Jahren. Wählbar ist man/frau ab 18 Jahren, eine Berufung ist bereits ab 16 Jahren möglich. Ein Höchstalter gibt es nicht.

Und dass auch Ältere unkonventionell und innovativ sein können, beweist der 82-jährige Horst Ostermeier aus der Gemeinde St. Matthäus in Gaustadt. Der verheiratete Elektromeister und Vater einer Tochter kandidiert 2018 zum ersten Mal: "Weil ich Tradition mit der Moderne verbinden will", sagt er. Und "weil ich älteren Menschen Mut für ein Ehrenamt machen will". Außerdem sei es ihm wichtig, so Ostermeier, dass der Kirchenvorstand nicht nur aus jüngeren Leuten bestehe: "Ältere müssen dabei sein, damit sie die Jungen verstehen und umgekehrt." Generell möchte er an der Seite des Pfarrerehepaares in Gaustadt "für das Gemeindewohl etwas tun".

Um die Einheit der Gemeinde, um ein gutes Miteinander von Jung und Alt geht es auch Benjamin Seiser aus der Erlösergemeinde. Er ist mit seinen 19 Lenzen der jüngste Kandidat in Bamberg. "Wir können viel voneinander lernen", meint der frischgebackene Student der evangelischen Theologie über das Zusammenspiel der Generationen im Kirchenvorstand. Zudem ist es Benjamin Seiser ein Herzensanliegen, Gleichaltrigen die guten Erfahrungen zu vermitteln, die er in der kirchlichen Jugendarbeit gemacht hat: "Die hat mir Kraft gegeben für schwere Zeiten in der Schule."

Großes Aufgabenspektrum

Eine ähnliche Motivation führt Tim-Niklas Kubach an, wenn er sagt: "Ich möchte der Gemeinde etwas von dem zurückgeben, was ich Gutes in ihr erlebt habe." Der 34-Jährige Pressesprecher einer Charity-Organisation und Vater einer Tochter kandidiert in der St.-Stephan-Gemeinde. Als gelernter Journalist möchte sich Kubach besonders in der Öffentlichkeitsarbeit engagieren. Da stünde ja einiges an im Blick auf das tausendjährige Jubiläum von St. Stephan 2020.

Das Aufgabenspektrum eines Kirchenvorstandes ist ohnehin breit gefächert. Je nach Vorkenntnissen und Vorlieben kann der oder die Einzelne schon Schwerpunkte setzen, ohne das Gesamte aus den Augen zu verlieren. Ein bestimmtes Arbeitsfeld kann etwa die Kirchenmusik sein, die Kinder- und Jugendarbeit, die Gestaltung der Gottesdienste, der Besuchsdienst oder der Eine-Welt-Kreis. "Wir wollen aber die großen Ziele und Visionen einer christlichen Gemeinde immer im Blick haben", erklären die drei befragten Kandidaten einmütig.

Je nach Gemeindegröße besteht der Kirchenvorstand aus sechs bis 15 Mitgliedern, ergänzt durch die Pfarrer und Pfarrerinnen der jeweiligen Gemeinde. Fast überall gibt es mehr Kandidaten und Kandidatinnen als Gremienplätze. Wer nicht gewählt wird, kann trotzdem im dann erweiterten Kirchenvorstand mitmachen, allerdings ohne Stimmrecht.

Wer regulär gewählt wurde, kann sich dann auch für die nächsthöheren Ebenen bewerben: für die Dekanatssynode und den Dekanatsausschuss. Außerdem wählen alle etwa 12 000 Kirchenvorstände in Bayern die Landessynode, das "Parlament" der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sie ist Teil der Kirchenleitung, verabschiedet Gesetze und wählt den Landesbischof.

Demokratie als Herausforderung und Segen

Im Interview appelliert Dekan Hans-Martin Lechner an die evangelischen Christen im Dekanatsbezirk Bamberg, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen: "Entscheiden Sie mit, was Ihnen in der Gemeinde wichtig ist!" Welche Bedeutung hat der Kirchenvorstand für eine Gemeinde? Hans-Martin Lechner: Vergleichbar einem Stadt- oder Gemeinderat ist der Kirchenvorstand das demokratisch gewählte Leitungsgremium der Kirchengemeinde. Er hat das Recht, über die Gestaltung der Gottesdienste und über die Gottesdienstzeiten zu beschließen. Der Kirchenvorstand berät und beschließt den kirchengemeindlichen Haushalt sowie die Jahresrechnung und kann damit Prioritäten und Schwerpunkte in der Gemeindearbeit setzen. Dazu gehören auch die Beratung und der Beschluss über die Nutzung und den Erhalt der kirchlichen Gebäude. Er stellt kirchliche Mitarbeiter ein und wirkt bei der Besetzung von Pfarrstellen sowie weiterer theologischer Stellen mit. Warum sollen Gemeindeglieder von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen? Kirche lebt von der Gewissheit, dass jeder Mensch Gottes Ebenbild ist und zugleich aus der Zusage und dem Anspruch Jesu, den er in der Bergpredigt formuliert: "Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt". Jede und jeder einzelne ist mit seiner Erfahrung, mit seinem Glauben und mit seiner persönlichen Meinung wichtig - eine notwendige Stimme. Je mehr Gemeindeglieder sich an der Wahl beteiligen, desto lebendiger, vielfältiger und kraftvoller ist auch das Gemeindeleben, für das der Kirchenvorstand Verantwortung trägt. Demokratie kann herausfordernd sein. Sie ist aber ein Segen, weil so jeder einzelne Mensch zu Wort kommt und Stimme hat. Um Christi und der Lebendigkeit seiner Gemeinde willen lade ich alle ein: Gehen Sie zur Wahl. Entscheiden Sie mit, was Ihnen in der Gemeinde wichtig ist. Welchen Stellenwert hat ein Pfarre überhaupt noch, wenn der Kirchenvorstand maßgeblich Entscheidungen trifft? Der geschäftsführende Pfarrer bereitet die Sitzungen zusammen mit den beiden Vertrauenspersonen oder mit einem eigens eingerichteten Präsidium vor. In der Regel leitet er oder sie auch die Sitzungen. Jede Pfarrerin und jeder Pfarrer bringt sich als geborenes Mitglied mit seiner theologischen Fachkompetenz und den entsprechenden Argumenten in die Diskussion ein und hat wie auch die weiteren Mitglieder des Kirchenvorstands eine Stimme. Natürlich kann es auch vorkommen, dass ein Pfarrer oder eine Pfarrerin mit den eigenen Argumenten überstimmt wird. Jeder aufrichtige Demokrat kann damit umgehen. Wichtig ist, dass man weiter im Gespräch bleibt. Im Sinne des lutherischen Prinzips vom Priestertum aller Getauften sind die Pfarrerin und der Pfarrer im Kirchenvorstand Priesterin oder Priester unter lauter Priesterinnen und Priestern. Das ist besonders reizvoll. Das Gespräch führte Marion Krüger-Hundrup.