"Man muss entscheiden können"

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Bei der Eröffnung der Verhandlung: Markus Reznik (Mitte) steht einer Strafkammer vor - zusammen mit zwei Laienrichtern fällt der Richter ein Urteil. Foto: Barbara Herbst
Bei der Eröffnung der Verhandlung: Markus Reznik (Mitte) steht einer Strafkammer vor - zusammen mit zwei Laienrichtern fällt der Richter ein Urteil.  Foto: Barbara Herbst

Seine Urteile verändern Leben: Als Vorsitzender Richter am Landgericht trägt Markus Reznik Verantwortung. Im Interview spricht der 41-Jährige über seinen Traumberuf - und über Fälle, die ihn lange beschäftigen.

Wie fühlt sich diese große Verantwortung als Richter an? Markus Reznik: Es ist eine Herausforderung, mit der Verantwortung umzugehen. Denn man entscheidet über das Schicksal von Menschen - und wie sich deren Leben teilweise für die nächsten Jahre gestaltet. Die Verantwortung kann auch eine Last werden, wenn es knifflige Fälle sind.

Können Sie sich an einen besonders schweren Fall erinnern? Es gibt Fallkonstellationen, die eher dazu geeignet sind, dass man sowas mit nach Hause nimmt. Und das sind vornehmlich Sexualdelikte. Aus dem ganz einfachen Grund, weil meistens die Beweislage schwierig ist.

Aussage gegen Aussage... Genau. Und weil es für die Betroffenen von größter Reichweite ist und meistens auch höhere Strafen im Raum stehen. Hier überlegt man schon: Kann man dem Opfer jetzt glauben? Kann man dem Täter glauben? Gerade bei sexuellem Missbrauch von Kindern belastet einen das als Mensch auch persönlich.

Es passiert also, dass man auch daheim noch über schwierige Fälle nachgrübelt?

Das passiert natürlich. Es ist aber nicht der Regelfall. Gerade wenn man Familie hat, ist es auch von Vorteil, wenn man gut abschalten kann. Aber es gibt gewisse Fälle, die enden nicht an der Bürotür, die nimmt man dann mit nach Hause.

Wie wichtig ist es, die Distanz einzuhalten? Wenn man einen Fall zu nahe an sich heranlassen würde, bestünde die Gefahr, dass man seinen objektiven Blick verliert und dann irgendwelche persönlichen Befindlichkeiten in den Vordergrund treten.

Distanz ist das eine - die Urteilsgabe das andere. Man muss ein Mensch sein, der in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Der Richter kann sich nicht drücken und sagen, ich will keine Entscheidung treffen. Manchmal fällt die wirklich nicht leicht.

Gab es einen Moment des Zweifelns, ob das Richteramt wirklich das Richtige für Sie ist? Nein. Wie haben Sie gemerkt, dass Sie das können? Bei mir war die Rechtswissenschaft schon in der Schulzeit mein Traumberuf.

Warum? Das kann ich heute nicht mehr sagen. Das war einfach immer mein Traum. Entsprechend habe ich den Weg eingeschlagen. Ich gehe davon aus, dass das Jurastudium, ähnlich wie die Medizin oder andere Studiengänge ohnehin nur Menschen wählen, die schon ein gewisses Verantwortungsbewusstsein haben. Egal ob man Notar ist, Rechtsanwalt, Staatsanwalt oder Richter: Man ist für das Schicksal von anderen Leuten verantwortlich.

Gibt es schöne Momente im Arbeitsalltag, die aus der Verantwortung entspringen? Ein schöner Moment ist dann, wenn man ein Verfahren abschließt und das Gefühl hat, sowohl Opfer als auch Täter gerecht geworden zu sein. Das muss kein mildes Urteil sein. Das kann auch ein Urteil sein, das, gerade wenn es um die Unterbringung in psychiatrischen Einrichtungen geht, sich im ersten Moment nicht so gut für den Täter anhört, aber auf lange Sicht gesehen hilfreich für ihn ist. Ein Verfahren läuft dann gut, wenn sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung bewusst sind. Wenn alle ihre Verantwortung wahrnehmen, kommt am Ende ein vernünftiges Ergebnis heraus.

Stichwort Verantwortung: Im Hinblick auf die Täter werden Sie im Gericht doch täglich mit Verantwortungslosigkeit konfrontiert, oder täuscht dieser Eindruck? Das ist ein Eindruck, der nicht allen Fällen gerecht wird. Unter den Angeklagten, die vor Gericht kommen, können Menschen sein, die eigentlich komplett verantwortungsvoll handeln, Verantwortungsträger sind. Doch auch diese können selbst in Situationen geraten, in denen die Emotionen überhand nehmen, sie falsch reagieren. Was in diesem Moment dann verantwortungslos ist. Aber man kann nicht sagen, die Menschen sind verantwortungslos, weil sie vor Gericht stehen.

Können Sie sich an ein solches Verfahren erinnern? Ja. Ich hatte einen Fall, wo man sagen kann: Die Person hat ein komplettes Leben ohne jeglichen Berührungspunkt mit der Strafjustiz hinter sich gebracht. Und dann kommt es aufgrund überschäumender Emotionen zu einer Affekttat, die dann eigentlich am Lebensende noch einmal zur strafrechtlichen Verfolgung führt.

Was hilft Ihnen bei Ihrer Arbeit als Richter? Da gibt es unterschiedliche Elemente, die zusammenspielen müssen. Man braucht eine gute Ausbildung, das Studium und das Referendariat bereiten darauf vor. Wenn man in der Anfangszeit in der Justiz tätig ist, braucht man auch erfahrene Kollegen, die einem Rat geben können. Wenn sich ein Erfahrungsschatz im Laufe der Zeit aufbaut, wird man logischerweise auch sicherer. Was gerade am Landgericht maßgeblich ist und was ich als Gewinn betrachte, ist das Kammersystem. Als Richter stimme ich mich mit meinen Beisitzern und mit meinen beiden Schöffen ab. Gerade wenn es um die Glaubwürdigkeit von Zeugen geht, wenn es um hopp oder topp geht, ist es gut, dass sich mehrere Personen austauschen.

Wie groß ist der Spielraum des Richters bei der Auslegung der Gesetze? Der Spielraum ist unheimlich groß, und vieles macht dann die Erfahrung aus, wie man die einzelnen Fälle bewertet.

Das Gespräch führte Sebastian Schanz