Knastarzt Joe Bausch liest in Hallstadt

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Joe Bausch, Arzt, Schauspieler und Autor, in der Ertl-Bücherwelt, Hallstadt Foto: Matthias Hoch
Joe Bausch, Arzt, Schauspieler und Autor, in der Ertl-Bücherwelt, Hallstadt Foto: Matthias Hoch

Joe Bausch ist Gefängnisarzt, Schauspieler und Autor ("Knast"). In Hallstadt erzählte er von einer fremden Welt.

Sein Aussehen war der Schauspielerkarriere sicher förderlich. Denn Joe (eigentlich Hermann Joseph) Bausch, 63, wirkt auf den ersten Blick wie einer von der anderen Seite. Die andere Seite: Das sind knapp 1000 Schwerverbrecher, darunter rund 300 Mörder und rund 150 Sicherungsverwahrte, die von der Justiz für so gefährlich gehalten werden, dass sie bis auf Weiteres hinter Mauern eingesperrt bleiben. Die Mauern: Das ist die Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen, wo Bausch seit 30 Jahren als Gefängnisarzt wirkt.

Und als Schauspieler. Im Kölner "Tatort" spielt er den Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth, der Fernsehzuschauer kennt ihn als unermüdlichen und -vermeidlichen Talkshowgast. Was Bausch am Donnerstagabend im Ertl-Zentrum auch ironisierte. Und die Auftaktveranstaltung zur von der Bücherwelt im Zentrum und dem Veranstaltungsservice Bamberg organisierten Reihe "Crime Time" mit seinem Buch "Knast" auch standesgemäß eröffnete.

Wobei er als durch etliche TV-Auftritte gestählter Medienprofi auftrat. Keine zehn Sätze las er aus seinem Buch, setzte sich nicht in Schriftstellerpose in den bereit gestellten Sessel, wandelte vielmehr vor den Zuschauerreihen auf und ab und erzählte. Erzählte seine Biografie, vom Leben hinter Mauern - den gut 800 Insassen aus 47 Nationen stehen eben so viele Angestellte gegenüber, ein ganz eigener Kosmos mit eigenen Werkstätten und z. B. eigenem Online-Shop - und vor allem von seinen "Patienten", wie er die Häftlinge konsequent nannte. Wobei Bausch nach 30 Jahren Berufspraxis keine Illusionen mehr, doch bei aller Abgebrühtheit offenbar einen humanen Impuls nicht verloren hat: Bei aller Abscheulichkeit mancher Taten habe man es doch mit Menschen zu tun, nicht mit Bestien.

Immer wieder beschreibt er die menschlichen Abgründe der Scheiternden und Gescheiterten, das Vexierbild einer Gesellschaft, die nur die Erfolgreichen goutiert. Es seien größtenteils "dissoziale Menschen", narzisstisch gestört oft oder lupenreine Psychopathen, deren Anteil er auf acht bis neun Prozent beziffert, auf deren Konto jedoch 75 Prozent der schweren Gewalttaten gingen. Dennoch ist er nicht von der Reformeuphorie etwa der 1970er Jahre befallen; "Strafe muss sein, und Gefängnisse werden wir immer brauchen."


Dasein auf sechs Quadratmetern

Wobei Bausch nebenbei aufräumt mit populären Mythen über das "Erholungsheim" Gefängnis: dem Dasein in einer sechs Quadratmeter großen Einzelzelle, der drangvollen Enge mit dem "Spann-Mann" als Zellengenossen, der möglicherweise jahrelangen Isolation, wenn z. B. ein verurteilter Pädophiler vor Mithäftlingen geschützt werden muss. Fernseher in der Zelle? "Den hat er sich erarbeitet, das heißt, er ist auf einem guten Weg." 1900 Besuche im Monat bedeuten, dass Drogen im Knast kursieren. Dessen Klangkulisse: ständiges Türen- auf- und -zusperren, stupide Zeittaktung, dazu ein spezifischer Geruch "aus Bohnerwachs, angebranntem Essen und Männerschweiß". Und keineswegs bedeute "lebenslang" immer nur 15 oder 17 Jahre.

Das psychosoziale Klima in einem Gefängnis sei markiert durch geradezu universales Misstrauen, die Vorsicht vor "Lampen" (Lügengeschichten) dominiere alles, "es wird gelogen, betrogen, beschissen im Knast". In der Häftlingshierarchie oben stünden die Bankräuber und Geiselnehmer, die eine Haftstrafe kühl als Betriebsunfall bei der Ausübung ihrer Profession verbuchten. Am interessantesten für Bausch sind die Betrüger und Hochstapler, die sich mit enormen manipulativen Fähigkeiten Vorteile zu verschaffen wüssten.

Woher kommt das Böse?

Stellt sich naturgemäß fast automatisch die Frage aller Fragen: Woher kommt das Böse? Unter Berufung auf neurologische Untersuchungen vermutet Bausch Defizite bei der frühkindlichen Gehirnentwicklung, verursacht durch Alkoholkonsum der Mutter, Verwahrlosung oder Misshandlungen. Das mag für die genannten Psychopathen eine plausible Erklärung sein. Dennoch vernachlässigte Bausch sozioökonomische Muster zur Erklärung von Kriminalität. Auch die Witzchen, mit denen er ein wohlig erschauerndes Publikum charmierte, hätten nicht sein müssen. Dennoch hat man bei kaum einer Autorenlesung so gebannt zugehört. Und man nimmt dem Mann ab, dass er für mehr Hinsehen, mehr Anteilnahme missioniert.