Der Vatikan-Experte Andreas Englisch sieht in Papst Franziskus einen Erneuerer der katholischen Kirche, der in der Kurie auf große Widerstände trifft.
Er ist der berühmteste deutsche Papst-Journalist. Seit 1987 recherchiert Andreas Englisch im Vatikan, hat wie kein anderer Einblicke hinter die dicken Mauern des Kirchenstaates. Englisch war es auch, der den Rücktritt von Papst Benedikt vorausgesagt hat. Nun legt der Kirchenkenner in seinem neuesten Buch schonungslos offen, wie hart der Kampf von Papst Franziskus gegen die Kurienbürokratie wirklich ist. Im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt Englisch, mit welch Widerständen das Oberhaupt der katholischen Kirche zu kämpfen hat.
Herr Englisch, Sie sprechen von einer päpstlichen Revolution im Vatikan. Was ist das Besondere an Papst Franziskus?
Andreas Englisch: Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass man noch in Jahrhunderten von diesem ersten Papst der Geschichte, der vom amerikanischen Kontinent stammt, sprechen wird. Dieser Papst hat eine Epoche beendet.
Bisher kümmerte sich die katholische Kirche lange Zeit nicht wirklich um die Botschaft des Jesus von Nazareth. Im Vatikan lebten Päpste in Palästen, ließen sich in Luxus-Autos herumfahren und von zahlreichen Bediensteten verwöhnen. Damit hat Papst Franziskus Schluss gemacht. Ich glaube, dass es Jahrhunderte dauern wird, bis sich wieder ein Papst trauen wird, in den apostolischen Palast zurückzukehren, statt wie Papst Franziskus in einem Zimmerchen im Gästehaus des Vatikans zu leben. Die Nachfolger von Franziskus werden sich kaum sagen lassen wollen, dass sie den Protz und Luxus im Vatikan wieder einführen wollen.
Sie behaupten, dass Franziskus in seiner Weihnachtsansprache vergangenes Jahr eine Bombe platzen ließ. Was meinen Sie genau damit?
Ich glaube, dass das die erstaunlichste Rede eines Papstes seit Jahrzehnten war.
Zum ersten Mal seit 400 Jahren griff ein Papst vollkommen offen und rücksichtslos seine engsten Mitarbeiter, die Kardinäle der Kurie, an und haute sie regelrecht in die Pfanne angesichts ihrer Verfehlungen. Er warf ihnen "christliches Alzheimer" vor, sie hätten Jesus von Nazareth vergessen, sie seien egoistische Karrieristen, die nur an ihren eigenen Nutzen denken würden und dafür bereit seien, andere zu opfern.
Stimmt es, dass seit der Weihnachtsrede dem Papst eine Woge der Ablehnung im Vatikan entgegenschlägt?
Ohne den geringsten Zweifel. Das ist ja auch kein Wunder. Wenn ein Chef seine komplette Führungsmannschaft als Versager attackiert, muss er sich nicht wundern, wenn die Mitarbeiter revoltieren. Einige Kardinäle, wie der Amerikaner Leo Burke sprechen offen aus, dass sie den Papst für unfähig halten. Zahlreich Initiativen des Papstes werden von der Kurie offen boykottiert.
Woran sieht man das?
Das wahrscheinlich deutlichste Bild des Kampfes zwischen Papst und Kurie zeigte sich, als die Kurie den Papst zu einem großen und teuren Konzert zu seinen Ehren in der Audienzhalle im Vatikan einlud. Die komplette Kurie war da, aber der Papst kam nicht, der Stuhl blieb leer.
Gibt es im Vatikan wirklich ein Netz der Korruption? Gab es dort lukrative Geschäfte mit italienischen Adeligen und der Mafia?Es ist ganz einfach: Jahrzehntelang bekam automatisch jeder Adelige am Hof des Papstes ein Konto in der Vatikanbank geschenkt. Da das Geld auf diesem Konto in Italien nicht versteuert werden musste, landeten Milliardenbeträge in der Vatikanbank. Viele Adelige, Investoren und auch Verbrecher haben ihr Geld in die Bank geschafft.
Die Staatsanwaltschaft ging dem Verdacht nach, dass Geld des Mafia-Super-Paten Matteo Messina Denaro in die Vatikan-Bank transferiert worden sei.
Sie weisen nach, dass Teile der Kurie gegen Franziskus aufbegehren und intrigieren. Wie geht es hinter den Kulissen im Vatikan zu?
Zurzeit ist im Vatikan zweifellos der Teufel los, es ist ein Jahrhundert-Kampf um das Überleben der Kirche.
Wer sind die Feinde des Papstes?
Einen Feind des Papstes zu erkennen, ist ganz einfach. Früher oder später wird er sagen: Ich habe alles gelesen, was der Papst geschrieben hat und ich habe nicht lange dafür gebraucht. Das bedeutet, dass der Betreffende der Meinung ist, dass der Papst aus theologischer Sicht eine Null ist.
Laut Franziskus hat Gott keine Konfession.
Fürchten die Traditionalisten also um ihre Existenzgrundlage, davor, dass der Papst die Kirche abschafft?
Ja, das ist genauso. Bisher erklärte die katholische Kirche, dass es für jeden Gläubigen "objektiv besser" sei, katholisch zu sein, um ins Paradies zu kommen. Der Heilige Vater sagt jetzt, dass das arroganter Unsinn ist. Wer ins Paradies kommt, entscheidet Gott allein. Der Kern des komplett großen Kampfes im Vatikan zwischen Kurie und Papst ist der, dass der Papst sagt: Gott vergibt immer, deswegen feiert er auch das Jahr der Barmherzigkeit. Aber ein Gott, der immer vergibt, der nimmt einer Kirche die Macht, die Sünder vor Gottes Zorn zu retten. So sehen das die Gegner von Papst Franziskus.
Warum verwendet der Papst immer wieder den Begriff von einem "Dritten Weltkrieg"?
Es ist in der Tat nicht das erste Mal, dass der Papst diesen Begriff benutzt.
Bereits vor über einem Jahr hat er von einem "Dritten Weltkrieg" gesprochen, was ein riesiges Medien-Echo zur Folge hatte.
Was meint er genau, wenn er von einem Weltkrieg spricht?
Schon als er das erste Mal diesen Begriff verwendet hat, sagte Papst Franziskus, dass es zwar keine große Auseinandersetzung wie damals in Europa gibt, aber eine Vielzahl von Konflikten mit unfassbar vielen Toten, die mit so einer Härte geführt werden, dass er der Meinung ist, dass es sich dabei um einen globalen Krieg handelt. Und diesen globalen Krieg bezeichnet er als "Dritten Weltkrieg".
Hat der Papst aus Ihrer Sicht damit recht?Ich glaube, ja. Aus seiner Sicht ist das durchaus verständlich, weil er einen Teil dieses Krieges in einem Kampf der Reichen gegen die Armen sieht. Ein Krieg, in dem die Armen millionenfach verlieren.
Wenn Sie sich die Uno-Statistik ansehen, werden Sie erfahren, dass ungefähr 70 Millionen Menschen pro Jahr verhungern - und das in einer Welt, die eine Überkapazität an Lebensmitteln produziert.
Das Gespräch führte
Peter Groscurth
Zum Buch
Inhalt In seinem Buch "Der Kämpfer im Vatikan" offenbart Andreas Englisch ein Geflecht aus Korruption und Intrigen, Machtkämpfen und Verstrickungen, schildert Machenschaften der Vatikanbank, lukrative Verbindungen zwischen dem italienischen Hochadel und der Kurie.
Verkauf Im Buchhandel erhältlich für 19,99 Euro (ISBN: 978-3-570-10279-4 ), erschienen im C.Bertelsmann-Verlag.
Da darf man dem guten Franziskus aber wirklich wünschen, dass er lange genug Papst sein kann, bis er seine Ideen auch gegen den Widerstand der obersten Gotteshirten durchgesetzt hat. Eine Rückbesinnung auf urchristliche Werte stünde dem Unternehmen Kirche sehr gut!
Ich befürchte bloß, dass all dies der Lebenserwartung von Franziskus nicht förderlich sein dürfte. Die Kirchengeschichte ist voll mit Päpsten, die "kirchenverträglich" entsorgt wurden. Der letzte mysteriöse Fall mit Johannes Paul I. ist gar nicht so lange her. Auch der Rücktritt Benedikts läßt Raum für Spekulationen.
In diesem Sinne viel Erfolg und ein langes Leben, Franziskus!
Bei der Übertragung der Christmette aus dem Petersdom am heiligen Abend im Bayerischen Fernsehen habe ich mich gefragt: Warum schaut der Papst so grimmig? Das Evangelium von der Menschwerdung Gottes zählt doch zum schönsten und besten, was den Menschen zu verkünden ist. Freut Euch, ihr Christen.. usw - von wegen. Der Heilige Vater trat als Griesgram in Erscheinung, selbst als er mit der Figur des Jesusknaben in den Armen vom Altar zur Krippe lief. Ich vermutete, dass Franziskus körperlich ziemlich krank ist und Schmerzen nur mühsam verbergen kann oder dass er einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt ist. Nach der Lektüre des Beitrags: "Im Vatikan ist der Teufel los" ziehe ich eine dritte Möglichkeit in Betracht: Der Papst könnte auch deshalb grimmig in die Runde geblickt haben, weil sich seine vatikanischen Teufelchen zu Hunderten und frech wie immer ganz vorne in die Sitzreihen begeben hatten. Bei dem Anblick hat mich übrigens ein ganz schlichtes Wort Jesu getröstet: "Die Ersten werden die Letzten sein."
Nach allem, was man hört, besteht in der Tat die Gefahr, dass die Katholische Kirche an ihrem Reichtum und an der Unersättlichkeit vieler Funktionäre erstickt, zugrunde geht. Wie hat Jesus noch gesagt: "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als dass ein Reicher in den Himmel kommt!" Ja, da hat die Katholische Kirche schlechte Aussichten, denn sie verkauft um der Vollkommenheit willen beileibe zuwenig, um die Armen zu unterstützen. Ich behaupte das, wohl wissend, dass die Katholische Kirche dennoch die weltweit größte und erfolgreichste, nichtstaatlich-karitative Organisation ist. Das ist sie hauptsächlich wegen der ungebrochenen Spendenbereitschaft ihrer Glieder und nicht, weil sie etwa ihren Reichtum zugunsten der Notleidenden versilbert. Ich habe dabei nicht das hauchdünne Blattgold in den Kirchen vor Augen, sondern Immobilien, (Geheim-)Konten, Aktien und Firmenbeteiligungen etc. Das hat Jesus nicht gewollt!