Am 70. Verhandlungstag plädierten die Verteidiger. Für die angeklagten Sexualstraftaten hat das Verfahren nach ihren Worten keine Beweise ergeben.
Jeder andere Antrag wäre eine große Überraschung gewesen: Nach 69 Verhandlungstagen, an denen Heinz W. stets seine Unschuld beteuert hat und in denen seine Verteidiger nichts unversucht ließen, um das rein medizinische Interesse ihres Mandanten am Unterleib der zwölf Nebenklägerinnen zu beweisen, stellten sie entsprechende Schlussanträge: Freispruch des 51-Jährigen von allen angeklagten Sexualstraftaten und Körperverletzungen, allenfalls eine Bewährungsstrafe, also eine Freiheitsstrafe von höchsten zwei Jahren, für minderschwere Fälle.
Die Plädoyers der Verteidiger fanden am Mittwoch hinter verschlossenen Türen statt. Die Öffentlichkeit war, wie schon oft in diesem Verfahren und wie zuletzt beim Plädoyer von Oberstaatsanwalt Bernd Lieb vor einer Woche, nicht zugelassen. Das Gericht begründete diese Entscheidung mit den Persönlichkeitsrechten der mutmaßlichen Opfer und des Angeklagten. Nur dem Sprecher des Oberlandesgerichts, Leander Brößler, war die Teilnahme gestattet. Er berichtete später Medienvertretern aus der nichtöffentlichen Sitzung.
Professor Klaus Bernsmann soll die Forderung der Anklage nach 15 Jahren Freiheitsstrafe mit den Worten kommentiert haben, das sei bar jeder Vertretbarkeit und inakzeptabel. Heinz W. sei seit der ersten Presseerklärung von Staatsanwaltschaft und Polizei im Sommer 2014 Opfer einer"staatlich veranlassten Vorurteilsproduktion".
Auch im Prozess seien viele Fragen offen geblieben, die die Unschuld des früheren Leiters der Klinik für Gefäßchirurgie am Klinikum hätten belegen können. Bernsmann stritt laut Brößler ab, dass W. ein Sexualstraftäter ist. Für die Vergewaltigungsvorwürfe habe das Verfahren keine Beweise erbracht.
Sollte das Gericht es anders sehen, hält die Verteidigung nur eine Verurteilung wegen minderschwerer Taten für denkbar. Bernsmann verwies laut Brößler auf andere Vergewaltigungsprozesse, in denen Täter für nächtliche Überfälle auf arglose Frauen "nur" fünf Jahre Strafe erhalten hätten. Sollte W. ein Schuldspruch drohen, müsse der Strafrahmen des minderschweren Falls angewendet werden: sechs Monate bis fünf Jahre.
Wie Brößler weiter sagte, hob Bernsmann die Resozialisierung als Strafzweck hervor. Die vom Staatsanwalt geforderte Höchststrafe von 15 Jahren käme der "Vernichtung des Täters" gleich. W.s berufliche und soziale Existenz sei bereits durch das Verfahren zerstört.
Auf die Vielzahl von Fotos weiblicher Genitalien in den Prozessakten ging laut Brößler Rechtsanwalt Dieter Widmann in seinem Plädoyer ein. "Für Ärzte ist Nacktheit eine normale Sache", habe er konstatiert. Aus Sicht der Verteidigung verkennt die Staatsanwaltschaft die medizinische Bedeutung der Bilder vollkommen: Sie seien von W. zu Forschungs- und Diagnosezwecken gefertigt worden, nie aus sexuellen Motiven.
W. räumt mögliche Fehler ein
Nach Angaben des Gerichtssprechers hat der Angeklagte sich in seinem so genannten letzten Worten auch an die Nebenklägerinnen und mutmaßlichen Opfer gerichtet. Er sagte, es tue ihm leid, was die Frauen beim Betrachten der Bilder empfunden hätten. Sie waren ihnen erstmals von der Polizei gezeigt worden.
W. soll nach seinen drei Wahlverteidigern relativ kurz gesprochen haben, sachlich und ruhig. Der Angeklagte habe mögliche Versäumnisse bei der Aufklärung der Frauen eingeräumt. Er habe auf sein hohes Arbeitspensum in einer 80- und 100-Stunden-Woche hingewiesen; da sei nicht auszuschließen, dass ihm ein Fehler unterlief.
Ausdrücklich ausgeschlossen hat W. laut Brößler, dass die Frauen "bewusstlos und nicht ansprechbar waren".