Inklusion: Bamberger Modell macht Schule

3 Min
Niels Gehringer mit seinem Paten Matthias Oschema bei der Arbeit Foto: privat
Niels Gehringer mit seinem Paten Matthias Oschema bei der Arbeit Foto: privat
Klaus Rank mit Chef Martin Dörnhöfer und Pate Norbert Makiol Foto: privat
Klaus Rank mit Chef Martin Dörnhöfer und Pate Norbert Makiol Foto: privat
 
Vitalij Andris (rechts) ist "die dritte Hand" von Günther Judex. Foto: privat
Vitalij Andris (rechts) ist "die dritte Hand" von Günther Judex. Foto: privat
 

Das Konzept von Integra Mensch macht bundesweit Schule: Menschen mit Behinderung können am alltäglichen Berufsleben teilnehmen.

Die Fahrzeuge der Stadtwerke sind immer blitzblank geputzt. Das ist Vitalij Andris zu verdanken. Er ist ein Mitarbeiter mit geistiger Behinderung und wird von Integra Mensch, einem Bereich der Lebenshilfe Bamberg, betreut. Die Stadtwerke haben für ihn eine Patenschaft übernommen und stellen einen passgenau zugeschnittenen Arbeitsplatz zur Verfügung.


Mit dem betrieblichen Paten

Entscheidend für den Erfolg ist die Rolle des betrieblichen Paten. Bei den Stadtwerken hat das Günther Judex in die Hand genommen. Er beschreibt seine Aufgabe so: "Ich leite Vitalij an, bin bei Schwierigkeiten zur Stelle, und sorge dafür, dass er sich gut in die Belegschaft einfinden kann." Vitalij Andris bestätigt: "Ich habe schon viele verschiedene Leute kennengelernt, denn jeder muss mal in die Werkstatt. Ich mache die Fahrzeuge von innen und außen sauber. Das macht mir Spaß. Manchmal helfe ich auch beim Teile-Ausbauen." "Er ist meine dritte Hand für mechanische Arbeiten", schmunzelt Günther Judex.



Zusächliche Sicherung

Damit die Integration reibungslos funktioniert, bilden Fachkräfte von Integra Mensch eine zusätzliche Sicherung. Integrationsbegleiter Gerhard Schmidt sagt: "Ich habe Vitalij Schritt für Schritt bei der Eingewöhnung begleitet und stehe mit ihm und seinem Paten auch weiterhin ständig in Kontakt. Ich bin für sie immer erreichbar, wenn es Fragen gibt. "


Chefsache für die Stadtwerke

Stadtwerke-Geschäftsführer Michael Fiedeldey freut sich über diesen Erfolg. Er und sein Kollege Klaus Rubach finden es wichtig, dass Menschen mit Behinderung ganz selbstverständlich und auf Augenhöhe in das Arbeitsleben der Stadtwerke eingebunden werden.



Schon 135 Patenschaften

Mittlerweile gibt es in Stadt und Landkreis schon 135 auf Dauer angelegte Patenschaften. Der Geschäftsführer der Lebenshilfe, Günther Hofmann, schwärmt: "Es ist fantastisch, was sich hier entwickelt hat. Ob im Handwerk oder im Dienstleistungsbereich, in sozialen Einrichtungen wie Kindergärten oder Seniorenheimen, in Büros oder Verwaltungen - überall finden sich Betriebskollegen, die unterstützt von unseren Integrationsbegleitern Verantwortung für Menschen mit Behinderung übernehmen."

Auch die Sparkasse ist vom Integra-Mensch-Modell überzeugt. Niels Gehringer arbeitet seit Juni als Gärtnerhelfer in der Hauptstelle. Er ist 21 Jahre alt und hat das Tourette-Syndrom. Bei ihm äußert sich das durch unwillkürliche, sehr heftige ungewollte Laute. Das Arbeiten in einem geschlossenen Raum ist schwierig, weil sich die Arbeitskollegen wegen der Ausrufe häufig erschrecken.


Mit großer Freude

Personalleiter Rainer Späth und Pate Matthias Oschema ließen sich durch die Erkrankung nicht irritieren und gestalteten für ihn einen Arbeitsplatz im Gartenbereich. Niels Gehringer ist glücklich: "Das Gärtnern macht mir großen Spaß, ich bin froh, hier zu sein." Die Ticks haben sich laut Integrationsbegleiter Wolfgang Röckelein um ein Vielfaches verbessert. Das zeigt, was für einen positiven Einfluss ein gutes Arbeitsklima auf die neurologische Erkrankung haben kann. Nicht nur Niels Gehringer ist zufrieden, auch die Kollegen sind froh, ihn bei sich zu haben. Jürgen Schweigert, Leiter der Bauabteilung, lobt: Er macht einen wirklich guten Job. Wir unterstützen nicht nur ihn, sondern er auch uns. Das Ganze ist also nicht einseitig."


Nachfrage nach Inklusion

In den letzten Jahren beobachtet Klaus Gallenz, Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe, die Tendenz, dass Schulabgänger von Förderschulen verstärkt nach integrativen Arbeitsmöglichkeiten fragen: "Dieser Trend lässt sich nicht mehr stoppen. Mit Integra Mensch zeigt die Lebenshilfe, dass wir diesen Wunsch ernst nehmen und mit Leben füllen. Die Bereitschaft der Kollegen in den Betrieben, Patenschaften für behinderte Menschen zu übernehmen, ist weitaus größer als angenommen. Wir erleben dadurch bei allen Integra-Mitarbeitern sehr positive Entwicklungsverläufe. Die Integration in die Betriebe fördert ihr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Es entstehen neue soziale Bezüge zu vielen Arbeitskollegen und zu vielen Menschen in der Gemeinde."



Neues Lebensgefühl

Auch für Klaus Rank ist seine Arbeit zur Grundlage eines neuen Lebensgefühls geworden. Mittendrin und, ganz wie seine Kollegen, in roter Dienstkleidung arbeitet er im Toom-Baumarkt. Immer wieder schweift sein Blick prüfend und konzentriert über die Regale, denn Klaus Rank hat eine wichtige Aufgabe: Er füllt die Auslagen auf und sorgt dafür, dass Pflanzen und andere Artikel ansprechend präsentiert werden. Manchmal fragen Kunden nach den Sonderangeboten aus den Werbebeilagen. Kein Problem: Freundlich, ruhig und zielsicher führt er sie an den richtigen Ort und hat für jeden ein nettes Wort. Marktleiter Martin Dörnhöfer war von dem Konzept von Beginn an begeistert, und für Teamleiter Norbert Makiol war gleich klar, dass er als betrieblicher Pate von Toom fungieren wollte. Er sagt: "Klaus ist eine Frohnatur. Er ist nicht nur für die Kunden eine Bereicherung, sondern auch für unser Team."



Alle an einem Strang

Dabei war der Start gar nicht einfach, wie Dörnhöfer sagt: "Toom ist ein Unternehmen von Rewe. Im Vergleich zu einem Betrieb vor Ort ist ein solcher Konzern viel stärker zentralisiert. Wenn wir eine dauerhafte Lösung suchen, benötigen wir Strukturen, die auch in andere Toom-Baumärkte übertragbar sind." Für den Leiter von Integra Mensch, Kuno Eichner, war das eine Herausforderung. In einem Kooperationsprojekt der Bundesvereinigung Lebenshilfe mit der Toom-Zentrale in Köln wurden die Voraussetzungen geschaffen. Eichner: "Alle haben an einem Strang gezogen, bis Klaus Ranks größter Wunsch in Erfüllung gehen konnte. Unser Modell aus Bamberg kann jetzt auf weitere Städte übertragen werden. Die Zentrale in Köln bietet nun allen Lebenshilfe-Einrichtungen im Bundesgebiet die Möglichkeit, Patenschaftsarbeitsplätze in ihren Baumärkten einzurichten."

Damit ist es Eichner und seinem Team nicht nur gelungen, die Region Bamberg für Inklusion zu begeistern. Integra Mensch dient seit Jahren als Vorbild für ähnliche Initiativen in der ganzen Bundesrepublik. Ob in Hamburg, Bremen, Berlin, Braunschweig, München und in vielen weiteren Städten - selbst in der Schweiz und in Österreich wird das Bamberger Modell nachgefragt. Zuletzt sind durch Unterstützung der Mainfränkischen Werkstätten mehr als 60 Arbeitsplätze in Würzburg entstanden. Beim Thema berufliche Inklusion spielt Bamberg demnach eindrucksvoll Bundesliga.