Wettbewerbe haben ihre eigenen Gesetze. Das konnte jeder erleben, der bei den öffentlichen Runden des 4. Gustav Mahler-Dirigentenwettbewerbs der Bamberger Symphoniker am Mittwoch und am Donnerstag dabei war. Eine Herzschlagfinale.
Dass die Bekanntgabe der Gewinner dann doch viele überraschte, hat einfach damit zu tun, dass für die Juroren nicht nur die Leistung der Kandidaten in der Schlussrunde am Donnerstag ausschlaggebend war, sondern auch die Entwicklung von den ersten Auftritten in den Vorrunden ab 7. Juni bis hin zum Finale am 13. Juni.
Wie knapp es letztlich zuging, spiegelt das Ergebnis. Erstmals in der Geschichte des 2004 auf Anhieb weltweit hoch angesehenen Wettbewerbs wurden ein erster Preis in Höhe von 20 000 Euro und zwei zweite Preise in Höhe von je 10 000 Euro vergeben - ein salomonisches Urteil zugunsten des jüngsten Teilnehmers. Was ja nicht falsch ist, wenn es konkret um den begabtesten Nachwuchs geht. Um es vorwegzunehmen: Nach dem ersten Teil des Semifinales am Mittwoch war der 24-jährige Lahav Shani aus Israel auch für mich eindeutig der beste Teilnehmer, denn er war der einzige, bei dem es in allen drei Stücken nicht nur um handwerkliche Bewältigung, sondern spürbar um Musik ging. Am Donnerstag Vormittag kamen mit dem 30-jährigen Taiwaner Tung-Chieh Chuang und dem 33-jährigen Österreicher David Danzmayr zwei Konkurrenten hinzu, denen man die schon aus Altersgründen vorhandene größere Erfahrung durchaus anhörte.
Das sehr klug gewählte Repertoire des Semifinales mit jeweils zwei Sätzen von Joseph Haydns Symphonie Nr. 92, dem 1. oder 3. Stück aus Alban Bergs Drei Stücken aus der Lyrischen Suite und Gustav Mahlers Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" war nur im letzteren Teil für alle sechs Kandidaten identisch. Bei Shanis Proben-Auftritt fiel auf, dass für ihn die Arbeit mit Sängern noch ungewohnt ist, während Chuang sich dem Solisten deutlich mehr zuwendete, ihn aber auch mehr forderte, und Danzmayr sogar noch an das Publikum dachte und den konditionsstarken Bariton Andrew Schroeder in Richtung Saal postierte.
Unterschiedliche Kulturkreise Im Finale am Donnerstag Abend war die Probensituation direkt vergleichbar, denn es ging darum, mit dem Orchester vierzig Minuten lang am 1. Satz von Gustav Mahlers Symphonie Nr. 1 zu arbeiten. Alle drei Finalisten, die aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen kommen und für unterschiedliche Dirigierweisen und Interpretationsansätze stehen, machten ihre Sache auf ihre Art gut. Der Rest ist vielleicht eine Geschmacksfrage. Aber nicht nur.
Nach Chuangs Auftritt flüsterte mein Kollege Wolfgang Sandner von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mir ins Ohr: "Bei ihm versteht man sofort, warum gerade auch ein Spitzenorchester überhaupt einen Dirigenten braucht." Die Spiritualität, die der Dirigent aus Taiwan den Musikern vermittelte und dadurch die Musik schweben ließ zwischen Yin und Yang, männlich und weiblich, war für mich der Höhepunkt des Finales. Auch in den kürzeren Probenabschnitten gelang immer wieder das Zauberische, eine zu Herzen gehende Musik, die die reale Welt auf einmal abhanden kommen ließ. Andere im Publikum haben das wohl auch so empfunden, denn der Beifall für Chuang war groß und mit Bravorufen durchsetzt.
Wieder andere dürften dem technisch brillanten, sehr forsch dirigierenden Danzmayr die Daumen gedrückt haben. Dass am Ende Lahav Shani das Rennen machte, ist trotz unterschiedlicher Präferenzen bestimmt keine Fehlentscheidung. Sondern im Gegenteil ein Sieg der begabtesten Jugend. Die Jury hat das Potenzial, das in diesem vielseitigen, hochmusikalischen jungen Mann aus Israel steckt, insgesamt höher bewertet als das, was die beiden älteren Kollegen schon aus ihrer größeren Praxis heraus besser können.
Schließlich war unter den Juroren als aktives Orchestermitglied Christian Dibbern und hat sicher seine Erfahrungen mit Robin Ticciati eingebracht, der die Symphoniker erstmals als 23-Jähriger dirigieren durfte und ziemlich schnell, auch und gerade durch Bamberg, Karriere machte. Bleibt noch ein Wunsch: Dass das enge Ergebnis bedeuten möge, dass das Publikum nicht nur den Sieger, sondern auch die zwei anderen Finalisten bald wieder erleben darf.