Das Buch über den "Gottesdienst im Bamberger Dom zwischen Barock und Aufklärung" ist mehr als eine wissenschaftliche Edition.
                           
          
           
   
          Der Bamberger Kaiserdom fasziniert ungezählte Besucher aus aller Welt mit und ohne religiöse Verwurzelung. Sie mögen ahnen, dass die Kathedrale nicht nur ein kunsthistorisch und architektonisch bedeutsamer Bau ist, sondern auch die Erinnerung an jahrhundertelanges Beten und Feiern wachhält. Der Dom und seine Ausstattung sind voll Gebrauchsspuren des bis heute vollzogenen Gottesdienstes. 
       
Wie vielgestaltig Liturgie als zentrale Äußerung des Glaubens und der Frömmigkeit in früheren Zeiten war, zeigt ein im Wortsinne schwergewichtiges Buch, das jetzt in der Domkrypta vorgestellt wurde. Sein Titel klingt sperrig: "Gottesdienst im Bamberger Dom zwischen Barock und Aufklärung - Die Handschrift des Ordinarius L des Subkustos Johann Graff von 1730 als Edition mit Kommentar". 
Der Band jeglichen wissenschaftlichen Ansprüchen statt. Doch auch jeder am Bamberger Dom Interessierte wird seine Freude an der Lektüre haben. Denn diese eröffnet den Mikrokosmos des Doms vor knapp dreihundert Jahren, in dem sich die hohe Geistlichkeit, aber auch das gläubige Volk bewegten. Zudem beschreibt das Werk die wirtschaftliche Lage des Domstifts seit den Schenkungen Heinrichs II. für den Lebensunterhalt der Kanoniker und legt dar, wie Bischof und Domkapitel 700 Jahre lang die Intention seines Gründers, des heiligen Kaisers Heinrich II., in Treue durchgehalten haben - mit allen Licht- und Schattenseiten.
Professor Franz Kohlschein, früherer Liturgiewissenschaftler an der Bamberger Universität, sowie der ehemalige Uni-Bibliotheksdirektor und Historiker Werner Zeißner haben diesen kostbaren Schatz des Subkustos Graff gehoben. Seine Papierhandschrift mit 344 Seiten im Großfolioformat in lateinischer Sprache mit deutschen Einträgen wird im Archiv des Erzbistums Bamberg verwahrt. In über 20-jähriger Beschäftigung haben die beiden Editoren, Übersetzer, Kommentatoren diese zentrale Quelle zur Bamberger Domliturgie des 18. Jahrhunderts erschlossen. Liturgie- wie lokalgeschichtlich ist ihre wissenschaftliche Aufarbeitung des "Liber Ordinarius" einzigartig.
Wie der Name schon sagt, hat das "Liber Ordinarius" für Ordnung gesorgt. Es half dem Domkapitel bei seiner Kernaufgabe, die tägliche Liturgie in Stundengebet und Eucharistie zu feiern. Und zwar an den über zwanzig Altären, die es im Dom gab. Das "Ordnungsbuch" enthält keine liturgischen Texte, wohl aber Regieanweisungen für die Hochfeste wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten, für die Heiligengedenktage oder Prozessionen. Es gibt Regelungen für das Schmücken des Doms, für das Zurechtlegen der priesterlichen Gewänder in der Sakristei oder für den rechten Zeitpunkt, die liturgischen Bücher aufzuschlagen und die Antiphonen, Responsorien und Hymnen anzustimmen. Sogar Andachten und Gesänge in der Volkssprache sind eingeschoben. 
     Ein Spiegel der Zeit  
Ein Spiegel der Zeit ist beispielsweise die aufgeführte Ordnung für Fronleichnam. Akribisch hat Subkustos Graff aufgelistet, in welcher Reihenfolge wer in der Prozession mitmarschiert. 71 Personengruppen - gegliedert nach weltlichen Berufen und geistlichem Stand - werden genannt. Ganz zum Schluss, unter Nummer 72, wird "Die Weiblichkeit in ihrer Ordnung" angeführt.
Ein weiteres Zeitdokument führt pfiffigerweise zu Coca Cola. Jedenfalls stellte Liturgiewissenschaftler und Domkapitular Peter Wünsche, der bei der Buchvorstellung in den Inhalt des Werkes einführte, diesen Bezug her. So regelt das "Liber Ordinarius" auch das "Brudermahl" nach der Fußwaschung am Gründonnerstag, an dem die Schüler der Domkirche teilnehmen. Die Erwachsenen bekommen Wein, die Kinder Zuckerwasser. "Zuckerrohr oder Rohrzucker war damals als teure Importware ein Luxusgut, Rübenzucker wurde erst im 19. Jahrhundert entdeckt", berichtete Wünsche und fügte hinzu: "Das braune Zuckerwasser war zu 99 Prozent identisch mit Coca Cola!"